München: „Aida“

Premiere: 18. 6. 2014 und B-Premiere: 20. 6. 2014

Bravorufe im Prinzregententheater

Zu einer absoluten Sternstunde anspruchsvollen modernen Musiktheaters geriet die Premiere von Verdis „Aida“ im Prinzregententheater. Diese in jeder Beziehung gelungene Produktion gehört mit zum Besten, was die Rezeptionsgeschichte des Werkes zu bieten hat, und ist der klischeehaften und belanglosen Inszenierung von Christof Nel an der Bayerischen Staatsoper deutlich überlegen. Es wurde Außerordentliches geleistet und dem begeisterten, am Ende mit herzlichem Applaus und starken Bravorufen nicht geizenden Publikum ein Opernabend geboten, der vor atemberaubender Spannung fast überkochte und sich auch musikalisch und gesanglich auf hohem Niveau bewegte. Dass das Gärtnerplatztheater längst nicht mehr nur das zweite Haus am Platz ist, hat man ja schon lange gewusst. Es hat sich in den vergangenen Jahren zu einer echten, ernstzunehmenden Alternative zum Nationaltheater entwickelt. Hier wird mit großer Gewissenhaftigkeit und Akribie gearbeitet und die dabei erzielten künstlerischen Ergebnisse sind enorm.

Ensemble A-Premiere

Mit dieser phänomenalen „Aida“, hat sich das Staatstheater am Gärtnerplatz zum ersten Mal in die Gefilde des modernen Regietheaters vorgewagt und damit den größten Erfolg seit Jahren für sich verbuchen können. Das ist indes nicht allzu überraschend, wenn ein so versierter Regisseur wie Torsten Fischer am Regiepult Platz nimmt. Hier haben wir es mit einem ausgemachten Theatertier zu tun, dessen hohe technische und innovative Fähigkeiten nicht hoch genug zu loben sind. Dass wirklich an keiner Stelle irgendwie geartete Leerläufe auftraten, liegt in erster Linie an Fischers meisterhaftem Umgang mit den Sängern, die er abwechslungsreich und sehr stringent zu führen versteht. Die zwischenmenschlichen Beziehungen werden von ihm mit größtmöglicher Genauigkeit und sehr differenziert herausgearbeitet. Hierzu tragen auch die vielfach angewendeten Tschechow’schen Elemente einen gehörigen Teil bei. Dass die handelnden Personen einfach nur für sich singen, kommt praktisch gar nicht vor. Fast ständig treten sie bei ihren Arien in Interaktionen zu anderen Personen, für die Verdi an der betreffenden Stelle ursprünglich gar keinen Auftritt vorgesehen hat. So singt Radames bei „Celeste Aida“ unter ständiger Beobachtung von Ramphis und der einen schicken weißen Hosenanzug tragenden Amneris Aida an. Diese wiederum kommuniziert bei „Ritorna Vincitor“ nicht nur mit ihm, sondern auch mit dem König. Bei der Nilarie im dritten Akt sucht sie verzweifelt Rat der bei der Sacerdotessa Thermouthis, die von Fischer ungemein aufgewertet und ständig in das Geschehen mit eingeflochten wird. Zahlreiche Zwiegespräche werden von anderen Handlungsträgern beobachtet, wodurch die szenische Spannung gesteigert wird. Der Regisseur versteht es zudem ausgezeichnet, das Innenleben der Protagonisten in eine ausdrucksstarke Körpersprache zu übersetzen, und wartete darüber hinaus mit einer fulminanten Lenkung von Chor und Statisterie auf, die er immer wieder zu höchst expressiven Bildern zusammenführte.

Monika Bohinec (Amneris), Sae Kyung Rim (Aida)

