Essen: „Simon Boccanegra“, Giuseppe Verdi

Wenn in Giuseppe Verdis düsterster Oper im Publikum gelacht wird, dann stimmt etwas nicht, mag man denken.  Gestern feierte „Simon Boccanegra“ am Essener Aalto-Theater Premiere und fiel, nicht mit Gelächter, aber mit lautem Buh-Sturm (die ersten Buhs gab es bereits zur Pause) beim Publikum durch. Grund für diese Unmutsbekundungen war, was das Kreativteam aus dem Abend machte, während die musikalische Seite mit einer soliden Leistung punkten konnte.

Doch beginnen wir von vorn: Verdis Drama um Politik und Privatleben soll uns in „Labyrinthe der Macht“ entführen, einen „Politthriller“ bescheren, so Regisseurin Tatjana Gürbaca im Programmheft. Was wir auf der Bühne aber sehen, ist pure Langeweile, die mit ein paar Klischees des vermeintlich modernen Regietheaters (Wände mit Kreide beschmieren, man sieht Techniker beim Umbau, wir doppeln die weibliche Hauptfigur usw.) gewürzt wird. Das bringt alles aber gar nichts, denn der Zuschauer weiß eigentlich nie, zu was er gebeten ist. Keine Situation ist klar, kein Ort, keine Zeit – man versteht eigentlich nichts. Mal werden durch die Kostüme optische Links in die 70er gelegt, mal stürmt der Pöbel (wie originell!) das Kapitol. Mag die Personenführung der Protagonisten stellenweise noch nachvollziehbar sein, stirbt dieser Abend einen Tod in einer Ausstattung, die wirklich kein Mensch versteht und die in ihrer Ästhetik irgendwo kurz hinter guten Einfällen einer ambitionierten Schultheater-Truppe zurückbleibt.

© Matthias Jung

Klaus Grünberg, entwirft ein Bühnenbild, das aus faltbaren Segmenten besteht, die sich immer wieder verschieben und so arrangieren, dass sich neue Räume ergeben. Dadurch, dass diese Wände aber nur unwesentlich höher sind als die Protagonisten, schaut der Zuschauer größtenteils in den leeren Bühnenhimmel, in dem unambitioniert und vermutlich aus Verlegenheit, wuchtig wirkende Lampen hinauf- und hinabfahren. Das mag den Gedanken des Labyrinths anreißen, bringt für das Stück aber rein gar nichts und zeigt sich eigentlich nur als ein paar kleine Wände auf einer viel zu großen Bühne. Das absolute Ärgernis des Abends – und da muss sich auch eine Intendantin eigentlich die Frage gefallen lassen, wie und warum man so etwas auf eine Bühne lässt – sind die Kostüme von Silke Willrett. Letztlich waren es auch diese, die für die eingangs erwähnten Lacher beim Publikum sorgten. Warum Paolo und Adorno als einzige in grellen 70er Kostümen rumlaufen und damit in eigentlich bedrückenden Situationen Lacher kassieren, wäre eine Erklärung wert. Vielleicht können die zwei (!) Dramaturginnen des Abends ja Klarheit liefern. Ansonsten gibt es immer wieder einzelne Versatzstücke im Kostümbild, die an Karneval erinnern, während der Rest in Belanglosigkeit und White Trash ertrinkt.

© Matthias Jung

Sein Lob verdient der Abend sich auf der musikalischen Seite: Giuseppe Finzi greift solide zu, wenn er die Essener Philharmoniker antreibt, die mit viel Verve aufspielen – manchmal vielleicht ein bisschen zu kraftvoll, aber in sich entsteht ein satter und guter Verdi-Klang. Bei den Solisten begeistern vor allen Dingen Carlos Cardoso, der tapfer gegen sein ihn zur Lächerlichkeit verurteilendes Kostüm anspielt. Die Töne sitzen kraftvoll und lupenrein und es ist eine Freude ihm zuzuhören. Jessica Muirhead als Amelia Grimaldi begeistert nicht minder und zeigt ein Rollenportrait, das alle Höhen und Tiefen der Figur stimmlich vortrefflich auslotet. Daniel Luis de Vicente ist ein wunderbarer Simon Boccanegra, der genau weiß, wie er zwischen Pathos und Menschlichkeit, zwischen leisen Tönen und staatsmännischem Forte zu agieren hat. Er füllt die Partie mit immenser Energie und lässt auch szenisch keine Wünsche offen. Das Essener Urgestein Heiko Trinsinger als Paolo ist ebenfalls vom Kostümbild bestraft worden, lässt sich davon aber nicht ärgern. Er spielt und singt die Partie des Intriganten mit klarem und wohlklingendem Bariton. Almas Svilpa als Jacopo Fiesco klingt zu Beginn des Abends ein wenig dumpf und kehlig, findet dann aber zu gewohnter guter Form zurück. Der von Klass-Jan de Groot einstudierte Chor ist engagiert bei der Sache und agiert sauber und wohlklingend.

© Matthias Jung

So bleibt im Rückblick ein Abend, der musikalisch keine Sensation ist, aber eine hörenswerte und solide Leistung bietet. Was das szenische Fiasko angeht, bleiben unendlich viele Frage offen. Dass das Leitungsteam den über es hereinbrechenden Buh-Orkan mit einem Lachen aufnimmt, unterstreicht eigentlich nur den Eindruck, dass die Regie weder Werk, noch Darsteller, noch ihr Publikum ernstnimmt. Selten musste das Essener Publikum ein derartiges szenisches Desaster erleben. Schade drum.

Sebastian Jacobs, 29. Januar 2023


Simon Boccanegra

Giuseppe Verdi

Aalto Theater Essen

Besuchte Premiere: 28. Januar 2023

Regie: Tatjana Gürbaca

Bühne: Klaus Grünberg

Kostüme: Silke Willrett

Dirigat: Giuseppe Finzi

Essener Philharmoniker