Berlin: „Parsifal“, Richard Wagner

Ein Grüppchen fanatischer Bravorufer gegen ein Häuflein Buh-Schreier und dazwischen ein mehr oder weniger verstörtes, aber apathisches Publikum, das ist in Berliner Opernhäusern Premierenalltag. Zuschauer hingegen, die zugleich Bravo und Buh rufen möchten, die hin- und hergerissen zwischen jubelnder Zustimmung und wütender Ablehnung sind, die gibt es nur selten. Philipp Stölzls Inszenierung von Wagners Parsifal hat das Zeug dazu, eine Reaktion zwischen Zustimmung und Ablehnung wachzurufen, besonders in einer Sängerbesetzung wie die der jetzigen Wiederaufnahme, und bedient sich dazu unter anderem einiger Änderungen im Vergleich zur Vorlage.

© Bettina Stöß

So gibt es keinen erlegten Schwan, was man nur gutheißen kann, denn damit entfallen schon einmal viele Möglichkeiten, den kurzen Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen zu vollziehen. Die Gralsritter werden historisch festgelegt zu solchen des Templerordens gemacht, mit rotem Kreuz auf weißer Kutte, und damit müsste jedem in Geschichte Bewanderten klar sein, dass ihre Geschichte bereits im 14. Jahrhundert endete, als der französische König für die Auflösung des Ordens sorgte. Neben ihnen gibt es noch ein Grüppchen Geißler, und auch einige aus einer Eremitenklause Entlaufene gesellen sich zu der illustren Schar. Amfortas wird nicht in den Tod erlöst, sondern begeht Selbstmord, womit die gesamte Geschichte ihres Sinns entkleidet wird. Kundry wird nicht sterbend erlöst, sondern begleitet das Ende der Oper mit einem schrillen Schrei, der wohl andeuten soll, dass die gesamte Geschichte der Gralsritter mit ihren Verfehlungen sich wiederholen wird und das vielleicht unendliche, bis in unsere Zeit reichende Male. Parsifal tötet Klingsor nicht im offenen Kampf, sondern hinterrücks wie Hagen Siegfried, was den reinen Toren recht fies aussehen lässt. Hatte der konservative Opernbesucher sich zu Beginn auf einen Opernabend mit einem aufwändigen, anspruchsvollen Bühnenbild (Conrad Moritz Reinhardt) anfreunden können, so war doch sein Misstrauen geweckt worden nicht durch das Bebildern der Vorgeschichte an sich, der Kreuzigung mit dem Hohnlachen Kundrys , sondern durch die kitschige Darstellung, die sich selbst traditionellste Oberammergauer ob des Klischeehaften mit Schamröte bedecken lassen würde. Es gab durchaus auch wunderbar einfühlsam inszenierte Szenen wie die zwischen Parsifal und Kundry im zweiten Akt, und am Ende war es dann wieder so, dass Musik und Szene einander nicht befeuerten, ergänzten und sich zu einem bereichernden Miteinander verbanden, sondern bestenfalls einander tolerierten.

© Bettina Stöß

Bei einer so guten Besetzung wie der des 25. Februar hätte man sogar einen Parsifal in einer Raumkapsel oder in einem Waschsalon in Kauf genommen. Angenehm fiel von Anfang bis Ende und bei allen Beteiligten die heutzutage nur noch selten anzutreffende Textverständlichkeit auf. Allen voran ging damit der Gurnemanz von Günther Groissböck, der den ersten Akt nicht zu einer Geduldsprobe für den Hörer („Gurnemanz non finisce mai“, stöhnte einmal mein italienischer Nachbar bei einem anderen Interpreten), sondern zu einer hochspannenden Angelegenheit werden ließ. Dazu verströmte sein schlanker, aber hochpräsenter Bass vertrauenerweckende Schwärze. Trotz Entmannung ein erotisches Timbre konnte Joachim Goltz für den Klingsor einsetzen. Andrew Harris‘ Bass gab dem Titurel abgrundtiefe Schwärze, während Jordan Shanahan dem Schmerzensmann Amfortas ein akustisch dunkles Leuchten verlieh. Keine durch Üppigkeit welcher Art auch immer überwältigende, sondern mit feiner, mit viel erotischem Flair versehener Mezzostimme und elegantem Spiel war Irene Roberts eine sehr moderne Kundry. Klaus Florian Vogt hat sich genau so viel Knabenhaftes in seinem Tenor bewahrt, wie des dem Parsifal gut ansteht, und so viel an tenoraler Mannhaftigkeit entwickelt, wie es eine Wagnerpartie erfordert. Als Erster Gralsritter konnte Patrick Cook einen angenehmen Tenor präsentieren, aus der Schar der Knappen und der Blumenmädchen ragten Sua Jo und Hulkar Sabirova mit feinen Sopranen hervor.

© Bettina Stöß

Großartiges leisteten, und das auch szenisch, Chor, Extrachor und Kinderchor unter Jeremy Bines. Rar gemacht hatte sich in letzter Zeit Donald Runnicles, noch Generalmusikdirektor des Hauses und designierter Leiter der Dresdner Philharmonie. Als wolle er dem Berliner Publikum nahe bringen, was es in Zukunft an Verlusten zu tragen hat, führte er das Orchester der Deutschen Oper zu einer Glanzleistung, was Brillanz, dynamische Abstufung und das Kreieren spannungsvoller Bögen betraf. Das Publikum dankte es ihm bereits mit überaus herzlichem Auftrittsapplaus zum zweiten und dritten Akt, und zum Schluss bewies der stürmische Beifall, dass es einen besonderen Abend auch besonders zu schätzen weiß.

© Bettina Stöß

Warum opfert man fünfeinhalb Stunden wertvoller Lebenszeit, wenn man weiß, dass man sich nicht nur freuen, sondern auch ärgern wird? Weil den Ohren ein Hochgenuss sicher ist, die Augen immerhin Stoff zum Diskutieren anbieten und manchmal beides zusammen Zeiten von purem Opernglück liefert.

Ingrid Wanja, 25. Februar 2024


Parsifal
Richard Wagner

Deutsche Oper Berlin

Besuchte 20. Vorstellung am 25. Februar 2024
nach der Premiere am 21. Oktober 2012

Inszenierung: Philipp Stölzl
Musikalische Leitung: Sir Donald Runnicles
Orchester und Chor der Deutschen Oper Berlin