München: „Der Mann von La Mancha“

Premiere: 2. 10. 2013

Plädoyer für Menschlichkeit

Eine szenische Sternstunde in Sachen Musical stellte Josef E. Köpplingers Neuinszenierung von Dale Wassermans, Mitch Leighs und Joe Darions Erfolgsmusical „Der Mann von La Mancha“ dar, mit dem das Staatstheater am Gärtnerplatz im Ausweichquartier der Reithalle in die neue Saison startete. Dieses auf dem berühmen Roman von Miguel de Cervantes beruhende Stück traf im Jahr seiner Uraufführung 1965 im ANTA Washington Square Theater in New York den Nerv der Zeit. In einer von Arbeitslosigkeit und Angst vor einem erneuten Krieg geprägten amerikanischen Welt war Gewalt an der Tagesordnung. Der Traum von Martin Luther King fand auf der Musicalbühne in dem Traum von La Mancha als Plädoyer für Mitleid und Toleranz seinen beredten Ausdruck

Hier setzt auch Köpplingers Inszenierung an, die er zusammen mit seiner Co-Regisseurin Nicole Claudia Weber entwickelte. Mit Blick auf die Tatsache, dass Themen wie Brutalität und Intoleranz damals wie heute das Dasein der Menschen geprägt haben und leider immer noch prägen, lässt er das Werk auf mehreren Zeitebenen spielen: zur Zeit von Cervantes um 1590, in den 1960er Jahren, in denen die Komposition geschaffen wurde, und in der Gegenwart. Er macht aus dem Musical kein Ausstattungsstück, sondern wartet mit einer den tieferen Sinn des Stückes unterstreichenden Kargheit auf. Dabei weiß er den Raum der nüchternen Reithalle, in deren reflektierendem Boden sich die Darsteller oft spiegeln – gekonnt hält der Regisseur hier auch dem modernen Publikum den Spiegel vor – trefflich zu nutzen. Thomas Stingl hat ihm eine quadratische Spielfläche zwischen zwei Zuschauertribünen auf die Bühne gestellt, die die Darsteller den ganzen, ohne Pause durchgespielten zweistündigen Abend nie verlassen, was zu einer stark erhöhten Präsenz der Schauspieler und zu einer großen inneren Spannung führt. Zum letzteren tragen indes auch die von Köpplinger trefflich herausgearbeiteten zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den von Bettina Breitenecker zeitgenössisch eingekleideten Häftlingen einen gehörigen Tei bei.

Nicht mit Opfern der spanischen Inquisition haben wir es hier zu tun, sondern mit aus den unterschiedlichsten Gründen festgehaltenen Gefangenen der Jetztzeit, deren Nerven angesichts der Übergriffe der immer wieder die Bühne stürmenden, schwarz gewandeten und mit Strumpfmasken versehenen Sturmtruppen bis zum Zerreißen gespannt sind, und die oftmals unkontrolliert aufeinander losgehen. Dies geschieht vereinzelt bereits während die Zuschauer ihre Plätze einnehmen. Mörder und Räuber sind in gleichem Maße darunter wie Asylanten und politisch Verfolgte. Zu letzteren gehört auch Cervantes, der zusammen mit seinem Diener in einer riesigen Kiste die gesamte Ausstattung zu seinem Theater auf dem Theater „Der Mann von La Mancha“ mit sich herumträgt. Er führt es zum Zwecke seiner Verteidigung als humanistisches Lehrstück zusammen mit seinen Leidensgenossen auf. Dabei werden aus einer Leiter und mehreren Balken nacheinander eine Windmühle, die Schenke, die Kirche und so manch anderes improvisiert.

Der Dichter ist zunächst noch genauso ein Außenseiter wie der Don Quichotte seines Stückes, vermag seine Mitgefangenen aber immer mehr von seinen humanen Wertvorstelllungen zu überzeugen. Deutlich wird, dass wer nicht mit dem Strom schwimmt, schnell in diese unrühmliche Rolle gedrängt wird, obwohl er eigentlich viel normaler ist als die anderen. Für Köpplinger ist der Held nicht verrückt, sondern nur ein Mensch mit einem Übermaß an Phantasie, die nur harmloser Natur ist, die aber die der Handlung immanente Gesellschaftskritik aufs Beste zum Ausdruck bringt. Narren sagen bekanntlich die Wahrheit. Und die steht bei dem größten Kritiker seiner Zeit Don Quichotte an oberster Stelle. In seinem Plädoyer für Menschlichkeit erweist er sich als der einzige wahre Edelmann. Da kann, wie eine These des Werkes besagt, die Therapie sehr viel schlimmer sein als die Krankheit. Braucht man erstere überhaupt? Der Schluss sagt dazu eindeutig nein. Insgesamt ist Köpplinger eine in ihrer sozialen Stringenz sehr stimmige, eindringliche und atmosphärisch dichte Inszenierung gelungen, die ihm alle Ehre macht.

Andreas Kowalewitz und das gut gelaunte Orchester präsentierten die Musik in all ihrer Schlichtheit mit großer Verve und unter Betonung des Folklorecharakters der Partitur, wobei der ständig präsenten Gitarre eine herausragende Rolle zufiel.

Auch die fast durchweg eingesetzten Musical-Sänger – Opernstimmen vernahm man wenig – vermochten gut zu überzeugen. Bei Erwin Windegger war die Doppelrolle des Cervantes/Don Quichotte in besten Händen. Er stattete sie sowohl darstellerisch wie auch gesanglich mit großer Menschlichkeit und Wärme aus. Insgesamt gelang ihm ein sehr ausgewogenes, sympathisches Rollenportrait. Dass ihm das Herz von Aldonza langsam, dafür aber umso sicherer zufloss, war nur zu verständlich. Und die von ihm immer nur Dulcinea genannte Lebedame war bei der recht herb und ordinär, am Ende aber umso gefühlvoller spielenden Carin Filipcic ebenfalls trefflich aufgehoben. Peter Lesiak vermittelte glaubhaft die Anhänglichkeit von Diener Sancho an seinen Herrn. Ein gut singender, schauspielerisch imposanter Gegenspieler von Cervantes war der dem Opernensemble entstammende Martin Hausberg als Gouverneur und Gastwirt. Großes Charisma und imposantes Auftreten zeichneten den Herzog und Dr. Carrasco von Frank Berg aus. Gegenüber dem ihn in seiner Verfolgung des Ritters von der traurigen Gestalt begleitenden Jesper Tydén in der Partie des Padre hatte er die Oberhand. Eine anrührende Antonia war die etwas mehr in Richtung Operngesang gehende Katja Reichert. Nachdrücklich wusste sich Marika Lichter als Gastwirtsfrau Maria ins rechte Licht zu setzen. Weniger auffällig war Snejinka Avramovas Haushälterin. Das Dienstmädchen Femina gab Frances Lucey. In den Rollen von Maultiertreibern und Mauren rundeten Maurice Klemm (er spielte auch den Barbier), Hannes Muik, Christopf Graf, Peter Neustifter, Alexander Moitzi und Florian Peters sowie Pál Szepesi und Nicola Gravante als köstlich anzusehende Reittiere das homogene Ensemble ab, dem auch noch Peter Windhofers Hauptmann angehörte.

Ludwig Steinbach, 7. 10. 2013
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber.