Gelsenkirchen: „Bernarda Albas Haus“, Aribert Reimann

Mit seinem „Lear“ ist Aribert Reimann einer der größten Erfolge der zeitgenössischen Oper gelungen und auch die „Gespenstersonate“ wird regelmäßig irgendwo in Deutschland gespielt. Seine anderen Opern haben es dagegen schwer. Die 1986 uraufgeführte „Troades“ ist seit 2000 nicht mehr zu sehen, das 1992 uraufgeführte „Schloss“ wurde zuletzt 2005 gespielt. Dass das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier sich jetzt an „Bernarda Albas Haus“ wagt, kann man schlicht als Sensation bezeichnen, denn das im Jahr 2000 in München uraufgeführte Stück, wurde 20 Jahre lang nicht gespielt und stellt höchste Anforderungen an Sängerinnen und Musiker

(c) Monika Forster

Reimann wählt ein ungewöhnliches Instrumentarium fernab eines traditionellen Orchesters: zehn Holzbläser, sieben Blechbläser, zwölf Celli und vier Flügel sind das Ensemble, das diese Musik zum Klingen ringt. Die Flügel sind teilweise präpariert, brodeln in unregelmäßigen und verschobenen Rhythmen. Die Blechbläser wälzen sich dahin wie flüssige Lava, und jeder der fünf Töchter der Bernarda bekommt eine eigene Klarinette zugeordnet.

Den Sängerinnen mutet Reimann meist große Intervallsprünge wie Septen und Nonen zu, was die Anspannung der Figuren verdeutlich. Rhythmisch wird in Quintolen, Sextolen oder Septolen gesungen, die dazu noch synkopiert werden. Gleichzeitig lässt Reimann den Sängerinnen so viel Raum, dass sie stets gut zu hören und der Text zu verstehen ist, denn die Instrumente begleiten den Gesang meist mit kurzen Einwürfen in den Pausen. Dirigent Johannes Harneit führt Sängerinnen und Musiker sicher durch die Klippen dieser Partitur, sorgt dafür, dass der Gesang im Mittelpunkt steht.

Wie das Gelsenkirchener Ensemble diese Anforderungen meistert und die Sängerinnen sich ihre Partien so angeeignet haben, als sei es das natürlichste der Welt, nötigt höchsten Respekt ab. Almuth Herbst singt die despotische Titelfigur mit energischem Mezzo. Ihr stimmstarker Widerpart ist Sabine Hogrefe als Magd La Poncia, die sie mit dramatischem Sopran ausstattet. Sehr expressiv gibt Anke Sieloff die zweite Magd Violetta. Kurze und effektvolle Auftritte hat Schauspielerin Mechthild Großmann in der Sprechrolle als Bernardas geistig verwirrte Mutter Maria Josefa.

(c) Monika Forster

Laut Libretto ist Bernardas älteste Tochter schon ein altes Mädchen, wird aber von Lina Hoffmann mit jugendfrischer Stimme und Erscheinung ausgestattet. Sehr akkurat und fast elegant singen Bele Kumberger und Margot Genet die Schwestern Magdalena und Amelia. Mit giftiger Ironie singt Soyoon Lee die schwindelerregenden Höhen der Martirio. Kokett und selbstbewusst verkörpert Katherine Allen die jüngste Tochter Adela. In ihren großen Solo-Nummern steigert sie ihre Stimme zu glühender Intensität.

Bühnenbildner Dieter Richter hat wieder einmal einen sehr sängerfreundlichen und imposanten Innenraum entworfen, der diesmal zweigeteilt ist: Links befindet sich der kleiner und schmucklose Bereich der Mägde, rechts das herrschaftliche Areal mit edlen Tapeten, Gemälde und Klavier. Ein in den Raum hineinragender Erker mit Tür ist der einzige Eingang in die abgeschottete Welt von Bernardas Familie. Ein Balkon in der ersten Etage steht aber auch für den Ausblick in die Freiheit. Die Kostüme von Nicola Reichert spiegeln gut die Charaktere, den Grad zwischen Anpassung und Aufbegehren wieder.

Regisseur Dietrich Hilsdorf, der seit 1981 am Musiktheater im Revier arbeitet, zeigt sein souveränes Können beim genauen Erzählen der Geschichte und dem Ausloten der Machtverhältnisse in dieser Familie. Sehr spannungsgeladenen bringt er die Rivalitäten und Intrigen der fünf Töchter auf die Bühne. Trotz der extremen gesanglichen Anforderungen feuert Hilsdorf die Sängerinnen auch mehrfach zu körperlichen Auseinandersetzungen an. Die Regie ist so genau und lebendig, dass sie auch als reine Sprechtheater-Aufführung funktionieren würde. – Insgesamt erlebt man hier einen großen Musik-Theaterabend, den man nicht verpassen sollte, denn so schnell wird es wahrscheinlich keine Gelegenheit geben dieses ungewöhnliche Stück wiederzusehen.

Rudolf Hermes 11. Mai 2023


Aribert Reimann:

„Bernarda Albas Haus“

Musiktheater im Revier

Premiere: 6. Mai 2023

Musikalische Leitung: Johannes Harneit

Regie: Dietrich Hilsdorf

Neue Philharmonie Westfalen

Weitere Vorstellungen am 12., 18. und 27. Mai sowie am 4., 10. und 24. Juni.