München: „Luisa Miller“, Giuseppe Verdi

Insgesamt vier Opern komponierte Giuseppe Verdi, die auf Stücken von Friedrich Schiller basieren – „Giovanna d´Arco“ nach „Die Jungfrau von Orleans“, „I masnadieri“ nach „Die Räuber“, „Luisa Miller“ nach „Kabale und Liebe“ und „Don Carlo“ nach „Don Carlos“. Das letztgenannte Werk ist die wohl bekannteste Oper dieses Quartettes, in „Luisa Miller“ hat Verdi jene Arie komponiert, mit der jeder Tenor auf der Bühne oder im Konzert prunken kann. Am gestrigen Freitag, 5. Mai, war in der Regie von Torsten Fischer und unter der musikalischen Leitung von Anthony Bramall die Premiere einer Neuinszenierung dieser Oper im Gärtnerplatztheater in München.

Regisseur Torsten Fischer geht mit dem Stück, nennen wir es einmal so, einigermaßen freizügig um.  Wie so viele Regisseure traut er der Musik nicht und benutzt die Sinfonia für eine szenische Deutung – hier eine Menge von Soldaten in Kampfmontur und ausgestattet mit Gewehren (erst scheintot am Bühnenboden liegend, später sichtlich kampfbereit), zwei Kinder (die auch in der Folge immer wieder auftreten) sollen die frühe und lange Liebe zwischen Rodolfo und Luisa zeigen, und natürlich darf auch ein Mord nicht fehlen. Immerhin ist es konsequent, wenn der Chor der Landsleute im ersten Bild von eben jenen Soldaten gesungen und Miller, im Original ein ehemaliger Soldat („vecchio soldato in ritiro“ steht im Klavierauszug von Ricordi), zum Militärpfarrer wird. Da passt es dann auch, dass das Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Herbert Schäfer und Vasilis Triantafillopoulos) aus drehbaren bühnenraumhohen Paravents mit aufgemalten Frauenbildern (Luisa ?) und einer abwechselnd hochgezogenen und abgesenkten Spiegelscheibe an der Decke besteht und keinerlei Rückschluss auf die von Verdi und seinem Librettisten Salvatore Cammarano angedachten Schauplätze zulässt. Der Besucher aus Wien ist mit seinen 71 Jahren vermutlich zu alt, um an solchen Interpretationen noch Gefallen zu finden. Und er stößt sich auch in weiten Bereichen an den Kostümen – die Herzogin Federica erst im Pelzmantel und dann gemeinsam mit den Chordamen in Glitzerrobe, mit einer Vielzahl an Orden behangen die Uniform des Grafen Walter und als negativer Höhepunkt der Männerchor in Unterleibchen im 3.Akt.

(c) Jean-Marc Turmes / Gärtnerplatztheater

So gut die Personenführung und Charakterisierung der Protagonisten ist (gut, eine von Luisa angezettelten me-too-Debatte würde Wurm nicht unbeschadet überstehen), so wenig überzeugend ist die Führung des Chores. Da gibt es keinerlei individuelle Personen, der gesamte Chor muss die Hände ringen, mehr oder weniger rhythmische Bewegungen ausführen oder manchmal raumfüllend, manchmal bloß im Bühnenhintergrund herumstehen.

Ganz anders und absolut im „grünen Bereich“ sieht es auf der Gesangsseite aus. Und ich beginne mit dem von Pietro Numico hervorragend einstudierten Chor und Zusatzchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Einmal mehr konnten diese Damen und Herren unter Beweis stellen, dass sie kein „zweites“ Ensemble im an (sehr) guten Chören nicht armen München sind, sondern durchaus in der obersten Liga ihren Platz finden.

Sehr gut besetzt sind die kleinen Rollen, aus denen Caroline Adler, Mitglied des Chores, als Laura mit warmer Stimme herausragt. Und auch Anna Agathonos ist eine stimmlich wie darstellerisch überzeugende Interpretin der Herzogin Federica. Mit dem alten Miller, dem Grafen Walter und dem intriganten Wurm hat Verdi drei der fünf wesentlichen Rollen dunklen Stimmen anvertraut. Und die kann das Gärtnerplatztheater nahezu optimal besetzen. Das Ensemblemitglied Timos Sirlantzis gibt den Wurm als hinterhältigen Strippenzieher, der sich stimmkräftig und ausdrucksstark in Szene setzt. Man müsste sich in Beckmesser verwandeln, wollte man seine gesangliche Leistung kritisieren. Als Graf von Walter gibt Inho Jeong sein Haus- und Deutschlanddebut durchaus erfolgreich. Im Spiel differenzierend zwischen gräflicher Würde und (auch von Wurm gesteuerter) Brutalität, überzeugt er mit Präsenz und stimmlicher Ausgewogenheit. Die dritte dunkle Stimme und dritte große Rolle gehört Matija Meic, auch er langjähriges Ensemblemitglied. Stimmgewaltig ist sein Miller dort, wo es die Partitur verlangt, mitfühlender Vater seiner Tochter Luisa gegenüber. Den großen Rollen von Verdi, Puccini, Offenbach und anderen Komponisten hat er mit dieser Partie einen neuen Glanzpunkt angeschlossen. Das Premierenpublikum belohnte ihn berechtigt mit stürmischem Beifall und Bravo-Rufen.

(c) Jean-Marc Turmes / Gärtnerplatztheater

Nicht glücklich, aber das ist der subjektive Eindruck, wohl auch dem Sitzplatz geschuldet, ist der Schreiber des Berichtes mit dem ebenfalls am Haus debütierenden Jenish Ysmanov als Rodolfo. Unbestritten verfügt er über jene Höhen, die von jedem guten Tenor erwartet werden; die Stimmfarbe ist wohl eine Frage des individuellen Geschmackes. Und das trifft auch auf seine Phrasierung zu. Ein überzeugendes Rollendebut gibt auch Jennifer O´Loughlin, von „Hausherr“ Josef E. Köpplinger immer wieder als seine Primadonna geehrt, die mit Luisa ihr Repertoire erfolgreich erweitert. Die liebende, wie die verzweifelte junge Frau gibt sie überzeugend; mehr als bloß hörenswert ist ihr stimmlicher Wandel zwischen dramatischen Ausbrüchen und nahezu gehauchten Piani. Das ist Gesangskunst in Reinkultur.

Aufmerksam folgt das Orchester dem nicht immer sensiblen, insbesondere in der Sinfonia, Dirigat von Chefdirigent Anthony Bramall. Und diesem wieder einmal sehr guten Klangkörper setzen die Soloinstrumente die Krone auf.

Jubel und teils langanhaltenden Beifall vor allem für O´Loughlin, Meic und auch Ysmanov.

Michael Kolin 7. Mai 2023

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Luisa Miller

Giuseppe Verdi

München

Gärtnerplatztheater

Besuchte Premiere am 5. Mai 2023

Regisseur Torsten Fischer

Dirigat: Anthony Bramall