Halle: „Arabella“

Vorstellung am 13.12.2014 (Premiere am 07.11.2014)

Ein origineller Drang zur Operette

Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal wollten mit Arabella an den Erfolg des Rosenkavaliers anknüpfen und hatten das Stück ursprünglich sogar als Operette gedacht, was bezüglich der Handlung auch zutrifft. Von Hofmannsthal griff dazu seinen älteren Stoff „Lucidor“ („Figuren zu einer ungeschriebenen Komödie“ 1910) wieder auf, der auf Molière zurückgeht. Es geht um einen Mädchentraum, der nach ziemlich flacher Verwicklung rührend in Erfüllung geht. Auch die auftretenden Personen wirken grob gesehen operettenhaft: der reiche, slawonische Baron von Mandryka, das unverhoffte Glück der Arabella, die Kartenaufschlägerin (in einer richtigen Wiener Operette wäre sie natürlich eine Roma), der Operettenleutnant Matteo, die Verkleidungskomödie und vor allem die Fiakermilli. Auch die Zeit, in der die Oper spielen soll, das ausgehende 19. Jhdt,. ist das klassische Operettenzeitalter. Aber ähnlich wie beim Rosenkavalier, der texto im 18. Jhdt. spielt, aber musikalisch und gesellschaftlich die Ära etwa 100 Jahre später zeichnet, verhält es sich auch mit Arabella. Deren Figuren aus dem ausgehenden neunzehnten Jahrhundert kann man wieder in der Entstehungszeit der Oper (UA 1933) im wirtschaftlichen Niedergang der 20er Jahre ansiedeln, in denen zuerst in Österreich, dann in Deutschland große Vermögen durch die Inflation vernichtet werden. Die „heile Welt“ der damaligen Vorkriegszeit spukte dabei nostalgisch noch im Kopf der Autoren (und ihrer Figuren) herum. Die Urkatastrophe Europas wollten sie nicht wahrhaben. Strauss hat sie erst 1945 begriffen (Metamorphosen); von Hofmannsthal starb 1930 und ließ den Komponisten mit einem nicht abschließend verfestigten dritten Aufzug allein zurück. Eine Operette ist also die Arabella deshalb nicht geworden, weil sie in ihrem gesellschaftlichen Kontext nicht an der Oberfläche bleibt und Richard Strauss es nicht beim jovialen Operettenstil beließ.

Axel Köhler: Conférencier, Hotelportier, Regisseur und Intendant

Als meine Frau die Arabella zum ersten Mal sah (mit Thomas Hampson und Karita Mattila in den beiden Hauptrollen) wurde sie gleich zu einer ihrer Lieblingsopern. Das lag auch an dem operettenhaften „der Richtige … der wird auf einmal dastehen, da vor mir“. Auf der Opernbühne war das damals Th. Hampson, 1,95 m groß. Das war wohl auch ihr Mädchentraum gewesen, und eines Tages tauchte Ihr Kritiker auf, ebenfalls mit einer Körperhöhe von 1,95 m ausgestattet. Es folgten bis heute 45 Jahre beidseitigen freiwilligen Freiheitsverzichts. Die zweite Verheißung des Arabella-Stücks: „und Du wirst mein Gebieter sein“ wurde übrigens nicht Realität… Da schon von Operette die Rede ist: „Einer wird kommen, der wird mich begehren. Einer wird kommen, dem soll ich gehören“ heißt es im Zarewitsch – nicht ganz unähnlich 1927. Lehár hat mit diesem Stück an der anderen Seite der Tür zur Operette gerüttelt.

Karsten Mewes (Mandryka), Gundula Hintz (Adelaide), Ulrich Burdack (Waldner), Anke Berndt (Arabella)

