Baden-Baden: Mazeppa

TSCHAIKOWSKY’S VERKANNTES MEISTERWERK

Es war der Abend großer russischer Oper und versetzt zurück in das Jahr 1709, der Herrschaft Zar Peter’s des Großen. Mazeppa, der Ukrainer und Hetman der Kosaken, war auf die Seite Schwedens getreten, um die Ukraine aus dem Machtbereich des Zaren zu lösen. 1709 war die Entscheidungsschlacht bei Poltava, in der Zar Peter I. (1682 bis 1721 Zar von Russland) die schwedischen Truppen unter König Karl XII. (reg. 1697 – 1718) vernichtend schlug. Mazeppa scheiterte mit seinen Plänen, so dass die Zentralgewalt Peter’s gestärkt und gefestigt wurde.

So das historische Tableau, dessen szenische Darstellung zu Ostern Corona zum Opfer fiel. Muss man sich jetzt auf die konzertante Aufführung einlassen, also „nur“ auf die Musik? Das ist famos! Der Zuhörer ist kein Zuschauer. Er wird festgehalten, sollte nicht ausweichen können vor der Fülle der Musik. Es geht wie oft in der Oper um Liebe, Verrat, Hinrichtung und schlussendlich um Wahnsinn. Grundlage des Librettos von Viktor Burenin ist das historische Versgedicht „Poltava“ von Alexander Puschkin (1799 – 1837), erschienen 1829.Der Stoff des Librettos ließ Peter Tschaikowsky (1840 – 1893) kühl, schließlich vergaß er ihn. Dann nahm er einen neuen Anlauf und arbeitete zwei Jahre an der Oper, die 1884 im Bolschoi-Theater , Moskau uraufgeführt wurde. Erfolg war ihr nicht beschieden und sie lag wie ein verborgener Schatz unter Stapeln verstaubter Partituren.

Tschaikowsky war der große russische Komponist von Weltformat. Er war in geistiger Hinsicht eine schlichte Natur, eher morbid. Das Spirituelle zeigt weniger Wachstum und Entwicklung als vielmehr Verfall. Er war so erfüllt von Musik, dass alles was er anrührte zu Musik wurde. Seine Triebkraft des Ausdrucks ist ein bezaubernder Sinn für Farbenwechsel und ein Instinkt für überwältigende Dynamik, jene beiden Eigenschaften, die ihn zu diesem Opernkomponisten machten und seine unerschöpfliche Kraft der Erfindung zeigten (P. Bekker).

Die Berliner Philharmoniker unter ihrem neuen Dirigenten Kirill Petrenko beginnen mit der Ouvertüre, und die Musik fängt den Zuhörer magisch ein. Die Harmonik ist üppig und entspringt einem überquellenden Klangsinn. Die Harmonie bereitet in Fülle den Wohlklang des Orchesters, der Mischung aus Blech und Holz bei zumeist führenden Streichern.

Die Berliner klingen einfach meisterlich. Kirill Petrenko macht den Dirigierstab zum „Zauberstab“! Die Streicher sind das Fundament und spielen aus einem Guss und einem Atem die Holz- und Blechbläser. Sie alle sorgen für die dynamischen Akzente, die Kunst der Veränderung der Tonstärke durch innere Kraft. Phänomenal, wenn die Streicher im ppp-Pianissimo beginnen und sich im Crescendo steigern. Diese Meisterleistung zieht sich durch die ganze Oper wie auch die Kunst der Fermaten bis zur Generalpause, um große Spannung aufzubauen. Es steht alles in der Partitur! Man muss sie nur lesen können.

Die Oper beginnt überwältigend durch den großen Chor, der im Ganzen immer wieder den Fortgang der Handlung erzählt. Dem Berliner Rundfunkchor ein Bravo. Maria, ein blutjunges Mädchen, als Tochter von Kotschubei und Ljubov behütet aufgewachsen, verliebt sich in den viel älteren Hetman Mazeppa und verlässt ihm zuliebe das elterliche Haus. Sie muss dann erfahren, dass Mazeppa aus machtpolitischem Kalkül ihren Vater gefoltert und hingerichtet hat.

Alle Sänger kommen aus der russischen Schule, und man hört mit Wonne die wunderbaren Stimmen. Vladimir Sulimsky als Mazeppa ein überzeugender Bariton, Dmitry Ulyanow als sein Gegenspieler Kotschubei ist ein profunder Bass, seine Frau Ljubov (Marias Mutter) in voller Mezzo-Lage Oksana Volkova, Dmitry Golovnin als Marias Jugendfreund Andrei und quasi Verlobter, ein begabter Lirico Spinto Tenor. Und weiter Dimitry Ivashchenko, Anton Rositskiy, Alexander Kravets als betrunkener Kosak, der ein Gustostückerl spielt, das die Handlung weiterbringt.

Und Olga Peretyatko als Maria, ihr Debut in dieser Rolle. Die Stimme wirkt leider überanstrengt auf dem Weg ins dramatische Fach. Schade, denn sie war so vielversprechend als lyrischer Koloratur-Sopran gestartet. Die Oper ist kein „Psychothriller“, sondern für Maria lyrisch, im Stil der Romantik angelegt. „Am Ende erst hat sie ihren eigenen Ton: wahnsinnig geworden, erkennt sie Mazeppa nicht mehr und wiegt den von diesem verwundeten Andrei, der erfolglos um sie geworben hatte, in den Tod.“ Es gibt über dieses gelungene Kunstwerk Oper noch vieles zu berichten, wie im 3. Akt der Aufmarsch der Trompeten solistisch auf der Bühne, später noch einmal von oben von den Rängen. Welch eine Schlacht bei Poltava! Es gibt immer wieder manche vorahnende Verbindung zu Puccini.

Die Schreiberin bezähmt ihre Freude an diesem Abend. Er würde sonst weitere Seiten füllen. Diese Oper dirigiert von Kirill Petrenko „is a Must!“ Einen Wermutstropfen für Baden-Badener gibt es. Am 10.11. und 12.11., gibt es „Mazeppa“ hier in Baden-Baden. Am 14.11. ist die Premiere in Berlin. Hier hatte die Karte den stolzen Preis von 260,00 €, in Berlin aber nur 101,00 €. Also eine blendend bezahlte Haupt- und Generalprobe? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber bleiben wir zum beglückenden Opernabend bei Tschaikowsky’s Briefen an seine Gönnerin Nadeshda von Meck: „Den Verstand könnte man verlieren, wenn die Musik nicht wäre.“ und „Im Himmel gibt es vielleicht keine Musik. So wollen wir also auf Erden leben, solange es uns vergönnt ist.“

Inga Dönges 11.11.2021

Fotos © Monika Rittershaus