Piacenza: „La Wally“

Premiere am 17.02.2017

Schneegestöber in der Po-Ebene

Lieber Opernfreund-Freund,

als Opernfan aus Deutschland ist man sich nicht immer bewusst, wie hoch doch die Subventionen sind, die dafür sorgen, dass hierzulande zahlreiche Theater auch kleiner Kommunen über eigene Ensembles verfügen und regelmäßig und kontinuierlich bespielt werden können. In Italien, dem Mutterland der Oper, sieht das anders aus. Die allermeisten Häuser haben einen reinen Stagione-Betrieb, werden also nur für einzelne Produktionen geöffnet, für die ausnahmslos Gastsängerinnen und -sänger engagiert werden und die dann en block in wenigen Aufführungen gezeigt werden. So kommt es, dass in prachtvoll ausgestatteten Theatern, wie dem Teatro Municipale in Piacenza, einer Großstadt mit gut 100.000 Einwohnern, das über 1.100 auf fünf Ränge verteilte Plätze verfügt, in der laufenden Saison nur 16 Mal Musiktheater angeboten wird. Die insgesamt sechs Werke entstehen als Koproduktionen mit anderen Theatern, wohin sie nach höchstens drei Aufführungen weiter wandern. Wer die verpasst hat, hat Pech gehabt, denn so etwas wie Repertoire und damit die Chance, ein Stück in einer anderen Spielzeit noch einmal zu sehen, gibt es nicht. Dieser Art von Theaterbetrieb hat in Italien eine lange Tradition. Piacenza und die unweit gelegenen Theater in Modena und Reggio Emilia stellen seit Jahren gemeinsam Produktionen auf die Beine. Schon 1975, als hier zum letzten Mal Alfredo Catalanis ohnehin recht selten aufgeführte „Wally“ zu sehen war – damals mit der wunderbaren Raina Kabaivanska in der Titelrolle, hatte man sich zusammen getan, um das Stück zu realisieren. Am gestrigen Freitag hatte die Neuproduktion nun also in Piacenza ihre „richtige“ Premiere, auch wenn die Inszenierung bereits am vergangenen Mittwoch in der hier üblichen Vorpremiere für die Schulen gezeigt wurde.

Regisseur Nicola Berloffa ist bei seiner Lesart nicht an einer großartigen psychologischen Interpretation oder gar Umdeutung des in unseren Breitengraden vor allem aus den Geierwally-Heimatfilmen bekannten Geschichte, die auf dem Roman von Wilhelmine von Hillern basiert, gelegen. Und doch gelingen ihm durch Kleinigkeiten eigene Akzente: So ist Wallys Vater Stromminger nicht der Despot, als der er sonst gerne gezeigt wird. Er ist einfach nur so kalt wie die Welt, von der Wally umgeben ist, und die im eisigen Bühnenaufbau von Fabio Cherstich treffend versinnbildlicht wird. Wallys Freund Walter ist nicht der knabenhaft-unschuldige Junge, sondern hat durchaus amouröse Ambitionen und Wally selbst ist aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres Wesens Außenseiterin, hält beim Fest im zweiten Akt, bei dem sich alles dicht an dicht auf Holzbänken in Afras Wirtshaus drängelt, außerhalb Hof in ihrem Ledersessel. Frei von Lokalkolorit ist die Szenerie also nicht, doch sie wird nicht zum Selbstzweck. Die einfallsreichen Kostüme, die Valeria Donata Bettella geschneidert hat, orientieren sich an der Landhausmode gegen Ende des 19. Jahrhunderts, Pelz, Leder und Loden dominieren und Wallys Auftritt im roten Samtkleid wird zum atemraubenden Wow-Moment. Das stimmungsvolle Licht von Marco Giusti tut ein Übriges dazu, um die Geschichte um Liebe, Eifersucht, Mordkomplott und tragisches Ende schlüssig zu erzählen. Dabei tut Berloffa gut daran, die Lawine nicht zu visualisieren – in der Vergangenheit wirkte das allzu oft unfreiwillig komisch – lässt die Oper aber trotzdem mit einem eindrucksvollen Paukenschlag enden. So gelingt ein werktreuer Abend, der dennoch aufs Trefflichste zu unterhalten vermag.

Bei nahezu allen Sängerinnen und Sängern handelt es sich in dieser Produktion um Rollendebüts. Lediglich Zoran Todorovich hat den Hagenbach schon im vergangenen Jahr in Monte Carlo verkörpert. Da hatte ich auf hohem Niveau gejammert und fehlende Gefühlstiefe bemängelt. Doch davon konnte gestern nicht die Rede sein. Der gebürtige Serbe, der seit Jahren in Deutschland lebt, besticht nicht nur durch bombensichere Spitzentöne, in die er sich mit gewohnter Verve förmlich hineinstürzt, sondern ist auch dermaßen eins mit dem Hagenbach, dass er immer wieder zarte Töne findet und vor allem im vierten Akt sämtliche Facetten zeigt, die diese Mörder-Partie hat. Von der restlichen – nicht weniger überzeugenden – musikalischen Seite wie der umwerfenden Wally-Interpretation von Saioa Hernandez, Serena Gamberonis farbenreichem Mezzo, mit dem sie den Walter gestaltet, Claudio Sguras eindrucksvollem Bartion in der Rolle des hier als intriganten Karrieristen gezeichneten Gellner und der überzeugenden Leistung der anderen Protagonisten berichte ich Ihnen gerne in vierzehn Tagen, wenn ich mir die Derniere der Produktion in Reggio Emilia anschaue, worauf ich mich nach der gestrigen Premiere besonders freue. Bis dahin sind sicher auch die kleinen Unsicherheiten bei den Streichern und im Blech des ansonsten tadellos aufspielenden Orchestra Regionale dell’Emilia Romagna unter der Leitung von Francesco Ivan Ciampa verschwunden, die bestimmt der Nervosität am Premierenabend geschuldet waren. Dem tosenden Schlussapplaus im voll besetzten Haus haben sie zumindest keinen Abbruch getan.

Ihr Jochen Rüth / 18.02.2017

Die Bilder stammen vom Studio Cravedi und wurden von der Fondazione Teatri Piacenza zur Verfügung gestellt.

P.S. Kaum zu glauben – und das im holden Opernland ITALIEN

Dass man sich im 21. Jahrhundert und dem Zeitalter der Smartphones vielleicht daran gewöhnen muss, dass in Lichtpausen zwischen den Akten rasch Fußballergebnisse oder E-Mails gecheckt werden, muss ich wohl hinnehmen. Dass man aber während der laufenden Aufführung nachschaut, was es Neues auf Facebook und in Whatsapp gibt, wie meine ansonsten hinreißende Sitznachbarin auf Platz 121 im Parkett, ist nicht extrem störend, sondern vor allem eine Respektlosigkeit gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf der Bühne die Seele aus dem Leib singen und spielen. Schämen Sie sich!