Kann man in der heutigen Zeit, in denen der Krieg vor den Toren Europas allgegenwärtig ist, Gaetano Donizettis Oper Die Regimentstochter noch auf den aktuellen Opern-Spielplan setzen? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten und sicherlich gibt es sehr gute Argumente dafür wie auch dagegen. Das Theater Krefeld hat sich vor einigen Monaten bekanntlich dafür entschieden, eine geplante Neuinszenierung durch eine Aufführungsreihe von Georges Bizets Die Perlenfischer zu ersetzen. Nicht zuletzt auch unter dem Aspekt, dass die Darstellung des Militärs in La Fille du régiment in der Tat eine gewisse Naivität aufzeigt. Auch einige Textpassagen kann man heute in dieser Form wirklich nicht mehr mit ruhigem Gewissen vertreten. Allerdings stammt das Werk auch aus dem Jahr 1840, einer komplett anderen Zeit, die mit heute wenig gemein hat. Unter diesem Aspekt ist jedes Opernwerk auch immer ein Stück Zeitgeschichte, welches sich eben auch unter diesem Gesichtspunkt betrachten lässt. Ebenfalls ist eine Wiederaufnahme einer klassischen Operninszenierung auch nochmal etwas ganz anderes als eine Neuinszenierung und so soll an dieser Stelle zu diesem Thema nur festgehalten werden, dass man mit der Wiederaufnahme der Oper am Duisburger Theater am 19. April 2023 alles richtig gemacht hat. Gerade solch herrlich „altmodische“ Inszenierungen sind heute fast eine Seltenheit geworden, seine Premiere erlebte diese Regimentstochter in der Inszenierung von Emilio Sagi nämlich bereits 23. Januar 2000 im Theater Duisburg, also vor mehr als 23 Jahren.
Und hierbei ist das Wort „altmodisch“ durchaus als Kompliment gemeint. Dies beginnt schon damit, dass man dem Zuschauer eine Ouvertüre bei geschlossenem Vorhang präsentiert. Ich habe mich hierbei kurz dabei ertappt, dass mir nicht mehr spontan eingefallen ist, wann ich dies das letzte Mal erlebt habe. Sehr gelungen sind auch die beiden großen Bühnenbilder für die zwei Akte der Oper, die seinerzeit von dem bekannten kolumbianischen Künstler Fernando Botero entworfen wurden. Sein Markenzeichen war stets die überzeichnete Darstellung der Proportionen, denn in seiner ureigenen Ästhetik sind besonders dickere Menschen schön. So steht auf dem Marktplatz im ersten Akt auch eine übergroße Statue einer nackten Dame, rundherum erscheinen die Häuserfassaden des kleinen Städtchens in kräftigen Farben. Nett hierbei auch, wie sich ein Darsteller aus der Wohnung im ersten Stockwerk durch das Fenster in die Handlung einbringt. Der zweite Akt spielt in der Wohnung der Marquise de Berkenfield, entsprechend wurde hier ein großer Salon für die Handlung entworfen, samt Deckenabgrenzung, die man heute auch immer weniger sieht. Auch hier darf eine über-proportionierte Figur hinter dem großen Fenster nicht fehlen. Auch die Kostüme stammen von Botero und auch hier überwiegt die Körperfülle der Sänger und Sängerinnen in ihren ausgestopften Kostümen, was durchaus eine gewisse Heiterkeit hervorruft.
Allgemein setzt die Produktion den komischen Aspekt in den Mittelpunkt, so sind zur geplanten Hochzeit im zweiten Akt auch zahlreiche Adelige geladen, die dem Opernfreund bestens bekannt sein dürften. Eine Adriana Lecouvreur oder eine Floria Tosca mischt sich ebenso unter die Gäste wie ein namenloser Wanderer mit Augenklappe. Der humorvolle Ansatz kommt auch dem spielfreudigen Ensemble der Deutschen Oper am Rhein sichtlich entgegen. Allen voran legt Günes Gürle mit viel Mimik den Regiments-Sergeant Sulpice als liebevollen Vorgesetzten aus, der mit seiner schelmischen Art immer wieder für Heiterkeit sorgt. Dazu sorgt der Bassbariton mit seiner warmen Stimme für musikalischen Hochgenuss. Auch Elena Sancho Pereg kann in der nicht einfachen Rolle der Marie vollkommen überzeugen. Die spanische Sopranistin verfügt über ein Stimmvolumen, was auch in den zahlreichen Koloraturen und hohen Tönen der Partie stets sicher bleibt. Zudem gelingt es ihr treffend, die jugendliche Ausstrahlung der Marie auf eine leichte und natürliche Weise auf die große Opernbühne zu bringen. Im treffenden Gegensatz dazu legt Susan Maclean als Marquise de Berkenfield eine adelige Überheblichkeit an den Tag, die ebenfalls überzeugen kann. In der Rolle des Tonio weiß Andrés Sulbarán mit seinem hellen Tenor zu gefallen. Auch die weiteren Rollen sind durchweg passend besetzt und der Opernchor unter der Leitung von Gerhard Michalski zeigt sich einmal mehr gut einstudiert.
Als einer der führenden Belcanto-Dirigenten hat sich Antonino Fogliani inzwischen einen Namen gemacht. Entsprechend wurde in der sehr unterhaltsamen Einführung vor der Aufführung noch gescherzt: „Wer an der Mailänder Scala einen Donizetti dirigieren darf, darf dieses auch gerne in Duisburg machen.“ Unter seiner Leitung bilden die Duisburger Philharmoniker eine gelungene Einheit, der man gerne zuhört. Da stört es dann auch nicht weiter, dass offenbar die Übertitel etwas bruchstückhaft angezeigt werden. Und das bei einer Produktion, bei der auch die vielen Sprechtexte komplett in französischer Sprache bleiben. Sehr schade ist allerdings, dass sich nur sehr wenige Zuschauer im Duisburger Theater zu dieser Wiederaufnahme eingefunden haben. Hier bleibt zu hoffen, dass die folgenden Wochenend-Termine mehr Zuspruch finden werden, denn diese Inszenierung kann man allen Opernfreunden wärmstens empfehlen, die von modernen Deutungen mal eine kleine Auszeit nehmen wollen. Bei der Aufführung am 7. Mai gilt übrigens das Motto: „Zahl, so viel Du willst!“. Hier kann der Besucher den gewünschten Eintrittspreis ab 10 Euro auf allen Plätzen selbst wählen.
Markus Lamers, 22. April 2023
La Fille du régiment
Opéra comique von Gaetano Donizetti
Deutsche Oper am Rhein, Duisburg
Besuchte Wiederaufnahme: 19. April 2023
Inszenierung: Emilio Sagi
Bühne und Kostüme: Fernando Botero
Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Duisburger Philharmoniker
Weitere Termine: 7. Mai, 21. Mai, 28. Mai, 9. Juni