Besuchte Vorstellung: 6.11.15
Eine atemberaubende neue Sängerin als Tosca!
Im wunderschön restaurierten Erkel-Theater stand Gergely Kesselyák am Pult des Orchesters der Ungarischen Staatsoper und bewies, dass dieses Orchester – trotz oder gerade wegen – der kurzen Probezeit, Puccinis Meisterwerk aus dem EffEff beherrscht. Puccini umreißt zu Beginn der Oper, statt einer großangelegten Ouvertüre, geradezu minimalistisch mit drei gewaltigen Akkorden die dramatische Geschichte und die Brutalität des Polizeichefs von Rom um 1800, Baron Scarpia, hinter dem sich der historische Polizeichef Gherardo Curci, bekannt auch als Sciarpa, verbirgt. Viele Opern un die Jahrhundertwende 19 auf 20 haben eines gemeinsam: die Handlung beginnt sogleich und ohne lange Einleitung und in Tosca tritt gleich zu Beginn der aus dem Castel Sant’Angelo vor Scarpia und seinen Schergen entflohene Revolutionär Cesare Angelotti, mit voluminösem Bass Antal Cseh, hinter dem sich der von Königin Maria Carolina von Neapel und Sizilien 1799 gefangen gesetzte römische Konsul Liborio Angelucci verbirgt, auf und sucht bei einer Marienstatue in der Kirche Sant Andrea della Valle nach einem für ihn hinterlegten Schlüssel zu einer Grabkapelle in der Kirche.
Mit der Rolle des Sakristan, in dieser Aufführung von dem bereits pensionierten Bassisten Tamás Szüle als „Einspringer“ äußerst humorvoll dargebracht, schuf Puccini eine große Buffofigur. Er, der ständig zwischen Nörgeln und Beten, mit einem offensichtlichen Hang zu berauschenden Getränken, schwankt, scheut auch nicht davor zurück, sein Missfallen an dem kurze Zeit später auftretenden Maler Mario Cavaradossi zum Ausdruck zu bringen. Dieser wurde besonders eindringlich von Attila B. Kiss dargeboten. Leider war der sympathische Tenor an diesem Abend stimmlich hörbar indisponierte, was sich jedoch im zweiten Akt etwas besserte, sodass ihm ein vom Publikum zu Recht mit Applaus bedanktes „Vittoria! Vittoria!“ gelang. Im dritten Akt hatte er seine Stimme dann aber wieder voll unter Kontrolle und es gelang ihm eine wirklich berührende Schlussarie „E lucevan le stelle ed olezzava la terra, …“, mit dem er erneut und völlig gerechtfertigt Szenenapplaus gerierte.
Victorien Sardou (1831-1908 hatte die Rolle der Floria Tosca noch reichlich naiv konzipiert, eine Frau, einzig von ihren Gefühlen geleitet und nicht von ihrem Verstand. Dieses etwas abfällige Bild wich bei Puccini dem einer regelrechten femme fatale, die an diesem Abend Éva Bátori mit feuriger Leidenschaft interpretiert wurde. Sie hätte durchaus das Zeug zu einer Weltkarriere gehabt, entschied sich aber aus familiären Gründen lieber dafür, ihrer Heimat Ungarn die Treue zu halten. Ihre Stimme ist etwas dunkler geworden, was zur Rolle der Tosca eigentlich besser passt. Mit ihrer strahlenden Höhe bewältigte sie alle Tücken der Partitur meisterhaft.
Und ein weiterer „Pensionist“ trat an diesem Abend in einer seiner Paraderollen auf. Anatolij Fokanov ließ als verdienter Baron Scarpia keine Zweifel darüber aufkommen, wer durch Intrigen, Verleumdungen und ein gewaltiges Heer an Spitzeln Rom mit eiserner Faust regiert. Sein schmieriger Charakter steigert sich im zweiten Akt zu einem wahrhaft genüsslich zelebrierten Sadismus, der im Versuch, Tosca zu vergewaltigen, gipfelt. Und nun treten auch die windigen schleimigen Polizeispitzel von Baron Scarpia, László Haramza als Spoletta mit eindringlichem Charaktertenor und András Káldi Kiss als Sciarrone mit so recht bösen Basstönen, als bereitwillige Handlanger für Scarpias Menschenleben verachtende Pläne auf. Im dritten und letzten Akt ergänzte noch Pál Kovács als resoluter Kerkermeister.
Der Chor und Kinderchor der Ungarischen Staatsoper waren gewohnt gut von Kálmán Strausz und Gyöngyvér Gupcsó einstudiert. Die Inszenierung von Viktor Nagy in den historisierenden Bühnenbildern von Tamás Vayer und den zeitgenössischen Kostümen von Nelly Vágó stammt aus dem Jahre 1998 und entspricht in ihrer Ästhetik jener von Margarethe Wallmann in Wien. Nach so vielen erlebten Tosca-Aufführungen in Budapest gewann ich den Eindruck, dass die Inszenierung etwas aufgefrischt wurde, was dankenswerter Weise zu einer Reduktionen von allzu unnatürlichen, rein auf Effekt abgestellten Gesten geführt hat. Interessantes Detail am Rande: das Kostüm der Tosca samt Tiara im zweiten Akt erinnert ein wenig an jenes von Maria Callas 1964. Großen Applaus gab es am Ende für alle Mitwirkenden sowie den routinierten Dirigenten Kesselyák, dem sich der Berichterstatter gerne anschloss.