Wohl eine ganz besondere Beziehung hat die Deutsche Oper Berlin zum italienischen Komponisten Ottorino Respighi, dessen Oper Marie Victoire sie 2009 zur deutschen Erstaufführung in der Regie von Johannes Schaaf und unter der musikalischen Leitung von Michail Jurowski brachte, von der es eine CD des Labels cpo gibt. Selten gespielt ist auch das spätere Werk La Fiamma, dessen Premiere in der Deutschen Oper unmittelbar bevorsteht, und als Beitrag zum diesjährigen Musikfest Berlin bilden die Feste romane den ersten Programmpunkt zu einem mit Italia Nera übertitelten Programm, das so schwarz eigentlich gar nicht ist, denn es sterben zwar während der einleitenden Circenses die christlichen Märtyrer, das aber in der Gewissheit auf ein ewiges Leben. Dann geht es weiter mit Il Giubileo, bei dem die Ankunft der Pilger zur Feier des Heiligen Jahres im Mittelpunkt des musikalischen Geschehens steht, und auch das Oktober- und damit Weinfest wohl in Frascati ist alles andere als Nera, genauso wenig wie La Befana, das Dreikönigsfest, bei dem in manchen Gegenden Italiens eine Hexe den artigen Kindern Geschenke, den unartigen Kohlestücke bringt. Mit „Nera“ könnte natürlich auch die Tatsache gemeint sein, dass sich die Musik Respighis des Wohlwollens von Mussolini und damit seiner Schwarzhemden erfreute, was aber nachweisbar nicht auf aktiver Gegenseitigkeit beruhte.
Ganz finster wird es allerdings mit dem zweiten Programmpunkt, mit Luigi Nonos Canti di vita e d’amore, mit dem ersten von drei Titeln, Sul ponte di Hiroshima in schwärzeste Zeiten führend und mit Musik auf Texte von Günther Anders (Diario di Hiroshima e Nagasaki), Jesus López Pacheco (Esta Noche) an Djamila Boupada, eine für die Unabhängigkeit Algeriens kämpfende Aktivistin, und mit Cesare Pavese an Emilio Vedova, einen antifaschistischen Künstler, der zeitweise auch als Fabrikarbeiter tätig war, erinnernd. Die Bezüge zu den einzelnen Personen werden in den Texten selbst nicht deutlich, so dass eine Lektüre des informationsreichen Programmhefts der Deutschen Oper sehr empfehlenswert ist.
Nach der Pause kehrt das Orchester unter Sir Donald Runnicles zu seiner Kernkompetenz, der Oper, mit dem vierten Akt von Verdis Otello zurück, und wenn der Konzertbesucher im ersten Teil bei Respighis Feste geradezu überwältigt sein musste von der Klangpracht des Riesenorchesters, dem Gedanken nachsinnen konnte, ob es vielleicht doch Faschismuskritik war, was in den so brutalen wie glanzvollen Klängen des ersten Satzes im Kontrast zu den milden Christengesängen zu vernehmen war, wenn er verschämt sich freute über die fast zu romantisch daher kommende Italiniatà des dritten Satzes, so konnte er auf jeden Fall einverstanden sein mit der überbordenden Klangfülle, dem Kontrastreichtum, mit dem unbeugsamen Willen der generazione dell‘ottanta, der Vorherrschaft der deutschen und französischen Musik auf dem sinfonischen Sektor etwas Gleichwertiges entgegen zu setzen. Wohl ließ sich der Gedanke an eine Materialschlacht nicht ganz verdrängen, wohl aber so weit ignorieren, dass man Klangpracht und akustischen Rausch genießen konnte.
Als sehr spröde erwies sich der zweite Teil, weniger wegen des bereits von Aufführungen von Nono-Werken an der Staatsoper und an der Komischen Oper bekannten Kompositionsstils, als wegen der trotz sehr unterschiedlichen Textmaterials einheitlich düster erscheinenden Vertonung, wobei Lilit Davtyan dem a capella vorgetragenen, der algerischen Freiheitskämpferin Djamila Boupachà eine Stimme verleihenden Mittelteil vokales Profil verleihen konnte, während der eingesprungene Tenor Peter Tantsits, auch als Cassio agierend, eine recht spröde klingende Stimme einsetzte.
Der größte Teil der Zuhörer war wahrscheinlich wegen der Aufführung des 4. Akts von Verdis Otello mit Roberto Alagna, aber auch wegen der Desdemona von Federica Lombardi, die gerade in der Deutschen Oper als Anna Bolena einen schönen Erfolg erzielt hatte, gekommen. Es war zunächst einmal erstaunlich, wie es Desdemona und Emilia mit allereinfachsten Mittel gelang, allein durch die Musik und ihre Hingabe an dieselbe eine Düsternis, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ausdrückende Stimmung zu vermitteln, einmal mehr den Beweis dafür antretend, dass die Musik und die große Künstlerpersönlichkeit das Publikum zu fesseln, dem musikalischen Werk dem ihm zukommenden Stellenwert zu sichern vermögen. Mit zugleich wunderbarem Ebenmaß wie berührenden Schwelltönen, mit leicht ansprechenden Pianohöhen, technischer Versiertheit, aber vor allem mit einer berührenden Durchdringung der Partie trotz des Fehlens der Entwicklung vom Glücksgefühl des ersten über das erschreckende Erstaunen im zweiten und die Erniedrigung im dritten Akt gewann sie die Zuneigung des Publikums. Ihr zur Seite stand dabei mit ebenmäßigem Mezzosopran und anteilnehmender Darstellung Karis Tucker als Emilia. Und Roberto Alagna? Ist er der neue Otello? Sicherlich ist er der des vierten Akts, aber der ist bekanntlich der relativ leichteste, kein Esultate plus Liebesduett, von den Ausbrüchen im zweiten und dritten Akt ganz zu schweigen. Den vierten Akt allerdings meisterte er beachtlich mit dunklerem, schwerer gewordenem Tenor unter Beibehaltung des schon immer beachtlichen Squillo. Allerdings fasste er die Partie recht veristisch auf, was immer Eindruck macht, aber was sich nicht die gesamte Oper hindurch durchhalten lassen dürfte. Deshalb heißt es, sich immer das traurige Beispiel Carlo Bergonzis vor Augen zu halten, der zwar die Generalprobe, nicht aber die Premiere schaffte. Vom vierten Akt von Alagnas Otello allerdings, und das zu Recht, war das Publikum begeistert.
Italia Nera ist nicht der einzige Beitrag der Deutschen Oper Berlin zum diesjährigen Musikfest Berlin. Berlin. Am 16. September werden Orchester und BigBand des Hauses Duke Ellington zu Ehren Werke von ihm und unter Mitwirkung von Manfred Honetschläger entstandene (eine Uraufführung) vorstellen.
Ingrid Wanja, 11. September 2024
Ottorino Respighi: Feste Romane
Luigi Nono: Canti di vita e d’amore: Sul ponte di Hiroshima für Sopran, Tenor und Orchester
Giuseppe Verdi: Otello, 4. Akt
Deutsche Oper Berlin im Rahmen des Musikfestes Berlin
in der Philharmonie
10. September 2024
Musikalische Leitung: Donald Runnicles
Orchester der Deutschen Oper Berlin