Essen: „Der Freischütz“

Premiere: 8.12.2018

Mich packt Verzweiflung, foltert Spott

Nach „Carmen“ bringt das Aalto Musiktheatern mit dem „Freischütz“ eine weitere populäre Oper heraus, wiederum mit höchst unglücklichem Ergebnis. Glück liegt allerdings auf der musikalischen Seite. Tomás Netopil versteht es, mit den Essener Philharmonikern Webers herrliche Musik romantisch blühen zu lassen. Er betont aber auch nachdrücklich die ständige Gefährdung von Dur-Friedfertigkeit durch dämonische Abgründe. Bereits in der Ouvertüre ist dies mit intensiver Klangaufrauhung unüberhörbar.

Hochbesetzt das Protagonisten-Quartett. Der runde, üppige Sopran von Jessica Muirhead läßt Agathe gewissermaßen zu einem „Vollweib“ werden, fern der vokalen Keuschheit einer Elisabeth Grümmer, fern auch der leicht aseptischen Kühle einer Gundula Janowitz. Aber das deckt sich mit dem Entschluß der Regie, aus der Figur kein Heimchen zu machen. So albert zu Beginn des 2. Aktes Agathe ganz schön mit Ännchen herum. Diese findet in Tamara Banjesevic eine superbe Interpretin. Die serbische Sopranistin hat sich mit der Annina („Nacht in Venedig“) beim Essener Ensemble eingeführt. Ihre soubrettenferne, ungemein ausladende Stimme läßt schon jetzt an Partien größeren Kalibers denken.

Maximlian Schmitt hat sich bereits partiell vom lyrischen Fach entfernt. Beethovens Florestan (in der „Leonore“-Version) bot er bereits mehrfach unter René Jacobs; nun also der „Freischütz“-Max (Rollendebüt). Die gewachsene dramatische Konsistenz des Tenors von Maximilian Schmitt läßt die Figur glaubwürdig erscheinen, zumal ein vehementes Bühnenspiel hinzu kommt. Dem Kaspar gibt Heiko Trinsinger bereits durch seinen nach wie vor chevaleresken Bariton eine gänzlich andere Farbe als gestandene, schwarze Bässe. Daß er und Agathe mal etwas füreinander empfunden haben, erfährt durch diese Besetzung durchaus Beglaubigung. Die vorstellbare „Dreiecksgeschichte“ wird von der Regie freilich etwas massiv ins Bild gesetzt.

Damit wäre nun endlich auf die Inszenierung Tatjana Gürbacas näher einzugehen. Besuchern der Aufführung sei dringlich empfohlen, vor Beginn der Vorstellung das Gespräch der Regisseurin mit dem Bühnenbildner Klaus Grünberg und der Kostümbildnerin Silke Willrett im Programmheft zur Kenntnis zu nehmen. Gürbacas Äußerungen zeigen, daß sie den „Freischütz“ bis in letzte Details studiert und durchdacht hat. Auch wenn das Libretto Friedrich Kinds zeitgebundene Vorgaben macht, sucht die Regisseurin in den Vorgängen der Oper nach überzeitlicher Verbindlichkeit.

Der dreißigjährige Krieg ist für sie nur einer unter vielen. Das latente Fortdauern national geprägter Fatalitäten bis hin zu den nationalsozialistischen Greueln erfährt einen eher beiläufigen Akzent, wenn Ännchen das von der Wand gefallene Bild des Urahnen kess mit einem Hitlerbärtchen ziert. Am stimmigsten drückt sich dieses Konzept jedoch in den Kostümen aus, bei denen es Silke Willrett auf „Durchlässigkeit in den Zeitebenen“ ankam. Weniger beeindruckend die Ausstattung Grünbergs. Sie besteht aus flächigen, mausgrauen Häuserattrappen, auf denen nach Lust und Laune mit Kreide herum geschmiert werden kann: eine Kindergartenszenerie. Den Hintergrund schließt ein bühnenhoher Hänger ab, der so etwas wie Wald suggeriert.

Bei den jungen Leuten in der Oper glaubt Tatjana Gürbaca nicht an eine glückliche Zukunft, zu stark behauptet sich die ältere Generation mit ihren verkrusteten Ansichten und Verhaltensweisen. Ob sich Agathe, Max und Kaspar (er kommt nicht zu Tode) irgendwann in diesen Clan integrieren, bleibt offen. Ännchen ist für Gürbaca vermutlich eine Überlebenskünstlerin, die sich mit ihrer Frohnatur schon irgendwie durchsetzen wird.

Erkennbar wird das Grundkonzept der Inszenierung am stärksten zu Beginn, als die Dorfbewohner auf dem beim Schießen gescheiterten Max losgehen und ihn ihre Verachtung mit Fäusten spüren lassen. Diese Menschen bevölkern dann auch die Wolfsschluchtsszene, womit unterstrichen wird, daß Geisterhaftes, Dämonisches in menschlicher Psyche verankert ist und nur darauf wartet, bei Gelegenheit haßerfüllt explodieren zu können. Ein Bilddetail: das Gießen der Freikugeln besteht darin, daß Kaspar mit immer blutiger werdenden Händen in den Eingeweiden des am Boden liegenden Max wühlt. Aber der krepiert dabei nicht, wie ja auch Kaspar im Finale am Tod vorbei schliddert.

Der Bilderfindungen Tatjana Gürbacas sind zu viele, als daß sie alle en detail beschrieben werden könnten. Doch wenigstens kurz zum letzten Bild. Der Jägerchor wird vorgezogen, erst dann folgt die Agathen-Kavatine vor versammelter Mannschaft wie auch Ännchens Ballade vom Kettenhund. Agathe schreitet in eine wassergefüllte Bodenvertiefung hinein (Versuch eines Suizids?) und wird, völlig durchnäßt, von Ännchen gerade noch gerettet. Während all dieser Vorgänge sitzt Fürst Ottokar gemütlich auf einem Stuhl und tut sich ein einem Riesenbraten gütlich. Später macht er sich grapschend an Agathe heran und schnappt sich auch das Ännchen. Viel kann in der kurzen Zeit hinter der Szene freilich nicht passiert sein.

Vor der Finalszene wird ein Gazevorhang herabgelassen und mit Videos geschmückt. Dahinter passiert in ständig wechselnder Beleuchtung allerhand Kurioses, unter anderem der Auftritt des Eremiten samt einem Streichtrio. Er zerreißt zuletzt sein Gebetbuch, dessen Blätter ein offensichtlich bigotter Statist aber wieder einsammelt. Die ganze Religionschose dürfte also wohl wieder weitergehen. Ganz am Schluß wird ein Kranz auf der Vorderbühne drapiert, und ein Mann mit Cello absolviert einen stummen, aber fraglos ungeheuer bedeutungsvollen Auftritt. Das Publikum feierte Sänger und Dirigent, ließ gegenüber den Szenikern seinem Frust freien Lauf. Gerechterweise.

Gerechterweise sind noch die Sänger der kleineren Partien nachzutragen: Martijn Cornet (Ottokar), Karel Martin Ludvik (Kuno), Baurzhan Anderzhanov (Eremit) und Albrecht Kludzuweit (Kilian).

Christoph Zimmermann 9.12.2018

Bilder (c) Aalto Theater