Düsseldorf, Ballett: „Giselle“, Adolphe Adam

Am 11. Juni 2023 fand im Düsseldorfer Opernhaus die Uraufführung des neuen Ballettabends von Demis Volpi statt. Hierbei nahm sich der Ballettdirektor, der zur Spielzeit 2024/25 als Intendant des Hamburg Balletts die Nachfolge von John Neumeier antreten wird, mit Giselle einen echten Klassiker vor.  Wo wir aber gerade bei den Personalentscheidungen für die übernächste Spielzeit sind, noch eine weitere kurze Meldung hierzu. Ab August 2024 werden Bridget Breiner als Chefchoreographin und Raphael Coumes-Marquet als Ballettdirektor die neue Doppelspitze des Balletts am Rhein bilden, wie am vergangenen Donnerstag offiziell mitgeteilt wurde.

© Bettina Stöß

Doch zurück zum Klassiker Giselle, der von Volpi aus einer neuen Perspektive betrachtet wird. Statt in einem bäuerlichen Dorf befinden wir uns im Theater, in dem sich Bathilde und ihr Mann Albrecht eine klassische Giselle-Vorstellung angesehen haben. Bathilde möchte aber nicht nach Hause gehen, sondern mehr über diese faszinierende Theaterwelt erfahren. Sie schleicht sich daher zusammen mit ihrem Mann heimlich auf die Bühne. Hier begegnet sie Giselle und zwischen den beiden Frauen entwickelte sich vom ersten Moment eine besondere Beziehung, die sich im gemeinsamen Tanz zu einer tiefen Liebesbeziehung fortentwickelt. Doch irgendwann muss sich Bathilde entscheiden. Will sie mit Albrecht zurück in ihre gewohnte Lebensumgebung gehen oder sich dem Traum der Theaterwelt hingeben? Hin- und hergerissen entscheidet sie sich für ihren Mann und das gewohnte Umfeld. Doch was, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre? Was wäre passiert, wenn sie in einem kleinen Moment anders gehandelt hätte? Und wäre sie überhaupt glücklicher gewesen? Diesen Fragen geht Volpi im zweiten Akt nach, denn viele Jahre sind inzwischen vergangen und Bathilde denkt als alte Frau an Giselles Grab über genau diese Fragen nach. In dem Moment tauchen in ihren Gedanken die Geister der Vergangenheit, die Wilis, auf und bringen Bathilde und Giselle erneut zusammen.

© Bettina Stöß

Bathilde wird in dieser Neuinterpretation also von einer kleineren Nebenrolle zur eigentlichen Hauptperson des Stückes befördert. Geblieben ist vom Giselle-Klassiker allerdings das gelungene Bühnenbild eines historischen Dorfes im ersten Akt, welches durch die Ballettaufführung innerhalb des Balletts von Heike Scheele als sehenswerte Theaterkulisse gestaltetet wurde. Dies ist alles ganz wunderbar umgesetzt und der erste Akt wirkt trotz der Neudeutung in sich stimmig, wenn gleich die Männerrollen stark zusammengekürzt werden. Daniele Bonelli und Damián Torío können in den vergleichsweise kleinen Rollen als Albrecht und Hilarion (der hier lediglich als Solo-Tänzer der Compagnie in Erscheinung tritt) dennoch überzeugen. Das Hauptaugenmerk liegt eindeutig auf der Beziehung zwischen den beiden Frauen, was es Volpi ermöglicht auch einen großen und recht seltenen Pas de deux zwischen zwei Frauen zu choreographieren. Doris Becker als Bathilde und Elisabeth Vincenti haben an diesem Abend viel zu tanzen, was ihnen aber mit großer Eleganz gelingt. Als alte Bathilde weiß auch Angelika Richter zu gefallen, ebenso Lina Emilie Göke die als junges Mädchen bereits auf der großen Bühne stehen darf. Besonders sehenswert ist das Ballett besonders dann, wenn Volpi die gesamte Compagnie in größeren Gruppenchoreographien agieren lässt. So bleibt auch in dieser Neuinszenierung der zweite Akt ein „weißer Akt“, in dem fast ausschließlich in langen, weißen Gewändern getanzt wird. Hierbei sind die Wilis bewusst nicht auf ein Geschlecht festgelegt, was allerdings dazu führt, dass Männer im Tutu leider unfreiwillig mit einem gewissen Slapstick vorbelastet sind (Kostüme: Katharina Schlipf). Zudem scheinen Volpi hier etwas die Ideen ausgegangen zu sein, denn nach dem gelungenen ersten Akt, wirkt der zweite Teil etwas in die Länge gezogen. Dies liegt vielleicht auch daran, dass die Geschichte hier bereits mehr oder weniger aus erzählt ist und man sich als Zuschauer vor allem schönen Choreographien vor schwarzer Kulisse hingeben darf.

© Bettina Stöß

Dazu erklingt die wunderbare Musik von Adolphe Adam, die sicherlich auch dafür verantwortlich ist, dass Giselle heute zu einem der großen Klassiker geworden ist. Unter der musikalischen Leitung von Mark Rohde spielen die Düsseldorfer Symphoniker durchaus differenziert und besonders stark in den eher leiseren Tönen, was der Inszenierung allgemein zugutekommt. Insgesamt bleibt von diesem Abend vor allem der interessante Ansatz und ein gelungener erster Akt hängen, der allerdings mit 30 Minuten auch recht kurz ausfällt. Darüber hinaus liefert Volpi ansehnliche Choreographien, die vom Ballett am Rhein einmal mehr sehr sehenswert auf die Bühne gebracht werden. Inhaltlich hätte man sich aber etwas mehr erhofft, so dass Giselle wohl nicht als Volpis Meisterwerk in Erinnerung bleiben wird. Für diesen bleibenden Eindruck hat er in der kommenden Spielzeit mit Surrogate Cities allerdings auch noch eine weitere Uraufführung zur Verfügung. Zu Beginn der Spielzeit 2023/24 wird Giselle noch in Duisburg Premiere feiern, bevor das Werk ab November für weitere zehn Aufführungen nach Düsseldorf zurückkehren wird.

Markus Lamers, 24. Juni 2023


Giselle

Ballett von Demis Volpi mit Musik von Adolphe Adam

Besuchte Vorstellung: 20. Juni 2023

Choreographie und Inszenierung: Demis Volpi

Bühne: Heike Scheele

Kostüme: Katharina Schlipf

Musikalische Leitung: Mark Rohde

Düsseldorfer Symphoniker

Übernahme-Premiere in Duisburg: 2. September 2023

Wiederaufnahme in Düsseldorf: 9. November 2023

Trailer