Arabella hatte also für uns einen persönlichen Bezug gewonnen. So sind wir gern nach Halle an der Saale zur dortigen Arabella gefahren. „Eigentlich sind die Arabellen immer und überall gleich“ lautete noch eine summarische Betrachtung vor der Aufführung. Tatsächlich hatten wir eine dekonstruierende oder „neu deutende“ Arabella noch nicht gesehen. Das war auch in Halle nicht der Fall (auch hier Arabella im blauen Ballkleid). Aber sie wirkte mit einigen wirklich originellen Zutaten doch ganz anders, obwohl sie nur halbszenisch dargeboten wurde. Es ist nämlich die Rolle des Kellners und Hotelportiers „neugedeutet“. An sich hat er nur im ersten Aufzug einige wenige Worte zu sagen. Aber in der Inszenierung von Axel Köhler tritt er schon vor dem Vorspiel auf Die Protagonisten, die sich zu seinen Worten stumm über die Bühne bewegen stellt er vor wie in einer klassischen Komödie von Molière und verplaudert sich – wie aus dem Nähkästchen – über das, was man anschließend auf der Bühne zu sehen bekommt. Auch das Orchester wird so vorgestellt: eine „A-Kaffeehauskapelle“, die noch (2014 !!!) gut bestückt sei. (Vor einem Jahr hatte man für die Staatskapelle selbst im „Westen“ Unterschriften gesammelt.*)) Auch während des ersten Aufzugs und dann vor dem zweiten und dritten Akt plaudert er über die Hintergründe der Arabella-Geschichte, ehe er sich in den „Bereitschaftsdienst“ zurückzieht. Nach diesen charmanten Inhaltsangaben bedarf es keiner Übertitel mehr, obwohl stellenweise wenig textverständlich gesungen wird. Man befinde sich in der Lobby eines großen Hotels; die zahlreichen Gäste aus dem Saal des Hauses würden alle ihre Zimmer bekommen. (Das Theater war leider nicht voll.) Es sei gleich vorweg verraten, dass es sich beim dem Kellner um Axel Köhler, den Regisseur der Produktion handelt (Im Programm: „szenische Einrichtung“). Im Nebenberuf ist er auch noch Operndirektor in Halle. Und so geht er bei dem Sparzwang des Hauses gleich mit gutem Beispiel voran und spielt gleich drei Rollen. Außerdem vereinigt er die Rollen der „Grafen“ Dominik und Lamoral in einen Darsteller.

Karsten Mewes (Mandryka), Anke Berndt (Arabella)

Das Orchester sitzt übrigens auf der Bühne und nimmt dort den meisten Platz ein. Davor bleibt nur ein schmaler Streifen zum Spielen; aber man kann auch auf den zugedeckten Orchestergraben vorrücken, womit das Bühnengeschehen näher ans Publikum rückt. Von einem Bühnenbild kann man nicht reden, denn es besteht nur aus einem Tischchen, auf welchem Geburtstagsgeschenke aufgebaut sind, zu denen auch die von Matteo mitgebrachten roten Rosen kommen, und zwei Kaffeehaustischen mit passenden Stühlen. Die Herren sind durchweg in Fräcke uniformiert, den Damen sind opulente Gesellschaftskleider angemessen, der Damenchor ist etwas einfacher uniformiert. Somit beschränkte sich die Regie auf die Bewegungsabläufe vor dem Orchester, mit denen es Köhler aber meisterhaft verstand, alle Szenen glaubwürdig zu gestalten. Ironisiert und satirisch angehaucht die Personenzeichnung der als ältliche Herren dargestellten Arabella-Verehrer. Diese Gesellschaft verulkt sich quasi selbst, einschließlich Mandryka. Denn der steigt ja an sich in die Handlung „nieder“ wie Pedro im „Tiefland“. Hier ist er aber von Anfang an schon befrackt und verdorben. Bei keiner dieser Gestalten kann man sich Arabellas Traum vorstellen: „und keine Zweifel werden sein und keine Fragen, und selig werd ich sein und ihm gehorsam wie ein Kind!“. Gehorsam ist sie am Ende auch. Ganz im Sinne des von Köhler gesponnen Rahmens brachte natürlich der Kellner das notorische Glas Wasser; aber Mandryka verschmähte dieses – Arabella muss es holen. Die Regie hat einen sehr ansehnlichen Abend gestaltet, die Oper nahe an eine Operette gerückt, aber keinen Wiener Schmäh, sondern eher eine Offenbachiade gestaltet. Einzig mit dem Chor klappt das nicht so überzeugend. Wird der im zweiten Akt noch durch die Milli aufgemischt, steht der Chor im dritten Aufzug etwas überflüssig an der Seite und hat dort so gut wie nichts zu sagen (zu singen).

