Gelsenkirchen: „Otello“, Gioachino Rossini

Premiere: 23. Oktober 2021, besuchte Aufführung: 26. Dezember 2021

Wenn deutsche Opernhäuser „Otello“ spielen, dann den von Giuseppe Verdi. Gioachino Rossinis gleichnamige Oper führt hingegen ein Schattendasein. Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier zeigt die selten gespielten Oper in einer Inszenierung von Manuel Schmitt, der versucht, viele Probleme der Gegenwart in dieser Oper auf die Bühne zu bringen. Bemerkenswert bei „Otello“-Inszenierungen der letzten Jahre, egal ob es sich um Verdi oder Rossini handelt, ist: Wenn man keinen Hauptdarsteller mit afrikanischen Wurzeln hat, sagen die Regisseure, es würde gar nicht um Rassismus gehen, sondern Otello habe noch andere Probleme. Verfügt das Opernhaus jedoch über einen passenden Sänger mit der entsprechenden Optik, so geht es doch um Rassismus. Im Gelsenkirchen verfügt man mit Khanyiso Gwenxane über einen wohlklingenden Tenor, der in Südafrika geboren wurde, so dass Manuel Schmitt ein großes Rassismus-Drama entfalten kann, das aber oft überzogen wirkt. Bühnenbildner Julius Theodor Semmelmann hat eine Architektur entworfen, die das „Europäische Haus“, aber auch ein Museum mit Beutekunst der Kolonialzeit darstellen soll.

Die Europäer sind natürlich die bösen Rassisten, die Otello als militärischen Befehlshaber benutzen, ihn aber letztlich nicht ernst nehmen. Sie behandeln ihn von oben herab und wollen verhindern, dass er die Europäerin Desdemona heiratet, obwohl diese hier von der Japanerin Rina Hirayama gesungen wird. Würden Türken, Afrikaner oder Asiaten in einem deutschen Theater als solche Rassisten dargestellt werden, so wäre dies rassistisch, bei einer Darstellung von rassistischen Europäern fällt dies aber in die Kategorie „Sozialkritik“. In der Personenführung zeigt sich Manuel Schmitt als überzeugender Regisseur, der sein Handwerk versteht, sich dabei aber in seinem Konzept verrennt. Das wird auch im weiteren Verlauf der Aufführung deutlich, wenn eine Mauer und Stacheldraht um das Haus gezogen werden, und sich die Choristen über Beutekunst der Kolonialzeit lustig machen. Gänzlich überzogen wird die Inszenierung, wenn dann auch noch nach der Pause das Erft-Hochwasser zitiert wird: Die Choristen im Regencape türmen Sandsäcke auf und begeben sich alle in einen Schutzbunker, während Otello draußen bleiben muss.

Originell ist die Idee, dass das Publikum über das Ende abstimmen darf, da Rossini sowohl ein tragisches als auch ein glückliches Ende komponiert hat: Zur Auswahl hat man aber bloß die Frage, ob Desdemona Otello das Messer abnehmen oder ihn zur Rede stellen soll? Welche Auswirkungen das hat, erlebt das Publikum danach erst auf der Bühne. Beachtlich ist, dass Gelsenkirchen diese Oper, die vier Tenöre benötigt weitgehend aus dem eigenen Ensemble besetzt. Den stärksten Eindruck macht Benjamin Lee, der als Gast aus Magdeburg den Rodrigo singt. Er verfügt über eine strahlende Höhe und gurgelt sich leicht durch Rossinis Koloraturen. Iago ist hier nicht ganz der Bösewicht wie wir ihn von Verdi kennen: Adam Temple-Smith stattet ihn mit einem leicht nasalen, aber ebenfalls höhensicherem Tenor aus. Rodrigo und Iago sind bei Manuel Schmitt arrogante Schnösel, die als Hobby den Golfsport betreiben, weil sich dort offensichtlich besonders viele Schurken umtreiben. Auch Khanyiso Gwenxane in der Titelrolle überzeugt mit seiner schönen und leicht geführten Stimme, könnte die Partie allerdings mit etwas mehr Dynamik ausstatten. Rina Hirayama begeistert mit ihrem funkelnden Sopran mit ihrem gefühlvoll gezeichneten Porträt der Desdemona. Mit vollem und perfekt gereiftem Mezzo singt die junge Lina Hoffmann die Emilia. Auf ihre Carmen, die im März Premiere haben soll, darf man gespannt sein.

Am Pult der Neuen Philharmonie Westfalen sorgt Giuliano Betta für den nötigen Schwung und Pfiff, den eine Rossini-Oper benötigt. Jedoch spielen die Bläser nicht immer punktgenau. – Gelsenkirchen bietet mit dieser Produktion eine musikalisch überzeugende Begegnung mit einer echten Rossini-Rarität, wobei die Regie mit ihrem Rassismus-Konzept aber in einer Fülle von Klischees stecken bleibt.

Rudolf Hermes, 10.12.2021

Fotos: © Björn Hickmann