Amsterdam: „Das Floß der Medusa“

Hans Werner Henze

Premiere: 13. März 2018

besuchte Aufführung 15.3.2018

Wenn Opernhäuser Oratorien auf die Bühne bringen, fragt sich der Zuschauer immer wieder: Muss das sein?

Wenn Opernhäuser Oratorien auf die Bühne bringen, fragt sich der Zuschauer immer wieder: Muss das sein? Benötigen Verdis „Requiem“, Schumans „Szenen aus Goethes Faust“ oder Bachs „Johannes-Passion“ einer szenischen Umsetzung? Mit Hans Werner Henzes „Das Floß der Medusa“ wagt sich die Amsterdamer Oper nun an ein Werk, dass selbst im Konzertsaal kaum zu erleben ist.

Hans Werner Henze und sein Librettist Ernst Schnabel thematisieren den Untergang der französischen Fregatte „Medusa“ vor der westafrikanischen Küste im Jahr 1816. Während sich die Offiziere in Sicherheit brachten, blieben die einfachen Soldaten und Passagiere auf einem Floß zurück und waren dem Tod geweiht. Künstlerische Unsterblichkeit erlangte dieses Katastrophe bereits 1819 durch Theodore Gericaults Gemälde „Das Floß der Medusa“.

Henze widmete sein Oratorium Che Guevara und zitiert im Finale den Ho-Schi-Minh-Rhythmus der Studentenbewegung. Die geplante Uraufführung im Dezember 1968 in Hamburg scheiterte, weil sich der Chor des NDR weigerte unter einer roten Fahne zu singen. Die Uraufführung fand dann erst 1971 in Wien statt, aber bereits 1972 gab es in Nürnberg eine szenische Version.

Zwar nutzt Henze durch einen singenden und einen sprechenden Erzähler einen starken Verfremdungseffekt, doch Regisseur, Ausstatter, Kostümbildner und Lichtgestalter Romeo Castellucci versucht das Publikum unerbittlich und gleich doppelt in das Geschehen zu ziehen. Während der achtzigminütigen Aufführung wird auf dem Portalschleier ein Film gezeigt: Ein Senegalese schwimmt vier Tage im Meer an der Stelle, an der die historische Medusa unterging.

Das weckt Assoziationen an die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer, ohne dass diese konkret angesprochen wird. Die Bilder des schwimmenden Mannes im hohen Wellengang lassen auch den Zuschauer mitfühlen, aber auch seekrank werden. Denn Castellucci versetzt auch die Choristen auf der Bühne dank technischer Tricks in eine eigene Wellenbewegung. Durch die Überschneidung der Bewegungen auf der Leinwand und der Bühne ist das Gehirn bald überfordert, der Zuschauer fühlt Schwindel und Übelkeit.

In solchen Momenten hilft es nur die Augen zu schließen, und in diesem Moment nimmt man Henzes Musik erst richtig war. Denn die Optik der Inszenierung zerrt so stark an den Sinnen, dass die Komposition vollkommen in den Hintergrund rückt.

Am Pult des Nederlands Philharmonisch Orkest, steht Ingo Metzmacher, der alle Beteiligten mit energischer und ausdrucksstarker Schlagtechnik durch den Abend führt. Da gibt es Momente packender Dramatik und Verzweiflung, aber Henze ist Musikdramatiker genug, um dem Publikum mit Kinderchören, die an Monteverdi erinnern, auch Ruhepausen zu gönnen. Mit dem Chor der Nationalen Oper, der Capella Amsterdam und dem Neuen Amsterdamer Kinder- und Jugendchor sind insgesamt drei Ensembles mit insgesamt 116 Sängerinnen und Sängern beteiligt.

In der Bariton-Partie des Jean-Charles glänzt Bo Skovhus, der seine ganze Kantabilität in diese Rolle legt und gleichzeitig kernig-kraftvoll singt. Die halsbrecherischen Sprünge der Sopranpartie „La Mort“ Tod“ werden von Lenneke Ruiten mit größter Selbstverständlichkeit gemeistert. Mit Dale Duesing gibt es in der Sprechrolle des Charon ein Wiedersehen mit einem berühmten Interpreten, der dem Opernbesucher in den letzten 40 Jahren immer wieder in interessanten Partien begegnet ist. Er gestaltet seine Sprechrolle eindringlich, doch an einigen Stellen wünscht man sich, dass diese Rolle von einem Muttersprachler interpretiert werden würde.

Insgesamt erlebt man in Amsterdam eine musikalisch mitreißende Aufführung eines viel zu selten gespielten Werkes. Jedoch hätte die Optik entschlackt werden müssen. Ein Verzicht auf den Film würde eine bessere Konzentration auf die Musik ermöglichen und das Publikum vor den Folgen der Seekrankheit bewahren.

Copyright: DNO/ Monika Rittershaus

Rudolf Hermes 15.3.2018