Bei Fischer verkommt Verdis Oper nicht zum traditionellen, pompösen Ausstattungsstück. Vielmehr transferiert er es geschickt in die Gegenwart. Allgemeingültigen, zeitlosen Aspekten des Werkes wie Liebe, Eifersucht und die Sinnlosigkeit von Kriegen wird durch ein abstraktes Bühnenbild Rechung getragen. Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos, die auch für die zeitgenössischen Kostüme verantwortlich zeigten, haben ihm einen silbern schimmernden, leeren und kargen Gedankenraum auf die Bühne des Prinzregententheaters gestellt. Die reflektierenden Aluminiumwände sind als Spiegel der Seelen der Beteiligten zu begreifen. Diesen Raum kann man sowohl als Machtzentrale des ägyptischen Staates, als auch – mit Blick auf den im Zentrum des Saales befindlichen Gitterboden – als Gefängnis deuten. An äußerem Prunk ist dem Regisseur nichts gelegen. Ihm kommt es vielmehr auf die nachhaltige Herausstellung der vielfältigen Emotionen und Konflikte an, wobei er auch der psychologischen Komponente hohes Gewicht beimisst. Er erzählt das Ganze aus der Perspektive von Aida. Noch vor Einsetzen der Musik tritt sie bei totaler Verdunkelung in schwarzer Burka vor den Vorhang und vollführt ein Ritual. Solche wird es im Lauf der Aufführung noch oft geben. Unmittelbar danach erscheinen auf einer hinter ihr aufragenden Papiergardine riesige Männersilhouetten. Eine Faust durchreißt den Vorhang und zieht die äthiopische Prinzessin unbarmherzig hinein in das tragische Geschehen, das sie im Folgenden als tödlichen Alptraum erlebt.

Tamara Haskin (Aida), Angus Wood (Radames)

Neben der psychologischen enthält die Inszenierung auch eine überzeugende politische Komponente. Die Burka der Protagonistin weist nach Nahost. Im Übrigen sind die Kostüme bürgerlich-europäischer Natur. Die Männer tragen dunkle Geschäftskluft, die Frauen lange blaue Umhänge. Dabei wird die Unterscheidung zwischen den verfeindeten Ländern Ägypten und Äthiopien nicht haarscharf durchgezogen. Das soll wohl auf einen Bürgerkrieg innerhalb desselben Staates hindeuten. Es ist naheliegend, dass Fischer eine Abbildung der derzeitigen Verhältnisse in der Ukraine intendiert, was seiner Regiearbeit eine beklemmende Aktualität verleiht. Der Triumphmarsch, während dessen Verlauf einer der Gefangenen ein Attentat auf den traumatisierten Radames verübt, wird unter diesen Voraussetzungen in sein Gegenteil verkehrt und erscheint als trauriger Ausdruck eines bitteren Bruderzwistes. Nicht so sehr äußere Gefahren sind es, die nach Fischers Ansicht einen Staat gefährden, sondern innere Instabilität. Wo die Führungsspitze versagt, sind revolutionären Umbrüchen Tür und Tor geöffnet. Demgemäß wird der im ersten Akt auf einem schmalen Vorsprung sitzende Pharao als äußerst schwacher Herrscher vorgeführt.

Diese ein wenig an Neuenfels’ Bayreuther Deutung von Wagners Heinrich der Vogler erinnernde Sicht des Regisseurs macht aus dem König eine regelrechte Abziehfigur, eine Karikatur ersten Grades, die nicht ernst zu nehmen ist. Er lehnt es ab, selbst aktiv zu werden und beobachtet das Geschehen lieber von seiner übergeordneten Warte bzw. von der Seite aus. Er ist nurmehr eine Marionette in der Hand des im schicken dunkelblauen Anzug mit Hemd und Krawatte auftretenden Ramphis, dem seine Sonnenbrille einen mafiösen Anstrich verleiht. Der Pate hat sich nach Ägypten verirrt. Gekonnt wird von Fisher hier eine ganz und gar weltlich orientierte politische Priesterschaft vorgeführt, dessen Anführer als spiritus rector die Fäden sicher in der Hand hält und am Ende den Pharao mit einer ursprünglich Radames gehörenden Kalaschnikow kurzerhand liquidiert. Hier wird vom Regisseur treffend das Problem einer anrüchigen Staatskirche aufgeworfen, die gerne auch mal Vetternwirtschaft treibt. Jedenfalls erscheint die Berufung von Radames zum Heerführer als abgekartetes Spiel zwischen Ramphis und Amneris, in dem deren Vertrauten Thermouthis, die auch in naher Beziehung zu dem grausamen Oberpriester steht, eine Schlüsselrolle zukommt. Ihr Gewand weist sie als Landsmännin von Aida aus, die sich im Gegensatz zu dieser mit dem fragwürdigen ägyptischen Staatssystem bestens arrangiert hat und ihm nun bereitwillig dient. Am eindrucksvollsten ist Fischer die Gerichtsszene gelungen. Die Bühnentiefe reicht bis zur hinteren Brandschutzwand, vor der die Priester auf Stühlen nebeneinander sitzen, etwas weiter vorne rechts Ramphis. Vorne, abgesondert, allein und mit dem Rücken zum Auditorium steht Radames, dem die mit dem Mut der Verzweiflung gegen die Priester aufbegehrende Amneris nicht mehr helfen kann – ein ungeheuer unter die Haut gehendes Bild. Radames und Aida sterben am Ende einen symbolischen Tod: Eine über ihnen befindliche Brücke senkt sich immer mehr auf sie herab und begräbt sie zu guter Letzt unter sich. Das alles war hervorragend durchacht und bravourös umgesetzt.

