Nach der umjubelten Premiere von Cileas selten gespielter Oper „Adriana Lecouvreur“ im letzten Mai 2022 in Düsseldorf war Gianluca Falaschis glamouröse Inszenierung dieses Melodramas nun auch in Duisburg zu sehen. Und auch in Duisburg stand das Publikum Kopf, wollte der stürmische Beifall nach knapp drei Stunden rauschhafter Gesangsoper nicht enden. Cilea, der mit Mascagni, Leoncavallo und Giordano als Vertreter des Verismo gehandelt wird, kannte natürlich auch die Opern seines Zeitgenossen Puccini sehr genau und mehr als einmal glaubt man Anklänge an Puccinis Oper „Manon Lescaut“ (1893) in der knapp zehn Jahre später uraufgeführten „Adriana Lecouvreur“ (1902) vernehmen zu können. In Duisburg wird wie überall Cileas Oper in der umgearbeiteten Fassung vom Mai 1930 geboten, die in dieser Version vor allem in Italien ein viel gespielter Renner ist. Zugrunde liegt dem Libretto von Arturo Colautti das im 19. Jahrhundert überaus erfolgreiche Schauspiel „Adrienne Lecouvreur“ von Eugène Scribe und Ernest Legouvé, dessen Handlung auf eine wahre Geschichte zurückgreift.
Die Schauspielerin Adrienne Lecouvreur, ab 1717 umjubelter Star der Comédie Francaise, rivalisierte in unheilvoller Weise mit der Fürstin von Bouillon um Moritz von Sachsen, Kriegsheld und Sohn August des Starken. Der frühe Tod Adriennes ließ schnell, aber zu Unrecht das Gerücht eines Giftmordes durch Adriennes Rivalin aufkommen. In Cileas Oper wird dieses Rachemotiv weidlich ausgenutzt. Die Titelheldin erhält angeblich zu ihrem Geburtstag ein Blumengeschenk Maurizios. Die Blume ist vergiftet und beendet die Liebesbeziehung der Schauspielerin zum Conte di Sassonia auf melodramatische Weise. Diese tragische Dreiecksbeziehung steht in der Inszenierung von Gianluca Falaschi indes nicht im Mittelpunkt. Er verlegt die Handlung aus dem 18. Jahrhundert in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts .Wir erleben die gefeierte Schauspielerin als Filmdiva in einem Filmset, das sich mal auf den Broadway Boulevards, mal in den Hollywood Hills befindet. Spiel und Realität verwischen. Selbst die nach dem Libretto eigentlich intime Sterbeszene wird im wahrsten Sinne des Wortes von Scheinwerfern ausgeleuchtet und findet unter den Augen aller möglichen Komparsen und Theaterleuten statt. So wird der stimmungsvolle Hintergrund des Bühnenbildes mit einer symbolträchtigen Malerei eines Herbstwaldes als das entlarvt, was er ist: eine geschickte Täuschung. Adriana identifiziert sich mit ihrer Rolle als Schauspielerin, ohne das Theater verliert sie ihre Identität. Als sie gegen Ende ihres Lebens erkennen muss, dass ihr Künstlerdasein in Wirklichkeit eine Scheinwelt bedeutet, vermag sie nicht weiterzuleben. Sie stirbt, weil sie keine Bühne mehr zum Leben hat.
Für diese glitzernde Scheinwelt des Theaters findet Regisseur, Bühnenbildner und Ausstatter (Kostüme) Gianluca Falaschi vor allem im 3. Akt, der das Fest des Fürsten von Bouillon bietet, ein eindrucksvolles Ambiente. Man wähnt sich in einer Revue oder einem Varieté, wobei die verschwenderischen Kostüme, die silberne Treppe und die überdimensional große Leuchtschrift mit dem Namen der Schauspielerin besonders hervorstechen. In diesem Rahmen kommt es zum großen Showdown der beiden Rivalinnen. Auf dem Höhepunkt des Festes trägt Adriana, als sie zu einer Kostprobe ihres Könnens aufgefordert wird, die Klageszene der Phädra vor und stellt dadurch die Fürstin von Bouillon als treulose Ehefrau an den Pranger.
