Berlin: „Francesca da Rimini“

Kühle Optik zu heißer Musik

Googelt man nach den Begriffen Berlin und Zandonai, dann erfährt man über mehrere Seiten hinweg viel über eine Bäckerei eines gewissen Andreas Zandonai in der deutschen Hauptstadt, die sich eines hervorragenden Rufs zu erfreuen scheint, nichts jedoch über Aufführungen einer der Opern des italienischen Komponisten Riccardo gleichen Namens. Zumindest nach dem Krieg ist wohl auch seine bekannteste Oper Francesca da Rimini hier nicht mehr aufgeführt worden, und noch in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts erntete man in der Chefetage der Deutschen Oper Berlin nur ein so verlegenes wie mitleidiges Lächeln, wenn man nach diesem Werk oder nach Cileas Adriana Lecouvreur fragte. Inzwischen ist dank der Wünsche der Diven Angela Gheorghiu und Anna Netrebko die Adriana bereits zweimal, wenn auch nur und wahrscheinlich zum Glück konzertant aufgeführt worden, und nun endlich kommt dank des Bestrebens von Regisseur Christof Loy, selbstbewusste, ihrem Schicksal trotzig die Stirn bietende Frauen auf die Bühne zu stellen, auch Francesca auf die der Deutschen Oper. Die erste dieser Damen war die Heliane Korngolds, der Francesca soll in Bälde die Els Schrekers aus seinem Schatzgräber folgen. In Italien übrigens brach die Aufführungstradition nie ab, Magda Olivero war eine raffinierte Francesca, Raina Kabaivanska mit den Partnern Franco Tagliavini oder William Matteuzzi eine würdige Nachfolgerin, mit Daniela Dessì und Fabio Armiliato gibt es aus Macerata und Rom eine Aufnahme in üppigster Ausstattung. Auch die Met verfügte mit Renata Scotto und Placido Domingo über ein attraktives Liebespaar.

Der erste und berühmteste Hinweis auf das Schicksal Francescas stammt aus Dantes Göttlicher Komödie, in der die Tochter aus der Familie Polenta in Ravenna, bei deren Neffen der Dichter zu Gast war, als unseliger Schatten an der Seite ihres Geliebten Paolo in der Hölle schmachtet, ihn beschuldigt, sie durch die Lektüre der Sage von Lancelot und Ginevra zum Ehebruch verführt zu haben. Erst Boccaccio macht Francesca in seinen Esposizioni sopra la Commedia di Dante zur Heldin, unschuldig und willensstark, durch einen Betrug des eigenen Bruders in eine ungeliebte Ehe gezwungen und sich opferbereit vor den Geliebten werfend, als der Gatte den Ehebruch rächen will. Gabriele d’Annunzio, der mit seinem Versroman die Vorlage für Tito Ricordi, den Librettisten Zandonais, schuf, schmückte die Geschichte weiter aus, bezog Tristan und Isolde mit ein und war nicht der einzige, denn neben vielen anderen nahmen sich John Keats, Paul Heyse, Ernst von Wildenbruch der Geschichte an, die unter anderen von Mercadante, Liszt, Tschaikowski, Thomas und Rachmaninow vertont wurde.

