Duisburg: „Maria Stuarda“

Zum Zweiten

Premiere: 15.12.2017

Vorstellung: 28.12.2017

Marias Legendenbildung

Es ist bekannt, dass die Begegnung von Maria Stuart, Königin von Schottland, und Elisabeth, Königin von England, nie stattgefunden hat. Sie ist eine Erfindung Friedrich Schillers. Aber diese Freiheit war sein gutes Recht, zumal eine große dramatische Szene entstand. Gaetano Donizetti hat für seine „Maria Stuarda“ aus operndramaturgischen Gründen weitere Modifikationen vorgenommen. Zuschlechterletzt waren aufgrund königlicher Verdrießlichkeiten nochmals radikale Eingriffe erforderlich. Sie führten zu einer grotesken Verstümmelung der Handlung, welche nunmehr Parteienkämpfe im Italien der Renaissance schilderte: „Buondelmote“ hieß diese Kreation, welche nach der Premiere aber sofort wieder in der Versenkung verschwand. Doch auch die eigentliche „Maria Stuarda“ blieb nicht ungeschoren. Erst mit einer auf die Sängerin Maria Malibran zugeschnittenen Fassung fand 1835 das Herumschnippeln an Partitur und Libretto ein Ende. Gleichwohl blieben Aufführungen spärlich. Erst im 20. Jahrhundert kam es zu einer nachhaltigen Wiederbelebung des Werkes, 1958 beginnend mit einer Aufführung in Bergamo, welche von Oliviero de Fabritiis dirigiert wurde. Spätere wichtige Produktionen erfolgten 1967 in Florenz (mit Leyla Gencer) und 1979 in Barcelona (mit Montserrat Caballé). Auch in der Folge war die Verfügbarkeit von exquisiten Koloratursängerinnen stets ein besonderer Grund, die Oper auf den Spielplan zu setzen, so im Falle von Joan Sutherland und Edita Gruberova. In dieser Primadonnen-Phalanx nimmt Janet Baker (Sadler’s Wells 1973) einen nicht ganz einschätzbaren Platz ein. Aber die selbstkritische Künstlerin wählte die Maria ein Jahrzehnt später sogar für ihren Bühnenabschied. In Duisburg (Deutsche Oper am Rhein) bietet jetzt Olesya Golovneva mit großer sängerischer Verve und differenzierter Darstellung ein Rollendebüt von höchstem Rang.

Guy Joostens Inszenierung rückt die Titelfigur nachdrücklich ins Rampenlicht. Zur Ouvertüre, welche bereits das sorgfältige und inspirierte Spiel der von Lukas Beikircher akribisch, aber auch locker dirigierten Duisburger Philharmoniker erkennen lässt, erscheint per Video eine Niederschrift Marias: „My end is my beginning.“ Die historische Königin hat diese Worte in der Tat in ihre Stickarbeiten eingearbeitet, möglicherweise um ihrer fast zwanzig Jahre währenden Gefangenschaft bei Elisabeth einen tieferen Sinn zu geben. Bei Joosten wird dieser Satz nun sogar zu einer bewussten und theatralisch inszenierten Legendenbildung durch die Protagonistin, was nicht in jedem Detail streng realistisch zu sehen ist. Nachdem sich die zum Tode Verurteilte von ihren Anhängern im historischen Kostüm verabschiedet hat (ansonsten bietet Eva Krämer eine Mischung von Gestern und Heute), legt sie es – auf einen Tisch steigend – bis auf das rote Unterkleid ab. Der Rache- und Mahncharakter dieser Szene setzt sich beim Chor fort, welcher sich rote Stoffe überwirft, und einem Lichterguss von gleichfalls weinfarbiger Intensität, welcher sich fraglos auf das Blut bei der natürlich nicht gezeigten realen Hinrichtung bezieht. Elisabeth, welche glaubt, mit Marias Tod ihre auch in Sachen Liebe bestehende Rivalität (Leicester) überwinden und für ihren Seelenfrieden ad acta legen zu können, muss sich, mühsam von ihrem Racheeinflüsterer Cecil geschützt, vor der Wut des Mobs in eine der Gefängniszellen zurückziehen, welche zuvor Maria beherbergte. Nicht sie, sondern diese ist also Siegerin im Kampf geblieben. Ein interessanter Aspekt, bei dem man freilich historische Realität zu negieren hat. Doch das ist die Freiheit nachschöpferischen Theaterspiels.

