Düsseldorf: „Roméo et Juliette“

Zum Zweiten

Premiere: 30.03.2019

Die Liebe ist ein seltsames Spiel

„Der erste Akt endet brillant; der zweite zart und träumerisch; der dritte lebhaft, groß und breit, mit den Duellen und dem Bannspruch über Roméo; der vierte dramatisch; der fünfte tragisch. Das ist eine schöne Steigerung.“ Mit diesen Worten soll Charles Gounod gemäß Programmheft seinerzeit seine Oper „Roméo et Juliette“ umschrieben haben. Und obwohl der Komponist den Shakespeare-Stoff etwas abwandelte und z. B. die Thematisierung der verfeindeten Familien deutlich entschärfte und sich mehr auf die Beweggründe der beiden Protagonisten konzentrierte, soll der Inhalt der Oper hier auf Grund seiner allgemeinen Bekanntheit einfach übersprungen werden. Widmen wir uns daher gleich der von Gounod eingangs erwähnten musikalischen Seite. Diese kann sich in Düsseldorf nämlich wahrlich sehen oder besser gesagt hören lassen.

In den beiden Hauptrollen zeigen Ovidiu Purcel und Luiza Fatyol ihr ganzes Können. Beide Darsteller sind 2011 dem Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein beigetreten und seitdem fest am Haus engagiert. Was sie aber in dieser Produktion leisten müssen, ist schier unglaublich. Neben den vier großen Duetten hat jeder Darsteller auch noch diverse andere sehr anspruchsvolle Stücke zu tragen. Beide meistern dies absolut bravourös. In den Duetten, harmonieren Purcel und Fatyol nicht nur sehr gut, ihre Stimmen scheinen fast miteinander zu verschmelzen. Ovidiu Purchel überzeugt über drei Stunden mit einem traumhaft schönen Tenor, während Luiza Fatyol selbst die schwierigsten Arien mit sauberen Koloraturen und einem strahlenden Sopran zu Gehör bringt. Bravo, bravo, bravo. Freunde großer Chorstücke werden an diesem Abend ebenfalls auf ihre Kosten kommen, hat Gounod doch ganz im Stil der großen französischen Oper auch den Chor mit einigen großen Chorwerken ausgestattet. Die Choristen unter Gerhard Michalski agieren hier durchaus als dritter „Hauptdarsteller“. Vierter „Hauptdarsteller“ sind die Düsseldorfer Symphoniker unter der musikalischen Leitung des „Guest Conductor in Residence“ David Crescenzi, die diese Oper mit ihrer Vielzahl an melodiösen Werken klangvoll erstrahlen lässt. Die weiteren Rollen, allen voran hier Bogdan Baciu als Mercutio, Ibrahim Yesilay als Tybald und Michael Kraus als Graf Capulet haben es daher wahrlich schwer. Gesanglich bieten alle Darsteller sehr gute Leistungen, dennoch will der Funke hier nicht immer zünden. Dies liegt zum einen wohl an der Rollengestaltung per se und zum anderen an der nicht gut funktionierenden Personenführung durch Regisseur Philipp Westerbarkei.

Allgemein wirft die Inszenierung mehr Fragen auf, als sie beantworten kann. Im Grunde wäre dies auch gar nicht schlimm, wenn man sich als Zuschauer entsprechend selbst eine Antwort geben könnte. Doch leider wird man hier auch etwas allein gelassen, da die Fragen nicht wirklich präzise gestellt sind. Immer wieder ertappt man sich dabei, irgendeinen Sinn in dem eben gesehen zu suchen. Dies beginnt schon damit, dass in der Einführung zum Werk beim zentralen Bühnenbild, welches wie die Kostüme von Tatjana Ivschina stammt, von einem italienischen Marktplatz die Rede ist, bei dem rundherum die engen kleinen Gassen angedeutet werden. Auf der Bühne befindet sich dann ein schwarzes Felsmassiv mit einer angestrahlten Marienfigur, die zwar im weiteren Verlauf dauerpräsent, aber irgendwie auch völlig egal ist. Später verschiebt sich dieser Berg mal etwas weiter nach hinten, mal etwas weiter nach vorne und es kommen ein paar von der Decke herabschwebende Lichter hinzu. Dazu gibt es große Berge von Stühlen, die mal rumliegen, mal zu Türmen aufgebaut erscheinen. Nach Italien sieht dies alles aber nun wahrlich nicht aus. Da hilft es auch nicht, dass Bruder Laurent im ersten Akt die ganze Zeit Spagetti isst. Das sich im vierten Akt nach der Pause in einem linken Bühnenaufgang auf dem glänzenden Schwarz der Bühnengestaltung ein Monitor mit dem Dirigenten für die Darsteller spiegelt, ist für den Zuschauer recht ablenkend und wahrscheinlich in der Form auch nicht gewollt. Hier könnte man in den folgenden Aufführungen entsprechend nachbessern. Auch mit dem Libretto geht der Regisseur in seiner Deutung etwas freier um. Nicht nur dass Tybalt nach seinem Tod noch mit blutigem Hemd als Geist über die Bühne spukt, wahrscheinlich in den Köpfen der Protagonisten, nein, Julia überlebt in dieser Inszenierung den sie liebenden Romeo und wird von ihrem Vater schlussendlich doch noch nach seinem ursprünglichen Willen mit Paris verheiratet. Dass dieser hieran nach der erhaltenen Abfuhr überhaupt noch Interesse hat? Nun gut, sei es drum. Auch das ergänzte junge Liebespaar, welches vor der Pause zwischen den Akten zu einem angedeuteten rasenden Herzschlag (ich bin hier nicht mal sicher, ob dieser nun eingespielt oder vom Schlagwerk aus dem Orchestergraben erzeugt wurde) über die Bühne rennt, dient vielleicht der Überbrückung der Umbauarbeiten, bringt aber ansonsten auch keinen Mehrwert in die Produktion. Im Gegenteil, was ist aus den beiden eigentlich nach der Pause geworden, haben sie in der Kantine den vierten und fünften Akt verschlafen? Oder habe ich gar irgendwas verpasst? Fragen über Fragen, auf die ich derzeit keine Antwort finde.

Alles in allem hinterlässt die Premiere von „Roméo et Juliette“ in Düsseldorf ein etwas zwiespältiges Gefühl. Während man für den gesanglichen und musikalischen Teil gerne 5 von 5 Sternen vergeben möchte, wirft einem die Inszenierung zu viele ungelöste Fragezeichen an den Kopf und versinkt daher dann doch im Mittelmaß. Vielleicht waren die persönlichen Erwartungen nach Westerbarkeis tollem Debut mit Leonard Bernsteins „Trouble in Tahiti“ oder der ebenfalls sehr gelungenen Familienoper „Wo die wilden Kerle wohnen“ auch etwas zu groß. Wie dem auch sei, wenn das Ende wie bereits erwähnt in einer sehr eigenwilligen Auslegung daher kommt, überzeugt hier dann zumindest das optische Schlussbild mit dem leuchtenden Schriftzug „Love is a loosing game“ wieder, welcher unter der nach oben hochfahrenden schwarzen Rückwand des Bühnenraumes hervorkommt. So verlässt man dann irgendwie auch hinsichtlich der Inszenierung noch etwas versöhnt den Theatersaal mit dem Gedanken, dass dem jungen, talentierten Regisseur in Zukunft sicherlich auch wieder leichter verständliche Deutungen gelingen mögen.

Markus Lamers, 01.04.2019
Bilder: © Hans-Jörg Michel