Die Freude an Schönheit und Üppigkeit des Rinascimento kennzeichnete die oben erwähnten Produktionen, Anklänge an das Vittoriale D’Annunzios am Gardasee manchmal erahnbar. Christoph Loy und sein Bühnenbildner Johannes Leiacke r verirren sich zwar nicht in Hässlichkeit und Dürftigkeit, verschonen den Zuschauer mit Videosequenzen und schriftlichen Bekundungen ihres politischen Standpunkts. Ihre Optik ist schön und elegant, aber so kalt, dass sie als Gegensatz zur leidenschaftlichen Handlung und Musik erfahren wird. Letztere findet in Carlo Rizzi einen kompetenten Anwalt, das Orchester der Deutschen Oper zeigt sich an diesem Abend in Hochform. Für die Deutsche Oper ist wieder wie schon bei der Heliane ein hoher kühler Raum mit wenig Mobiliar, aber Zimmerpalmen entstanden, ein Einheitsbühnenbild für Ravenna und Rimini, für Turm und Schlafgemach. Man sieht auf eine Gebirgslandschaft, die nichts mit Ravenna und nichts mit dem angeblich sichtbaren Meer zu tun hat. Die Kostüme von Klaus Bruns passen in das frühe 20. Jahrhundert, nur in der letzten Szene taucht noch einmal der Sänger aus dem ersten Akt als Statist in Renaissancegewandung auf. Ansonsten gibt es Schuluniformen oder Blümchenkleider für die Gespielinnen Francescas, für sie selbst durchgehend elegantes Schwarz.

Trotz der Zeitversetzung und der damit verbundenen Unwahrscheinlichkeiten ist die Welt für den Opernfreund bis zum vorletzten Bild durchaus noch in Ordnung. Doch dann kommt es gleich ganz dicke , wenn Francesca mit Maletestino eine dolle Nummer abzieht, in dieser Szene kippt der Abend , und der Zuschauer denkt: Zu Recht schmorst du in der Hölle. Aber auch zu Beginn kam man schon schnell zur Sache, wenn sich die beiden Liebenden bereits im ersten Akt leidenschaftlich küssen und damit dem 3. Akt viel an Brisanz nehmen. Ein toller Gag ist der schnelle Wechsel der Bräutigame, denn husch husch ist Paolo il Bello verschwunden vom Tisch, an dem der Ehevertrag unterzeichnet wird, und sein älterer, eigentlich gar nicht so übel aussehender Bruder hat seinen Platz eingenommen. So kann man ohne Unterbrechung in den zweiten Akt überwechseln.

Die überaus anspruchsvolle Partie der Francesca war bei Sara Jakubiak in den besten Händen, hingebungsvoll gespielt, und auf den besten Stimmbändern platziert, die schöne, weiche Töne im 3. Akt hören ließen, der schillernden Partie besonders in der Mittellage gerecht wurden, sicher , wenn auch ein wenig anonym in der Höhe im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen. Ein wirklich zu Recht il Bello genannter Paolo war Jonathan Tetelman mit angenehmem Timbre, nie ermüdend und ein wunderschönes „Francesca“ zum Schluss des dritten Akts singend.

Beinahe sympathisch erschien der ehrlich liebende Gianciotto von Ivan Inverardi, in seiner Verzweiflung über den doppelten Verrat fast bemitleidenswert werdend und zudem mit einem gar nicht brunnenvergiftenden, sondern schönen Bariton begabt. Charles Workma n gab mit durchdringendem Charaktertenor den intriganten Malatestino. Mit guter Diktion sang Samuel Dale Johnson den Bruder Francescas, eine schöne Stimme stellte Dean Murphy mit dem Narren vor. Ganz vorzüglich waren die vielen Frauenrollen besetzt. Besonders Meechot Marrero als anrührende Biancofiore, Amira Elmadfa als Smaragdi mit warmer Mezzostimme und Barbara Hutton als Samaritana mit weich fließendem lyrischem Sopran konnten sich profilieren. Da ihre Rolle sich auf den ersten Akt beschränkte, durfte Letztere die Zuschauer in der Pause durch das Opernhaus führen.

Mit dieser Produktion ist der Deutschen Oper ein wahrer Coup gelungen, repertoirefähig und eine echte Bereicherung für das Berliner Opernleben. Am 14.3. war sie als Stream zu erleben und wird es weiterhin, bald aber nicht mehr ohne Bezahlung sein. Ab Anfang April hofft man wieder das Publikum im Haus an der Bismarckstraße begrüßen zu können.

Fotos Monika Rittershaus

14.3.2021 Ingrid Wanja