Anna Baxter (Zdenko), Ralph Ertel (Matteo)

Sehr vorsichtig ging der musikalische Leiter des Abends Josep Caballé-Domenech mit seiner großen Bühnenmusik (70 Musiker) zugange, nahm sie zur Begleitung rücksichtsvoll zurück und trug die Solisten auf einem geschmeidigen und verführerisch schönen instrumentalen Klangteppich. In den rein instrumentalen Passagen ließ er die sauber und konzentriert aufspielende Staatskapelle Halle indes opulent aufblühen und kam zu schwungvollen Walzertönen.

Bei der Würdigung der Solisten kommt auch bei dieser Aufführung ganz oben ein Sänger, aber nicht einer, der gesungen hat, sondern der Altus, Schauspieler, Regisseur und Intendant Axel Köhler, der mit ebenso geschliffenem wie gewandtem Plauderton, wendig-elegantem Spiel und einwandfreier Diktion das Publikum vom ersten Moment an auf seine Seite brachte. Dazu kam seine soignierte Bühnenpräsenz als Hotelportier und Kellner. Im Schauspiel muss man derartigen Genuss suchen. Bei den zweckbestimmt eingesetzten Sängern ergab sich ein etwas durchwachsenes Bild. Obwohl gar nicht in seinem Fach als dunkler, tiefer Heldenbariton, konnte Karsten Mewes, der sich in den hochgelegenen Passagen etwas mühen musste, mit seinem sonoren dunkle Material von bester Sprachverständlichkeit als Mandryka überzeugen. Quicklebendig war in Spiel und Stimme die Fiakermilli von Christina Rümann, die mit unbekümmertem silbrigem Sopran ihre Koloraturen trällerte. Anna Baxter sang die Zdenka mit hellem, klarem Sopran und ansprechender farblicher Nuancierung bis in die hohen Töne. Ralph Ertel als Matteo entfaltete seinen kräftigen mittel timbrierten Tenor und verlieh ihm auch einen Schuss Schmalz, sicher wie Strauss einen „Tenoristen“ gesehen hat und hier passend zu den operettenhaften Aspekten.

Anke Berndt (Arabella), Anna Baxter (Zdenka)

Anke Berndt gab die Titelrolle und überzeugte mehr im ironisierenden Parlando und den innig-lyrischen Stellen als in den dramatischen Passagen, bei denen sich einige Intonationsprobleme einstellten. Ausladend von Figur und stimmlichem Wohlklang, aber leider so gut wie textunverständlich, gestaltete Gundula Hintz die Rolle der Adelaide. Ihr Gatte, der Graf Waldner, war Ulrich Burdack mit kraftvoll sonoren Tiefen, aber halsigen Höhen. Niels Giesecke konnte als Graf Elemer stimmlich nicht überzeugen. Seinen beiden „Kollegen“, den „Grafen“ Lamoral und Dominik (in einer Person zusammengefasst – Unterschied: einmal im schwarzen, das andere Mal im weißen Frack) verlieh Gerd Vogel seinen kraftvollen, sonoren Bass. Mária Petrašovská als Kartenaufschlägerin wurde nach der Vorstellung vom Intendanten Axel Köhler und dem Personalrat nach 30-jährigem Wirken an der Oper Halle in den Ruhestand verabschiedet.

Insgesamt ein sehr gelungener Opernabend.

Manfred Langer, 16.12.2014

Fotos: Theater, Oper und Orchester GmbH / Copyright Anna Kolata

*) Das Sparprogramm der Landesregierung von Sachsen-Anhalt wurde im Juni dieses Jahres im Rahmen des neuen Theatervertrags verabschiedet: 20% des Personals, etwa hälftig im künstlerischen und im Verwaltungsbereich müssen abgebaut werden. Am stärksten ist das Orchester betroffen. Das wird dann seit dem Sozialismus in etwa halbiert werden (aber immer noch A-Orchester), was einen weit schärferen Einschnitt bedeutet, als durch den Rückgang der Zahl der Steuerzahler im Raum Halle-Merseburg begründbar wäre. Aus der westlichen Ferne gelangt man zu dem Eindruck, dass im benachbarten Freistaat Sachsen, die Entwicklung der Theaterlandschaft mit mehr Plan und Weitsicht vorgenommen wurde.