Als etwas problematisch könnte man (muss aber nicht) die Ausstattung von Roel Van Berckelaer empfinden. Sein gleich bleibendes Bühnenbild (Gefängnisgebäude mit Einzelzellen, zu denen seitliche Treppen hochführen) beruft sich auf die Panoptiken, mit welchen Jeremy Bentham im 19. Jahrhundert die traditionellen Gefängnisse ersetzte, mit dem Vorteil einer quasi „unsichtbaren“ Überwachung. „Gewissheitshäuser“ statt „Sicherheitshäuser“ wie er es formulierte. Dies inszenatorisch für Donizettis „Maria Stuarda“ zu nutzen, entbehrt sicher nicht der Logik, wirkt aber letztlich doch etwas weit hergeholt. Und fast schon kurios mutet es an, wenn die zum Todesurteil noch unentschlossene Elisabeth in dem jetzt fast wie eine Gastwirtschaft anmutenden Ambiente Platz nimmt. Dass sie ständig von kindlich kichernden Maria-Gestalten umschwirrt wird, macht wiederum tiefenpsychologisch Sinn. Später wird das Volk Maria huldigen; für seine Feierstimmung holt es sich aus einem riesigen Kühlschrank Getränkeflaschen. Also bitte. Joostens Regie schwankt also zwischen erhellenden Einfällen, von welchen die Protagonistinnen am meisten profitieren, und befremdlichen Momenten. Mit der Führung des Chores kommt der Regisseur überhaupt nicht recht klar. Viel kompakte Statik, zu Beginn auf den Treppen schematisch Lebendigkeit durch Gegenbewegung.

Musikalisch macht die Aufführung, wie bereits gesagt, viel Freude. Nun gibt Donizettis Werk aber auch viel her. Neben konventionell bleibenden Szenen erlebt man immer wieder den Aufbruch zum Musikdrama, was bei der großen Szene zwischen Maria und ihrem Betreuer und Beichtvater Talbot im 3. Akt kulminiert. Hier bewahrt sich einmal mehr die eminente Ausstrahlung von Olesya Golovneva, wie sie schon oft erlebt werden konnte (u.a. in Köln, wo die Sängerin ein besonders vielseitiges Rollenspektrum bot). Ein würdiger, bassmächtiger Partner war in der gesehenen 4. Vorstellung der polnische Bass Wojtek Gierlach, welcher die ihm freilich vertraute Partie offenbar kurzfristig übernommen hatte.

Sarah Ferede ist eine sehr junge Elisabetta, worin man durchaus einen Rollenvorteil sehen kann. Ihre expansive Partie meistert ihr heller Mezzo sicher und autoritativ, kommt an die vokale Rundung von Olesya Golovneva freilich nicht ganz heran. Gianluca Terranova bewältigt mit seinem gleißenden Tenor die enormen Höhenflüge der Leicester-Partie mühelos, Laimonas Pautienius eifert überzeugend als Cecil, und Maria Boiko macht viel aus der marginalen Rolle von Marias Vertrauter Anna Kennedy.

Mit der gesehenen Aufführung ist die erste Spielserie von „Maria Stuarda“ abgeschlossen. Aufführungen im Neuen Jahr (Januar, Mai, Juni – alle in Duisburg) werden auch alternative Besetzungen offerieren.

Christoph Zimmermann (29.12.2017)