München: „Die Entführung aus dem Serail“

Premiere: 30. 1. 2014

Exotische Belanglosigkeit

Zu einer ziemlich harmlosen Angelegenheit geriet die Premiere von „ Die Entführung aus dem Serail“ am Staatstheater am Gärtnerplatz. Da das Stammhaus noch immer renoviert wird, ging die Aufführung im Cuvilliéstheater über die Bühne. Der intime Charakter dieses kleinen Hauses passte trefflich zu dem Charakter von Mozarts Singspiel, das in der Inszenierung von Stephanie Mohr eine wenig aufregende Umsetzung erfuhr. Spannendes, aufwühlendes Musiktheater mit neuen Deutungsmustern, wie man es bei diesem Stück in der letzten Zeit insbesondere in Heidelberg und Saarbrücken erlebt hatte, scheint ihre Sache nicht zu sein. Sie ging auf Nummer sicher.

Raphael von Bergen (Bassa Selim), Jennifer O’Loughlin (Konstanze),

Von der Personenregie her war ihre Arbeit allerdings durchaus beachtlich. Sie versteht mit Sängern umzugehen und sie solide zu führen. Auch ließ sie hier und da einen gehörigen Schuss Komik einfließen. Die zugegebenermaßen manchmal durchaus vergnüglichen Einlagen trugen viel zum Erfolg der Produktion bei dem zahlreich erschienenen Publikum bei. Auch wartete sie gekonnt mit Tschechow’schen Elementen auf. So ließ sie den von Pedrillo betrunken gemachten und darob eingeschlafenen Osmin in der Folge während des Quartetts der beiden Paare in einem Sessel in luftiger Höhe schweben und ihn auch mal aufwachen. Seine Wahrnehmung wohl für einen Traum haltend, schlief er aber gleich wieder ein. Dasselbe Verfahren wendet sie im dritten Akt bei Bassa Selim an, um dessen im wahrsten Sinn des Wortes übergeordnete Stellung zu betonen. Er ist ein echter Herrscher, der sowohl harte als auch milde und humane Seiten aufweist und noch relativ jung ist – eine ernstzunehmende Konkurrenz für Belmonte. Dieser Ansatzpunkt ist indes nicht mehr neu.

Auch sonst bewegt sich Frau Mohr mit ihrer Sichtweise in ausgetretenen Gefilden. Einige von ihr aufgeworfene Gedanken zu dem Stück hat man bei anderen Regisseuren schon ähnlich gesehen. So bereits den Ausgangspunkt ihrer Konzeption von Mozarts Türkenoper. Der Handlungsort Türkei erfährt in ihrer Interpretation keine örtliche Verankerung, sondern wird als Sinnbild des Fremden in einen von Miriam Busch entworfenen, ausgesprochen exotisch anmutenden Raum mit von der Decke herabhängenden Lampen und mit einer spiegelartigen blechernen Rückwand verlegt. Dieser stellt ein Theater auf dem Theater – Bertolt Brecht lässt grüßen – der Mozart-Ära dar, von dessen Seitenlogen die von Alfred Mayerhofer barockmäßig eingekleideten Bühnen-Zuschauer zu Beginn die Vorstellung verfolgen. Die Logen werden auch im weiteren Verlauf des Abends immer wieder in die Aktionen der Handlungsträger einbezogen. Bis auf den ebenfalls der Zeit des Komponisten entsprungenen Belmonte und den in bunt schillernde Gewänder gekleideten Janitscharenchor sind die Protagonisten etwas moderner gezeichnet. Die Damen bewegen sich dabei noch im Grenzbereich. Ausgesprochen zeitgenössisch erscheinen dagegen Osmin und der Bassa, denen die Regisseurin einen etwas mafiösen Anstrich gibt. Letzterer erscheint hier als letztlich einsamer Mensch, der eine Auseinandersetzung mit anderen Menschen sucht, diese aber nicht zu finden vermag.

Der geistige Gehalt, den Stephanie Mohr ihrer Produktion angedeihen lässt, entspricht ansonsten ganz der Dramaturgie des Singspiels. Beleuchtet werden die verschiedenen Erscheinungsformen der Liebe, sowohl positive als auch negative. Eine neue Definition dieses Gefühls wird gesucht und gefragt, was ein Mensch ihretwillen zu wagen bereit ist. Das ist zwar ein praktikabler Ansatzpunkt, nur wird die Inszenierung dadurch nicht interessanter. Insgesamt hat die Regisseurin aus dem Werk ein Ausstattungsstück gemacht und ziemlich geradlinig am Textbuch entlang inszeniert, ohne dessen gesellschaftspolitisch durchaus brisanten Subtext auf unsere Zeit hin zu hinterfragen. Behaglichkeit und sanfte Unterhaltung ohne sonderlichen Tiefgang waren angesagt, was den Abend in szenischer Hinsicht entbehrlich machte. Diese doch recht belanglose Produktion wird die Rezeptionsgeschichte des Werkes nicht voranbringen. Eine derartige Inszenierung ist einfach nicht mehr zeitgemäß.

Nicht durchweg überzeugend waren die gesanglichen Leistungen. Am besten vermochte noch Jennifer O’ Loughlin zu gefallen, die man noch von ihrer Semele her in guter Erinnerung hat. Schon darstellerisch entsprach sie der Konstanze mit intensivem, emotionalem Spiel voll und ganz. Auch stimmlich war sie der schwierigen Partie mit ihrem gut sitzenden, sauber geführten, flexiblen und koloraturgewandten Sopran hervorragend gewachsen. Die perfekt gesungene Martern-Arie, den Höhepunkt der Aufführung, versah sie darüber hinaus noch mit einem gehörigen Schuss Dramatik. Hier wurde ganz offensichtlich, dass ihr der Bassa nicht gleichgültig ist. Sie mag ihn wirklich. Neben ihr war es insbesondere noch Patrick Simper, der als Osmin mit seinem sonoren, farbenreichen Bass italienischer Schulung, der sowohl in der Höhe als auch in der extremen Tiefe gleichermaßen gut ansprach, einen gefälligen Eindruck hinterließ. Auch im Spiel war er überzeugend. Gut ausgeprägt waren auch die darstellerischen Fähigkeiten von Csilla Csováris Blonde. Vokal bedarf ihr Sopran noch etwas mehr an Reifung. Er hätte an manchen Stellen etwas runder klingen können. Das gilt auch für den Pedrillo von Daniel Prohaska, dessen Tenor recht variabel verankert ist. Am besten gefiel er mit seiner Arie „Frisch zum Kampfe“, die er kraftvoll und recht solide zum Besten gab. Das Ständchen im dritten Akt ließ es dagegen an einer guten stimmlichen Focussierung fehlen. Mal sang er mit ordentlicher tiefer Stütze, an anderer Stelle wieder flach. Nicht zu gefallen vermochte der Belmonte von Dean Power, dessen Tenor durchweg sehr dünn und kopfig klang und ihm zudem bereits bei seiner ersten Arie einmal wegbrach, was nicht gerade von einer soliden Technik zeugt. Ein von seinen Temperamenten her vielschichtiger Bassa Selim war der Schauspieler Raphael von Bergen.

Eine hervorragende Leistung erbrachte Marco Comin am Pult. Zusammen mit dem trefflich aufgelegten und lustvoll aufspielenden Orchester erzeugte er in zügigen Tempi einen frischen und farbenreichen, dabei intensiven und prägnanten Mozart-Klang, der sich zudem durch markante Akzente auszeichnete.

Ludwig Steinbach, 1. 2. 2014
Die Bilder stammen von Thomas Dashuber.