Premiere: 09.03.2018
Bilderflut und Bühnenzauber
Nach über 100 nahezu fast vollständig ausverkauften Vorstellungen in Düsseldorf und Duisburg von der inzwischen fast schon legendären Zauberflöte der Theatergruppe „1927“ feierte nun der Doppelabend Petruschka und L’Enfant et les Sortiléges seine Premiere im Düsseldorfer Opernhaus. Erneut hat man hier durch eine Koproduktion mit der Komischen Oper Berlin bereits ein gutes Jahr nach der Uraufführung des Werkes in Berlin das direkte Zugriffsrecht auf eine erneut wunderbar gelungene und bildgewaltige Inszenierung, die sich sicher schnell in die Herzen der Zuschauer spielen wird.
Dabei war es anfangs nicht so einfach, nach der Zauberflöte ein weiteres geeignetes Stück für diese Art von Inszenierung zu finden, bis Barrie Kosky seinerzeit Petruschka vorschlug, welches dann schnell Form annahm. Aufgeführt, wird das von Igor Strawinsky als Ballett geschriebene Werk in der revidierten Fassung von 1947. Die Balletttänzer werden hierbei durch drei fabelhafte Artisten ersetzt, so dass bis zur Pause nach bereits 40 Minuten auf Gesang komplett verzichtet wird.
Dafür spielen die Düsseldorfer Symphoniker unter der musikalischen Leitung von Marc Piollett stark und kraftvoll auf. Für die Inszenierung orientieren sich Suzanne Andrade und Esme Appleton hierbei stark an den Stummfilm, so dass der Clown Petruschka oft an Charlie Chaplin erinnert. Dritter im Bunde bei „1927“ ist Paul Barritt, der sich um die Animationen gekümmert hat. Das ergänzende Lichtdesign stammt von Diego Leetz, bei der Bühne bekam „1927“ Unterstützung durch Pia Leong, an den Kostümen hat Katrin Kath mitgearbeitet.
Petruschka beginnt mit einem bunten Jahrmarktstreiben auf dem ein bösartiger und teilweise sadistischer Gaukler drei Puppen zu leben erweckt, diese gefangen hält und dem Publikum zur Schau stellt. Die Akrobatin Ptitschka (= Vögelchen), der Muskelmann Patap (der sich deutlich besser eignet als ein ursprünglich verwendeter Mohr) und der Clown Petruschka sehnen sich allerdings zunehmend nach Freiheit. Doch nur Petruschka gelingt die Flucht, nachdem seine heimliche Liebe zu Ptitschka auch unglücklich erscheint. Hier stürzt er sich voller Neugier ins Jahrmarktgetümmel, bis der Puppenspieler ihn wieder einfängt. Es bleibt nur noch die Flucht in Tod um der erneuten Gefangenschaft zu entkommen und so als Geist über seinen Peiniger zu triumphieren. Wunderbar Tiago Alexandre Fonseca als pantomimischer Clown, der auch auf dem Trampolin eine gute Figur macht und die beiden bereits beim Cirque du Soleil etablierten Pauliina Räsänen und Slava Volkov.
Nach der Pause folgt mit der Fantasie lyrique L’Enfant et les Sortilèges von Maurice Ravel ein gänzlich anderes Werk, in dem ein unartiges Kind von seiner Mutter ins Kinderzimmer gesperrt wird und hier die gesamte Einrichtung verwüstet. Wie in einem Alptraum erwachen allerdings alle beschädigten Gegenstände zu Leben und auch die zuvor vom Kind gepeinigten Tiere wie Katzen, Frösche und Fledermäuse nehmen nun ihre eigene Rache. Erst als das Kind schließlich Mitgefühl mit einem verletzten Eichhörnchen zeigt und erkannt hat, dass eigene Taten oftmals Konsequenzen nach sich ziehen, endet der Spuk wieder. Parallel zu Petruschka setzt „1927“ auch hier auf ein versöhnliches Ende.
Die gesanglich große Aufgabe des Kindes bewältigt die Mezzosopranistin Kimberley Boettger-Soller souverän. Unterstützung erhält sie in einigen reinen Schauspielszenen durch das Kind-Double Sara Blasco Gutiérrez, hier hat Maske und Kostüm ganze Arbeit geleistet, wirken die Darsteller doch aus einiger Entfernung täuschend ähnlich. Die weiteren Rollen sind teilweise auf der Bühne integriert, teilweise singen sie allerdings nur aus den Seitengassen zu animierten Figuren. Dies hat den Vorteil, dass man keinen zertrümmerten Stuhl durch einen Sänger darstellen lassen muss und hilft dem Fluss des Werkes ungemein, leider sind aber insbesondere die Stimmen „aus dem off“ teilweise deutlich schwerer zu verstehen und vom Klang im Opernhaus nicht immer überzeugend, was allerdings einen zu verschmerzender Kritikpunkt in einer ansonsten wunderbaren Inszenierung darstellt.
Besonders herausragend hier Elena Sancho Pereg als Sonne und Marta Márquez als Mutter. Auch die weiteren Rollen sind durchweg passend besetz mit Romana Noack (Stuhl/Eule), Iryna Vakula (Katze/Eichhörnchen), Dimitra Kotidou (Nachtigall), Monika Rydz (Fledermaus/Schäferin), Maria Boiko (Schäfer), Torben Jürgens (Schaukelstuhl/Baum), Dmitri Vargin (Vater Zeit/Kater) und Cornel Frey (Dr. Mathe/Teekanne/Frosch). Gelungen auch der Einsatz von Opern- und Kinderchor.
„1927“ gelingt es an diesem Doppelabend mit den beiden Werken vom Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zwei sehr unterschiedliche Stücke auch recht unterschiedlich darzustellen, was aufkommende Langeweile per se verhindert und hierbei doch einen gewissen Bogen zwischen beiden Werken zu finden. Zu empfehlen ist hier auch wieder das stets hervorragende Programmheft der Oper am Rhein. Fazit: Wunderbar phantasievolle Produktion, wenngleich insbesondere der zweite Teil musikalisch eben keine Zauberflöte ist, sondern deutlich kammermusikartiger daher kommt. Dennoch, freuen darf sich der Zuschauer auf zwei mehr als nur kurzweilige Stunden voller Theatermagie, absolut empfehlenswert.
Markus Lamers, 10.03.2018
Fotos: © Hans Jörg Michel