Berlin: „Der Zwerg“, Alexander Zemlinsky

Premiere am 24. März 2019

Der Zwerg ganz groß

Wer seine Neugier nicht hatte zügeln können und sich bereits im Vorfeld über die neue Produktion der deutschen Oper, Zemlinskys Der Zwerg hatte informieren wollen, wurde zumindest von den Äußerungen des Regisseurs Tobias Kratzer in einem Interview enttäuscht, denn der schien sich eher über die Mängel von Elektro-Autos als seine Inszenierung äußern zu wollen. Umso größer waren die freudige Überraschung und das glückliche Erstaunen am Premierenabend selbst, als eine durch und durch stimmige, Werk und Schöpfer respektierende und hochinteressante Premiere zum einhelligen Jubel des Publikums führte.

Oft wird „Der Zwerg“ zusammen mit Zemlinskys „Eine florentinische Tragödie“ aufgeführt, in der Deutschen Oper entschied man sich jedoch dafür, der anderthalbstündigen Oper zehn Minuten Schönberg voranzustellen, die „Begleitmusik zu einer Lichtspielszene für Orchester op. 34“, deren Musik ungleich moderner, abstrakter und „kälter“ wirkte als die schwelgerische, farbige, leicht dekadent angehauchte Zemlinskys. Hochinteressant war es, dass die Regie die modernere Musik gediegen traditionell in Szene setzte, während die Bühne für den Zemlinsky aseptischer, abstrakter, stilisierter wirkt. Kontrastierten also die beiden ungleichen Hälften des Abends in ihrer Optik wie in der Musik, so wurden sie inhaltlich dadurch in eine enge Beziehung gesetzt, dass die gängige Vermutung aufgegriffen wurde, Zemlinsky habe im Zwerg sein eigenes, von seiner optischen Unscheinbarkeit bestimmtes Leben darstellen wollen. In einem vornehm düsteren Musiksalon ringen Zemlinsky und seine zeitweise Geliebte Alma Schindler, später mit Mahler, Gropius, Werfel vermählt, gleichermaßen um ein korrektes Klavierspiel wie um eine befriedigende Liebesbeziehung. Am Schluss der kurzen Szene verlässt Alma wütend das Haus des Komponisten, der verzweifelt zurückbleibt (und nun vielleicht den Zwerg komponiert).

Die Bühne von Rainer Sellmaier für die Zemlinsky-Oper ist ein weißer, aseptisch wirkender, gar nicht nach vielzitierter grüner Wiese mit duftenden Blumen aussehender Musiksaal, an dessen Wänden die ebenfalls gipsweißen Büsten von Musikern thronen, die der Zwerg, nachdem er die Wahrheit über seine Missgestalt erfahren hat, als Wurfgeschosse gegen sich selbst, das heißt sein zweites Ich benutzt. Kratzer ist auf die geniale Idee gekommen, die Figur in ein optisches, durch einen wirklichen Kleinwüchsigen dargestelltes Wesen und ein akustisches, durch einen Sänger vertretenes zweites, quasi schönes Seelen- Ich zu spalten. Ein Gänsehaut erzeugender Moment ist die Szene, wenn vor einer schwarzen Spiegelwand der wohlgestaltete Sänger steht und im Spiegel den Zwerg, sein eigentliches Ich, erblickt. Einen fast versöhnlichen Schluss hat die Inszenierung, wenn anstelle der von ihrem Sockel geworfenen Komponistenköpfe nun der Zemliskys einen Ehrenplatz in der Mitte des Saals erhält. Der Traum vom schönen, tapferen Ritter aber, als den der Zwerg sich gesehen hat, zerplatzt wie der rote Luftballon, den die Infantin mit einer spitzen Nadel zersticht.

Trotz der Kürze der Oper ist die Partie des Zwergs eine mörderische, nicht zuletzt wegen des üppigen Orchesterklangs, gegen den es anzusingen gilt. David Butt Philip meisterte sie tadellos mit dem Einsatz einer frischen, strapazierfähigen, farbigen Tenorstimme, die auch zu zarten, nicht minder präsenten Tönen fähig war. Zwei einander gleichwertige Frauenrollen sind die der Infantin Clara und die ihrer Vertrauten Ghita, die optisch von der Regie älter gesehen wird, als der Text des Librettos es nahelegt. Emily Magee verlieh der Warmherzigeren der beiden einen runden, farbigen Klang, Elena Tsallagova der Unbekümmerten, Unbedachten silbrige, schillernde Töne, beide Idealbesetzungen auch durch die auffallenden Kontraste, die sie voneinander unterschieden. Viel zu tun hatten die Stipendiaten der Deutschen Oper mit einem auch vokale Autorität ausstrahlenden Philipp Jekal als Don Estobal, mit Flurina Stucki, Amber Fasquelle und Maiju Vaahtoluoto als Zofen. Nur die Damen des Chors wurden als Gespielinnen der Infantin an diesem Abend benötigt (Jeremy Bines). Den Prolog gestalteten Adelle Eslinger, ausgebildete Pianistin und Gattin des Generalmusikdirektors, als Alma und Evgeny Nikiforov als Zemlinsky. Donald Runnicles leistete mit dem Orchester Großartiges, Überwältigendes, Mitreißendes, Bühne und Orchester bildeten eine Einheit, widersprachen einander nicht wie leider so oft in letzter Zeit, sondern ergänzten einander so, wie es sich die Schöpfer des Werks wohl gewünscht hätten.

Foto Monika Rittershaus

25. März 2019, Ingrid Wanja