Hier und da hätte man sich, was die Personenregie angeht, eine noch größere Intensität in der Herausarbeitung der Konflikte gewünscht. Immer wieder treten die Figuren an die Rampe und deklamieren in großen Arien ihre Gefühle und Leidenschaften. Das ist zwar sängerfreundlich, höhlt aber doch etwas den Spannungsbogen der eigentlich dramatischen Handlung aus.
Musikalisch bleiben an diesem Abend kaum Wünsche offen. Péter Halász kostet mit den gut aufgelegten Duisburger Philharmonikern die schwelgerische Musik Cileas voll aus und begleitet die Sängerinnen und Sänger mehr als einfühlsam. Gerade die leisen Partien der Partitur gelingen in dieser Interpretation ganz wunderbar. Liana Aleksanyan ist als Adriana Lecouvreur in dieser Rolle eine würdige Nachfolgerin der unvergessenen Maria Callas, die als Interpretin dieser Partie Maßstäbe gesetzt hat. In ihrer Auftrittsarie „Io son l’umile ancella“ hält sie sich noch bewusst zurück, um dann in den dramatischen Szenen der Oper mit leuchtendem Forte, in der Sterbeszene des letzten Aktes mit herrlichem Piano die innere Zerrissenheit der Titelfigur beeindruckend zu gestalten. Das Publikum feierte diese Ausnahmesängerin zu Recht mit tosendem Beifall.
Die große Rivalin Adrianas, die Fürstin von Bouillon, wird von der Mezzosopranistin Ramona Zaharia schauspielerisch und sängerisch fulminant verkörpert. Ihr nimmt man die Gefühle der Verzweiflung und Eifersucht, die Rache- und Mordgelüste bedingungslos ab. Wenn sie auftritt, dann ist kein Raum mehr für andere Personen: eine wirklich superbe Leistung! Eduardo Aladrén weiß sich in der wenig sympathischen Rolle des wankelmütigen, stets auf seinen Vorteil bedachten Verführers mit viriler Stimmgewalt vor allem bei den Spitzentönen zu behaupten. Besonders in der Mittellage verströmt die Stimme balsamische Wärme. Kleinere Intonationsprobleme mindern nicht eine insgesamt imponierende musikalische Darbietung.
Anooshah Golesorkhi verleiht mit makellos geführtem, strömendem Bariton dem Regisseur Michonnet, der Adriana mit selbstloser Liebe begegnet und deshalb in der Inszenierung Falaschis nach deren Tod auch als einziger das Privileg genießt, bei ihr verweilen zu dürfen, sehr sympathische, glaubhaft mitfühlende Züge. Auch alle anderen Partien sind exzellent besetzt: Benjamin Pop als Fürst von Bouillon, Tae-Hwan Yun als Abbé von Chazeuil und in kleineren Nebenrollen Katarzyna Kunico als Dangeville, Shengwu Ou als Poisson und Matteo Guerzé als Quinault. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein (Leitung: Patrick Francis Chestnut) hat im 3. Akt seinen großen Auftritt und ist hier auch schauspielerisch in hohem Maße gefordert. Kein Zweifel kann darüber bestehen, dass die Künstler diesem Anspruch voll gerecht werden. Das Publikum im voll besetzten Haus feierte alle Beteiligten mit geradezu enthusiastischem Beifall. Liana Aleksanyan und Ramona Zaharia durften sich dabei ganz besonders in der Gunst der Besucher sonnen.
Norbert Pabelick, 16. Januar 2023
„Adriana Lecouvreur“ Francesco Cilea
Deutsche Oper am Rhein Duisburg
Besuchte Premiere: 14. Januar 2023
Inszenierung: Gianluca Falaschi
Musikalische Leitung: Péter Halász
Duisburger Philharmoniker
Weitere Vorstellungen 21. Januar / 3. und 8. Februar/ 7. März