Düsseldorf: „Orpheus in der Unterwelt“

Premiere in Düsseldorf am 11.03.2022

Düsseldorf im Offenbachrausch

TRAILER

Die Deutsche Oper im Rhein bringt nun nach mehrfacher Corona-bedingter Verzögerung endlich ihren neuen „Orpheus in der Unterwelt“ auf die Bühne, eine Produktion, die bereits an der Komischen Oper Berlin und bei den Salzburger Festspielen – zurecht! – für Furore sorgte. Barrie Kosky zeichnet für diese furiose Inszenierung verantwortlich und zieht gekonnt alle Register, die es für einen gelungen Offenbach braucht: Feinsinn, Humor und eine Prise Derbheit. Bühnenbildner Rufus Didwiszus hat hierfür ein vermeintlich einfaches, aber doch raffiniertes Bühnenbild gebaut. Ein schwülstiges, aber in die Jahre gekommenes Bühnenportal, gemalte Prospekte und ein edles, fahrbares großes Sofa als Olymp sind die Versatzstücke, die dem Abend einen szenischen Rahmen geben und eine perfekte Leinwand für die bemerkenswerten Kostüme von Victoria Behr sind. Viel Farbe, Mut zu ausladenden Formen und vor allen Dingen jede Menge Glitzer – das sind die Kennzeichen dieses Kostümbildes, das die Protagonisten unglaublich raffiniert und phantasievoll einkleidet. Dabei sorgt der ein oder andere glitzernde Penis für eine amüsante frivol-erotische Note und beim Publikum für einen Lacher.

In dieser Produktion ist Eurydike, die in die machomäßige Konkurrenz zwischen Pluto und Jupiter gerät, eine starke, emanzipierte Frau, die aus dem Grau des Ehealltags in der frivolen Hölle letztlich so etwas wie eine sexuelle Befreiung erfährt. Zwischen den Attitüden der sie angebeteten Männern zunächst noch hin und herschwankend, sieht man letztlich, wie sie selbst „der Mann im Haus“ wird und sie sich gegen eine patriarchalisch dominierende Männerwelt durchsetzt und ihr eigenes Ding macht. Was hier theoretisch, ja fast politisch klingen mag, kommt aber zu keinem Zeitpunkt mit erhobenem Zeigefinger daher. Im Gegenteil. Die Düsseldorfer Produktion ist eine zutiefst sinnliche und opulente, dem Revuehaften verschriebene Produktion. Leichtigkeit, Witz und Charme stehen an erster Stelle!

Einem Conférencier gleich führt Schauspier Max Hopp als John Styx durch den gesamten Abend. Dabei ist er weniger Moderator, sondern die Stimme aller (sic!) Darsteller, kurz: Er spricht alle Monologe. Was sich vielleicht hier unvorstellbar liest, ist auf der Bühne eine großer Spaß. Hopp beeindruckt mit wechselnden Stimmen zwischen den Protagonisten, slapstickhaften Geräuschen, Kommentaren und liefert ein so charmantes, wie total überdrehtes Portrait des Styx ab, wie man es vermutlich noch nie gesehen hat. Was für eine beachtliche schauspielerische Leistung!

Das Düsseldorfer Ensemble wirft sich mit viel Spielfreue und einem irrwitzigen Tempo in die Nummer: Elena Sancho Pereg ist eine wunderbare Eurydike, die mit ihrem feinen Sopran der Offenbachschen Musik absolut gerecht wird und energiegeladen der Männerwelt die Köpfe verdreht. Urkomisch und stimmlich absolut solide zeichnen Florian Simson als affektierter Pluto und Peter Bording als Göttervater Jupiter (mit leichten Tendenzen in Richtung Pantoffelheld) sehens- und hörenswerte Rollenportraits. Als Orphée überzeugt Andrés Sulbaran mit strahlendem Tenor. Besonders positiv fällt Romana Noack als exzellenter Cupido auf. Klangschön und ein fein nuanciert, mit sattem Klang und enormem szenischem Verve legt sie diese überschaubare, aber nicht unwichtige Partie an. Als öffentliche Meinung mit gouvernantenhafter Attitüde weiß Susan Maclean zu überzeugen. Auch die weiteren, kleineren Götterpartien sind durch die Bank hervorragend besetzt. Der unter Patrick Francis Chestnut einstudierte Chor meistert seinen Part bravourös. Besonders zu erwähnen ist das Tanzensemble, das diesem Abend noch einmal ein ganz besonderes Leben einhaucht. In teils schrillen Kostümen bringen die jeweils fünf Damen und Herren eine enorme Dynamik auf die Bühne. Otto Pichler zeichnet hier für teils unglaublich witzige und anspruchsvolle Choreographien verantwortlich, in die sich das Ensemble mit viel Energie und Spaß hineinwirft.

Im Graben muszieren die Düsseldorfer Symphoniker einen feinen Offenbach. Man mag bei den ersten Tönen des Vorspiels fast an Mozart denken, so getupft und zart klingt es aus dem Graben. Adrien Perruchon, der kurzfristig eingesprungen ist, die Produktion aber sehr wohl aus Berlin kennt, greift erst in den großen Szenen des zweiten Aktes kraftvoll zu, bleibt davor doch immer wieder etwas verhalten. Gerade im ersten Akt kommt es zu kleinen Wacklern zwischen Graben und Bühne, die aber schnell wieder behoben sind. Perruchon treibt die Musiker aber teilweise auch mit rasanten Tempi an, die stellenweise schon zu flott klingen und Sänger es in den perlenden Couplets und Arien nicht immer leicht haben überhaupt noch Luft zu holen. Aber letztendlich ist das Tempo auch immer wieder das, was diesen Abend so leicht und unbeschwert macht. Ansonsten klingt es wunderbar aus dem Graben, fein nuanciert, ausgewogen im Klang präsentiert sich ein glänzend aufspielendes Orchester.

Der Rheinoper ist mit diesem Abend ein unglaublich unterhaltsamer Coup gelungen. Selten hat man Offenbachs Klassiker so witzig, so charmant und so einzigartig erlebt. Barrie Kosky und sein Team hinter und auf der Bühne entfesseln einen rauschhaften Operettenabend, der trotz vordergründiger Leichtigkeit auch seine Tiefen hat. Unterm Strich ist dieser „Orphée“ eine mitreißende, rauschhafte Revue. Das Düsseldorfer Publikum reißt es mit den letzten Tönen von den Stühlen und es zollt allen Beteiligten minutenlangen phrenetischen Beifall.

Sebastian Jacobs, 15.3.2022

Die Fotos stammen von Hans Jörg Michel