Düsseldorf: „Die Jungfrau von Orléans“, Peter Iljitsch Tschaikowsky

Lieber Opernfreund-Freund,

jahrzehntelang war Eugen Onegin die einzige Oper von Peter Iljitsch Tschaikowsky, die man auf deutschen Bühnen hat sehen können; seit ein paar Jahren erkämpft sich nun zusehends auch seine Pique Dame einen Platz im Repertoire. Jetzt sind scheinbar die Raritäten an der Reihe, aus dem Schattendasein des Eugen Onegin herauszutreten und nicht nur konzertant zu erklingen: so war jüngst sein Mazepa in Kaiserslautern und Cottbus zu sehen, Iolanta schaffte es auf die Bühnen von Dessau, Kiel und Frankfurt, wo seit einigen Tagen auch Die Zauberin in einer sehenswerten Inszenierung zu erleben ist (→ unser Bericht). Nach den Erfurter Domstufenfestspielen 2021 wagt sich nun die Deutsche Oper am Rhein an das Bühnenwerk, das auf den Onegin folgte: Die Jungfrau von Orléans. Tschaikowskyi Version der Geschichte der historischen Johanna ist nicht nur dank des mitreißenden Dirigats von Péter Halász und einer umwerfenden Maria Kataeva in der Titelrolle einen Besuch wert.

(c) Sandra Then

Elisabeth Stöppler hat die Geschichte ins Hier und Heute geholt, lässt sie im Einheitsbühnenraum von Annika Haller spielen, die ein nahezu schmucklose Kirche im gotischen Stil zeigt. Rechts ein paar Bänke, links eine Empore – mehr braucht Stöppler nicht, um die inneren Nöte der jungen Frau zu verdeutlichen, die sie ganz ins Zentrum ihrer Inszenierung stellt. Das kommt nicht von ungefähr, denn Johanna ist nicht nur Titelfigur, sondern auch nahezu pausenlos auf der Bühne. Ein wahrer Kraftakt für die Sängerin, doch das Kaleidoskop der Gefühle zeigt Maria Kataeva voller Inbrunst, überzeugend bis ins Mark, lässt mitfühlen, verstehen, bedauern. Ihr durchdringender Mezzo berührt in jeder Minute und glänzt in tollen Farben. Die eindringliche Charakterstudie rundet das aus Russland stammende Ensemblemitglied zudem durch eine exzeptionell gute darstellerische Leistung ab. Da stimmt einfach alles!

Stöppler zeigt den Engel, der Johanna die göttlichen Visionen eingibt (hinreißend: Mara Guseynova aus dem Opernstudio), als Alter Ego Johannas, betont dadurch deren geheimnisvolles Charisma. Doch auch ihr gelingt es nicht, dem Werk die Längen in der zweiten Hälfte zu nehmen, die es musikalisch zweifelsohne hat. Zwar erinnern die Vorspiele an Dornröschen, da und dort blitzen scheinbar bekannte Harmonien und Instrumentationen aus dem Eugen Onegin hervor, doch gelingt Tschaikowsky eine eigenständige, klanggewaltige Komposition. Das im dritten und vierten Akt dramaturgisch schwache Libretto allerdings verhindert, dass die unglückliche Liebe Johannas zum britischen Soldaten Lionel, die Tatsache, dass ihr eigener Vater sie der Hexerei beschuldigt sowie ihr Flammentod sich auch effektvoll in der Musik niederschlagen können. Und dennoch ist dieser Tschaikowsky in jedem Fall hörens- und in der Lesart von Elisabeth Stöppler sehenswert.

(c) Sandra Then

Winterzeit ist Erkältungszeit – und das stellt die mutigen Theater, die sich mit ihren Spielplänen abseits des Standardrepertoires bewegen, im Fall des Falles vor Probleme. Gleich zwei solcher Fälle gab es am gestrigen Abend. Dabei war es dann ein ungeheures Glück, dass der Georgier Kakhaber Shavidze die Rolle von Johannas Vater Thibaut schon in Erfurt gesungen und deshalb beherzt und überzeugend einspringen konnte. Wagemutig hatte zudem Baurzhan Anderzhanov in aller Kürze die Partie des Bertrand einstudiert und von der Seite vom Blatt gesungen – ein Extra-Bravo gebührt dem Ensemblemitglied des Essener Aalto-Theaters dafür. Sergej Khomov schickt als Karl VII. an der Seite der leidenschaftlichen Agnes von Luizy Fatyol zahlreiche Seufzer und von allzu viel Druck getragene Spitzentöne ins Publikum. Aleksandr Nesterenko gefällt als Raimond mit hellem Tenor, Evez Abdulla ist ein Ehrfrucht gebietender Dunois mit seinem profunden Bass. Der slowakische Bariton Richard Šveda verkörpert den Krieger Lionel mit facettenreichem Ausdruck und viel Virilität.

(c) Sandra Then

Auch der Chor (Leitung: Gerhard Michalski) ist erkältungsbedingt dezimiert, singt aber derart klanggewaltig, dass man sich schon auf die Vollbesetzung freuen darf. Im Graben legt Péter Halász die russische Seele des Werkes frei, balanciert zwischen staatstragend-bombastischen Klängen, beinahe ländlich-idyllischen Melodien und gefühlvoller Intimität und macht so den Abend zusammen mit den Musikerinnen und Musikern der Düsseldorfer Symphoniker vollends zum Erfolg. Das Publikum ist am Ende der knapp drei Stunden genauso begeistert wie ich. Falls Sie, lieber Opernfreund-Freund, noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk für neugierige Opernfreunde sind: Tickets für die Jungfrau von Orléans sind da eine gute Idee. Gespielt wird in Düsseldorf noch bis in den Januar hinein.

Ihr Jochen Rüth, 15. Dezember 2022


Peter Iljitsch Tschaikowsky: „Die Jungfrau von Orléans“ (Oleanskaya Deva)

Rheinoper Düsseldorf

Besuchte Aufführung: 14. Dezember 2022 (Premiere: 3. Dezember 2022)

Inszenierung: Elisabeth Stöppler

Musikalische Leitung: Péter Halász

Düsseldorfer Symphoniker