Alaine Ortiz Arandes (Sacerdotessa), Sergii Magera (Ramphis)

Es zeugt auch in sängerischer Hinsicht von dem hohen Standard des Gärtnerplatztheaters, dass es in der Lage ist, die Hauptpartien gleich doppelt und fast gleichermaßen hochkarätig zu besetzen. In der Titelrolle hatte Sae Kyung Rim bei der A-Premiere die Zuschauer schnell auf ihrer Seite. Mit ihrem bestens italienisch geschulten Sopran, der über großes Differenzierungsvermögen, eine hohe Nuancenvielfalt und viele Farben verfügt, zog sie alle Facetten ihrer anspruchsvollen Partie, die sie auch überzeugend darstellte. In puncto glutvoller Emotionalität ihres Spiels war ihr Tamara Haskin, die die Partie bei der B-Premiere sang, überlegen. Vokal erreichte Frau Haskin jedoch nicht das hohe Niveau ihrer Kollegin. Ihr kraftvoller Sopran ist recht eindimensional, wird praktisch nur laut geführt und weist zur orgelnden Tiefe hin einen unschönen Registerbruch auf. Als Radames bewährte sich am 18. 6. Gaston Rivero, der seinem Part mit hingebungsvoller stimmlicher Emphase Herr wurde und am Schluss von „Celeste Aida“ auf dem hohen ‚b’ zu einem selten gehörten, zarten Pianissimo fähig war. Um dieses machte Angus Wood (20. 6.) zwar einen Bogen, konnte insgesamt aber mit seinem gut italienisch durchgebildeten, prägnanten und höhensicherem Spinto-Tenor ebenfalls gut überzeugen. Sowohl Monika Bohinec (18. 6.) als auch Dubravka Musovic (20. 6.) stürzten sich mit großer Intensität in die Rolle der Amneris und wurden der Königstochter beide mit volltönenden, runden Mezzospranen voll und ganz gerecht. Francesco Landolfi gab den Amonasro als ausgeprägten Machtpolitiker, dem er auch stimmlich mit seinem robusten, trefflich gestützten Bariton gut entsprach. Sergii Magera sang einen kernigen Ramfis, dem er darstellerisch ein passend unsympathisches Profil zu geben wusste. Elaine Ortiz Arandes gab mit solidem Sopran eine ansprechende Sacerdotessa Thermouthis, die sie auch energisch spielte. Rein äußerlich wurde Holger Ohlmann (18. 6.) der karikativen Anlage des Königs besser gerecht als Martin Hausberg (20. 6.). Gesungen haben aber beide vortrefflich. Etwas dünn klang Stefan Thomas’ Bote. Auf hohem Niveau bewegte sich der von Jörn Hinnerk Andresen bestens einstudierte Chor und Extrachor.

Gaston Rivero (Radames), Chor

Am Pult erzeugte GMD Marco Comin mit dem Orchester einen von schöner Italianità geprägten, feurigen und ausdrucksstarken Klangteppich. Da ging es im Graben insbesondere bei den Massenszenen hoch her. Andererseits entlockte der Dirigent den Musikern aber auch feine kammermusikalisch angehauchte Töne und ansprechende Piani. Leider patzte bei der B-Premiere ausgerechnet beim Triumphmarsch einmal eine Solo-Trompete. Das sollte nicht sein.

Fazit: Diese bestens gelungene Aufführung stellt einen absoluten Glanzpunkt im Repertoire des Gärtnerplatztheaters dar, dem an dieser Stelle eine herzliche Gratulation auszusprechen ist. Der Besuch der „Aida“ wird jedem Opernfreund ans Herz gelegt!

Ludwig Steinbach, 23. 6. 2014
Die Bilder stammen von Christian Zach.