Aufführung am 23.7.22 (Premiere) – Passionsspielhaus
Ernest Chausson (1855-1899) ist in den Konzertsälen bekannt, und da vor allem wegen der zarten Schönheit seiner mélodies. Die dem Sagenkreis um König Artus und seine Tafelrunde entnommene Handlung goss der Komponist selbst in einen Text, was angesichts seiner Verehrung für Richard Wagner nachgerade selbstverständlich erscheint. Das Werk blieb seine einzige Oper, deren Brüsseler Uraufführung 1903 er nicht mehr erlebte, war er doch mit nur 44 Jahren an den Folgen eines Fahrradunfalls verstorben.
Warum aber konnte sich das dreiaktige Werk nicht im Repertoire halten? Dafür gibt es mehrere Gründe, nicht zuletzt, dass das Sujet im Schatten von Wagners "Tristan" steht. Die Geschichte um die Liebe von Lancelot und Genièvre, letztere die Gattin von König Arthus, ist in dieser Konstellation praktisch parallel zu Wagners "Handlung in drei Aufzügen", und Chausson hat sich wohl bewusst dafür entschieden (in der Gestalt von Lyonnel gibt es sogar eine Art Kurwenal). Dennoch ist die Liebe der beiden nicht mit der zwischen Tristan und Isolde zu vergleichen – sie ist irdischer, diesseitiger. Das zeigt sich vor allem an der Figur der Genièvre, die Lancelot, der ob des Verrats an seinem König leidet, Szenen macht und ihn beschwört, sie nicht zu verlassen. Der Ritter wird sich schließlich dennoch für seinen Untergang entscheiden und waffenlos in die Schlacht ziehen, um zu sterben. Die Frau erwürgt sich mit ihrem eigenen, langen Haar.
Schwerer scheint mir zu wiegen, dass Chausson offenbar der Sinn für dramaturgischen Aufbau fehlte. Es gibt im zweiten Teil des 2. Akts ein hochdramatisches, mitreißendes Liebesduett, eine jener Szenen, nach denen der Vorhang fallen müsste, um den Zuschauer atemlos zurück zu lassen. Hier aber folgt ein philosophischer Monolog des Königs, der nicht an die Untreue der zwei ihm am nächsten stehenden Personen glauben will. (Die Liebenden wurden von seinem Neffen Mordred, der selbst den Thron besteigen will, verraten). Ähnliches begibt sich am Schluss der Oper, wenn Arthus klar wird, dass seine und die Zeit seiner utopischen Tafelrunde vorbei ist und er in einer Art Apotheose symbolisch die Ewigkeit erreicht (was den Titel des Werks erklärt bzw. rechtfertigt, denn das Liebespaar hat viel mehr zu singen).
Chausson hat sieben Jahre lang mit diesem Stoff gerungen (und sich bei seinem engen Freund Debussy wiederholt über die damit verbundenen Schwierigkeiten beklagt), ohne dass es ihm gelungen wäre, die beiden Stränge – Liebesgeschichte und Überlegungen des Königs – dramaturgisch miteinander zu verbinden. Dies scheint mir der eigentliche Grund für die mangelnde Popularität des Werks, denn an der Musik kann es nicht liegen, ist sie doch trotz Wagners Einfluss durchaus nicht epigonal, sondern im besten Sinne französisch. Man denkt mehrfach an Berlioz und Bizet oder an Chaussons Lehrer César Franck, aber auch hier ohne das Gefühl von Epigonentum oder Zitaten. Die Instrumentation ist zudem in ihren Nuancierungen genial.
Die im Passionsspielhaus, das ohne Orchestergraben auskommt, angesiedelte Produktion war absolut auf der Höhe ihrer Aufgabe. Das Bühnenbild erschien wie eine Abwandlung von Wieland Wagners Bayreuther ellipsenförmiger Scheibe und wurde für die Auftritte der Solisten bestens genützt. Im Schlussbild wird sie von Feuer umzingelt – eine passende Verbeugung des Teams vor Wagner. Für die Bühne, wie auch für die mittelalterlich inspirierten, aber phantasievollen Kostüme zeichnete takis, für eine Regie, die die Solisten immer in spannende Beziehung zueinander setzte und auch den Chor sehr gut führte, war Rodula Gaitanou verantwortlich. Die hervorragende Beleuchtung von Simon Corder sei nicht vergessen und für das aufregende, die jeweilige Atmosphäre hervorragend übermittelnde Videodesign sei Dick Straker speziell gedankt.
Auch die musikalische Seite der Aufführung befand sich auf hohem Niveau. Karsten Januschke leitete hinter einem durchsichtigen Vorhang ein hellwaches Orchester der Festspiele Erl und erzielte meisterlich klingende, magische Momente. Die auf der Vorderbühne agierenden Solisten zeigten sich nicht nur sattelfest, ohne den Dirigenten sehen zu können, sondern gefielen sowohl stimmlich, als auch im Ausdruck. Der slowenische Bariton Domen Krizaj litt bei seinem ersten Auftritt vielleicht etwas unter Lampenfieber, da er ein wenig forcierte, gefiel dann aber mit schön gerundeten, expressiven Tönen. Beeindruckend die heldische Stimme des Iren Aaron Cawley, der dem Lancelot aber auch den Leidensdruck mitgab, der ihn an Genièvre kettet. Diese für einen Mezzosopran geschriebene Rolle wurde von der Sopranistin Anna Gabler gesungen, wobei es nicht so sehr um ein paar fehlende tiefe Töne geht, sondern um die der zwiespältigen Figur geschuldete Stimmfarbe.
Abgesehen davon gelang Gabler eine beeindruckende Leistung. Dem amerikanischen Tenor Andrew Bidlack gelang ein schönstimmig-intensiver Lyonnel. Merlin, die Sagengestalt, die Arthus über seine Aufgabe belehrt, hatte einen überzeugenden Vertreter in dem südafrikanischen Bariton Kabelo Lebyana. Auch Kleinstrollen waren nicht nur international, sondern auch überzeugend besetzt, so Anthony Robin Schneider (Bass, Neuseeland), Carlos Cárdenas (Tenor, Kolumbien) und Bozidar Smiljanic (Bassbariton, vermutlich Kroatien). Der Chor der Festspiele Erl, einstudiert von Olga Yanum (Weißrussland), gefiel durch homogenen Klang und Spielfreudigkeit.
Trotz der dramaturgischen Einwände dem Werk gegenüber wäre es interessant, wenn das Publikum sich öfter damit auseinandersetzen könnte. Dies schon auch der mehr als herzliche Beifall seitens des leider nicht voll besetzten Hauses zu bestätigen.