Essen: „Dogville“, Gordon Kampe

Das Aalto-Theater wurde bereits 1988 eröffnet, jetzt gibt es allerdings die erste Opern-Uraufführung in dem Essener Opernhaus. Eigentlich hätte Gordon Kampes Oper „Dogville“ nach dem Film von Lars von Trier bereits am 13. März 2021 das Licht der Welt erblicken sollen, doch Corona machte eine Verschiebung um zwei Jahre notwendig.

(c) Matthias Jung

In der Essener Theatergeschichte werden gerne zwei Aalto-Uraufführungen genannt, die aber gar keine waren. „Graf Mirabeau“ von Siegfried Matthus hatte in Essen am 15. Juli 1989 Premiere, wurde aber bereits einen Tag früher in Ost-Berlin und Karlsruhe gespielt. Christian Josts „Die arabische Nacht“ erlebte ihre Uraufführung am 26. April 2008 nicht im Aalto-, sondern im Grillo-Theater, dem Schauspielhaus der Stadt.

Lars von Trier braucht für seinen „Dogville“-Film fast drei Stunden, Gordon Kampe kompensiert die Geschichte auf 110 Minuten, wodurch eine Konzertration auf die Hauptfigur Grace erfolgt. Zudem verzichtet Kampe auf den Erzähler, der durch die Handlung führt. Die junge Grace kommt auf ihrer Flucht vor Gangstern in das abgelegene Dorf Dogville und findet dort mit Hilfe des Bewohners Tom Schutz. Die Dorfbewohner erlauben ihr zu bleiben, und sie übernimmt kleinere Arbeiten. Als herauskommt, dass Grace nicht nur als „vermisst“ gemeldet ist, sondern von der Polizei gesucht wird, wendet sich die Stimmung: Grace wird von den Bewohnern immer mehr für niedere Arbeiten ausgenutzt und dann sogar vergewaltigt.

(c) Matthias Jung

Gordon Kampe schreibt eine Musik, welche die Dramatik der Geschichte verstärkt. Immer wieder gibt es gut nachvollziehbare tonale Elemente. Zwecks besserer musikalischer Orientierung hätte man sich als Hörer hier und da Leitmotive gewünscht. Die im Programmheft erwähnten Scharnierakkorde es-Moll und h-Moll, die von Szene zu Szene überleiten sollen, sind nicht erkennbar.

Dem Komponisten gelingt es aber, die Stimmung der einzelnen Szenen und die Charaktere der Figuren gut einzufangen: Die eitle Olivia singt in Verzierungen, die ordnungsbesessene Ma Ginger wiederholt ihre Phrasen und für den blinden Jack McKay hat Kampe schattenhafte Klangräume komponiert. Am Pult der Essener Philharmoniker dirigiert GMD Tomas Netopil mit gutem dramatischen Gespür. Lediglich am Beginn der Oper scheinen die Blechbläser den Sängern gegenüber zu dominieren.

Die zentrale Partie der Grace wird von Lavinia Dames von der Deutschen Oper am Rhein gesungen. Dort verkörpert sie stets brav-lyrische Charaktere. Auch in der Rolle der Grace, die musikalisch sehr wandlungsfähig geschrieben ist, gibt sie sich anfangs sehr zurückhaltend. Als sie Tom ihre Liebe gesteht und im großen Rache-Finale zeigt sich die Sängerin dann aber von ihrer dramatischen Seite und kann groß auftrumpfen.

Tobias Greenhalgh singt mit wohlklingendem Bariton den Tom, schmierig und verschlagen legen Heiko Trinsinger den Chuck und Rainer Maria Röhr den Ben an. Aus dem Ensemble stechen Almuth Herbst als Ma Ginger und Maartje Rammeloo als Liz Henson heraus. Aufhorchen lassen Countertenor Etienne Walch als Bill Henson und Andrei Nicoara als Jack McKay.

Regisseur David Herman bringt die Gesichte mit glaubhaften und realistischen Charakteren auf die Bühne, kopiert dabei nicht den brechtschen Stil des Filmes. Stattdessen hat Ausstatter Jo Schramm einen über 50 Meter langen Bühnenwagen gebaut, auf dem die einzelnen Räume aufeinander folgen. Spielt die erste Szene ebenerdig, so steigen die Räume, die von rechts hereingeschoben werden, langsam an, so dass die letzten Szenen in drei Meter Höhe spielen.

(c) Matthias Jung

Im Finale, das ein großer Theatercoup ist, den man so noch nicht gesehen hat, fährt der ganze Bühnenwagen zu Gordon Kampes furioser Musik wieder zurück. Den ersten Beifall gibt es für die technische Mannschaft des Aalto-Theaters. Der Applaus für alle Beteiligten ist groß, besonders Lavinia Dames wird bejubelt. Bei den vorangegangenen Premieren hatte das Essener Publikum immer wieder die Regieteams abgestraft, David Hermann und seine Mitarbeiter werden aber gefeiert und auch Komponist Gordon Kampe bekommt einen einhelligen Bravo-Sturm. – Während viele Opern nach der Uraufführung schnell in der Versenkung verschwinden, hat „Dogville“ gute Chancen nachgespielt zu werden.

Rudolf Hermes, 16. März 2023


Gordon Kampe

„Dogville“

Essen

Uraufführung: 11. März 2023

Regie: David Hermann

Musikalische Leitung: Tomas Netopil

Essener Philharmoniker

Trailer