Premiere: 23.5.2015
Freud’sche Zeiten
Antonín Dvoráks Oper setzt durch ihren musikalischen Reichtum immer wieder neu in Erstaunen. Zudem gilt es festzuhalten, dass, sie am Beginn des 20. Jahrhundert entstand und die Romantik somit zu einer Zeit noch einmal rein und voll aufblühen ließ, als ein Schönberg sein Zwölftonsystem bereits vordachte. Und Dvorák, der u.a. von Brahms adorierte Melodiker, hat sich zuvor mit Klangzaubereien kaum verschwenderischer gegeben als bei diesem lyrischen Märchen. In der Neuproduktion am Aalto Musiktheater ist „Rusalka“ hörbar eine Herzensangelegenheit des tschechischen GMD Tomás Netopil. Er lässt die Essener Philharmoniker das wehmütige Dur der Musik magisch aufleuchten, unterdrückt aber auch dunkel-dämonisches Glühen nicht; außerdem holt er aus der Partitur die dramatischen Elemente lustvoll heraus.
Wer will, kann Jaroslav Kvapils Märchendichtung über eine unendliche Liebe und den Wunsch von Wassergeistern nach Beseelung natürlich immer noch ganz naiv lesen. Allerdings fordert die zur gleichen Zeit entstandene Psychoanalyse (u.a. mit Sigmund Freuds Traumdeutung) längst eine tiefer lotende Interpretation. Dramaturg Alexander Meier-Dörzenbach gibt im Programmheft (welches aber auch für Romantizismen Platz lässt) einen reichhaltigen geschichtlichen Exkurs zu diesem Thema. Ihm entnimmt man u.a. die Information, dass im 19. Jahrhundert eine unabhängige Meinung der Frau von der des Mannes oft als „Krankheit“ gewertet wurde. In Verbindung mit Sexualität galt dies geradezu als Sakrileg. Körperliche Eruptionen wurden beispielsweise mit Wasserkuren bekämpft. Das alles sollte man schon gelesen haben, um die die Ausstattung des Teams Clement & Sanou (Eddy der Laan/Pepijn Rozing) richtig deuten zu können. Zunächst zeigen sie in Lichtwechselbildern, wie Rusalka in eine Klinik verfügt wird, wo u.a. eine Art von Dr. Freud arbeitet, als stumme Figur später immer wieder präsent. Hier soll das junge Mädchen wegen ihrer pubertären Überspanntheit behandelt werden. Weitere Patientinnen in dem dann zu sehenden Saal mit weißen Badewannen sind die drei „Elfen“.
Regisseurin Lotte De Beer versteht Rusalka übrigens nicht als eine in sich „abgeschlossene“ Figur, sondern als Kombination diverser weiblicher Facetten. Dieses Frauenbild umfasst auch die dämonisch-matriarchalische Hexe Jezibaba wie auch die fremde Fürstin mit ihrem Appeal „Und ewig lockt das Weib“. Der Charakter der Kindfrau dominiert bei Rusalka gleichwohl, ein ganz zart fühlendes Wesen, noch ohne die „Beschädigungen“ der später in der Literatur und auf der Bühne erscheinenden Lulu.
Die Essener „Rusalka“ schildert das Erwachen weiblicher Gefühle, auch ihre Ächtung durch eine pädagogisch bereits deformierte Gesellschaft, weiterhin den schmerzlichen Lernprozess über die Wankelmütigkeit von Emotionen, wobei die besondere Schuldzuweisung in Dvoráks Oper dem Manne gilt. Es ist dem hinreißenden tschechischen Tenor Ladislav Elgr zu danken, dass sich das in seinem Porträt des Prinzen nicht vereinseitigt. Dem Sänger gelingt es, der fragwürdigen Existenz der Figur ein wenig Sympathie, zumindest Verständnis beizumischen. Elgrs angenehm schlanke Erscheinung, seine großen darstellerischen Qualitäten fielen gerade erst in der Kölner „Arabella“ auf. Die ganze Attraktivität seiner samten maskulinen Stimme mit der enorm potenten Höhe wird aber erst in Essen so richtig evident.
Das besondere Lob für diesen Künstler soll die Leistung der anderen Rollenvertreter aber nicht im Mindesten verkleinern. Sandra Janusaite ist eine Rusalka ohne falsche sentimentale Anwandlungen, zeigt sich aber gefühlvoll, bei klar geführter Stimme. Der Jezibaba (im Pelzmantel eine ausgesprochen elegante Erscheinung) gibt Lindsay Ammann festes Mezzo-Fundament mit gutturalen Farbbeimischungen. Als fremde Fürstin wirkt Katrin Kapplusch, welche in der nächsten Essener Spielzeit eine Fülle jugendlich dramatischer Partien übernimmt (zumal im reichhaltigen WA-Programm), bei allem Einsatz etwas neutraler. Auf hohem Niveau weiterhin: Martijn Cornet (Heger), Liliana de Sousa (Küchenjunge, 2. Elfe), Christina Clark, Ieva Prudnikovaite (weitere Elfen) sowie Karel Martin Ludvik (Jäger).
Almas Svilpa, dessen nun schon lange währendes Engagement am Aalto (seit 1997) von Stefan Soltesz initiiert wurde, gibt mir seinem kernigen, flexiblen Bariton einen überzeugenden Wassermann. Bei dieser Figur zeigen sich leichte Grenzen der Regie. Der Wassermann beginnt gewissermaßen als leicht poltriger „Busengrapscher“, mutiert dann aber zum rächenden Heroen. Beides geht nicht ganz konform, und Lotte de Beer vermag einen überzeugenden Zusammenhang nicht herzustellen. Auch der Abgang des Prinzen über die Vorderbühne nach seiner letzten Begegnung mit Rusalka, die mit Zwangsjacke unterirdisch eingesperrt ist, wirkt unentschieden und beiläufig. Interessant hingegen, dass auch Küchenjunge und Heger zu den „schweren“ Patienten gehören, die bei ihrer blutigen Schlachtertätigkeit offenbar seelisch zu Schaden gekommen sind. Dass und wie sie sich aus ihren Verliesen auf einmal wieder davon machen, ist hingegen nicht ganz erkennbar.
Noch ein Detail in Lotte de Beers ideenreicher Inszenierung sei erwähnt. Das dramaturgisch etwas konventionelle Ballett gerät zur einer Massenvergewaltigung, wo befrackte Männer die Frauen in enge Bauchbinden schnüren – eine schauspielerisch stark herausfordernde Szene für den von Patrick Jaskolka einstudierten Essener Opernchor. Rusalka zeigt sich blutbesudelt. Liebe als Gewalt – welch ein Absturz aus dem Himmel einstiger Zartgefühle. Am Schluss erhält sie sie in ihrem Verlies eine Beruhigungsspritze gesetzt und darf ich nun – unbewusst, höchste Lust – in eine Art Liebestod hineinträumen. Wie aber wird das Erwachen sein?
Das Premierenpublikum nahm die schmerzlichen Botschaften der Aufführung willig an und dankte mit vehementem Beifall, erfreulicherweise nach einem Moment des Schweigens.
Christoph Zimmermann 24.5.15
Bilder: Aalto