Görlitz: „Der liebe Augustin“

Besuchte Aufführung am 08.10 21 (Premiere am 02.10.21)

Und der Himmel hängt voller Geigen

Dieser wunderschöne Walzer dient oft als Titel für gemischte Operettenkonzerte, doch wenige wissen, daß er von Leo Fall für seine mittlerweile recht unbekannte Operette "Der liebe Augustin" komponiert wurde, dabei war das mal ein echter Welterfolg. Und wer das Werk jetzt in Görlitz erleben darf, versteht auch schnell warum: lange habe ich kein so unbekanntes Werk gehört, von dem mir so schnell, so viele Melodien im Kopf bleiben; also eine wahre Ohrwurmfalle ! Neben dem bezaubernden bereits genannten Duettwalzer, die Terzette "Anna,was ist denn mit dir"und "Wo steht denn das geschrieben, du darfst nur eine lieben", das charmante "Sei mein Kamerad" oder Augustins Auftrittslied "Lass dir Zeit, alles mit Gemütlichkeit". Leo Fall kannte und konnte sein Metier, warum Barrie Kosky bislang einen Bogen, um den ebenfalls als jüdischen Komponisten im Dritten Reich verbotenen , gemacht hat, verwundert mich da schon sehr. Außer seiner "Madame Pompadour", tauchen selten mal "Der fidele Bauer" oder "Die Dollarprinzessin" auf. Doch zurück zu unserer eigentlichen Operette, die in ihrer ersten Fassung "Der Rebell" in Wien (1908) keinen Erfolg hatte, dafür unter ihrem eigentlichen Titel 1912 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin um so mehr reussierte (ebendort 1928 wurde Brecht/Weills "Dreigroschenoper" auch ein Welterfolg. An diesem Abend gab der Operettenstar Fritzi Massary ihr Berlindebut.

Die Handlung klingt auf den ersten Blick etwas einfach operettig gestrickt: Im bankrotten Balkanstaat Thessalien soll die Kronprinzessin Helene aus Staatsraison den unsympathischen ,aber reichen Onkel Nicola heiraten, der schon einmal das Herrscherhaus zur Flucht brachte und jetzt im Pariser Exil weilt. Sie wird erst im Laufe des Stückes merken, das sie und ihr Wiener Musiklehrer Augustin sich ineinander verlieben. Ihre Milchschwester und Kammerzofe Anna, die Tochter des Hausunikums Jasomirgott, die sich wiederun zu Höherem berufen fühlt, sind bei einer likörseligen Taufe auf eben jener Flucht vertauscht worden, was zum Finale alles ins rechte Fach kommen läßt. Klingt erst mal nicht Besonders, aber das Libretto entlatet auf der Bühne echte Komik, die Personen interessieren und es funktioniert; natürlich auch wegen der inspirierten "Bombenmusik".

Anja Nicklich versucht, zum Glück, erst gar nicht das Stück irgendwie umzukrempeln, sondern läßt Operette Operette sein. Leider bleiben die Figuren sehr plakativ und eindimensional; also Prinzessin Helene ein Backfisch; Anna ein wenig zu sehr die quietschige Ulknudel, usw..Dabei bieten die Personen, über Falls Musik durchaus mehr Profil, aber dem Sentiment wird zu sehr mißtraut. Schade, denn sonst ist ihre Regie sympathisch und durchdacht. Die Ausstattung von Antonia Mautner Markhof zeigt im Bühnenbild den verwitterten Charme des bankrotten Fürstentums, die Kostüme sind teilweise sehr gedeckt, doch auch operettig skuril. Lediglich der Helene hätte ich mehr als nur Kostüm gegönnt, da bietet das Stück viele Gelegenheiten (Vorstellung des Fürsten Nicola und Hochzeit), doch dafür läßt sie dieses sehr spezielle Gelb ein wenig zum Fremdkörper im Gesamtbild werden; ist halt meine Empfindung. Auch die Beihilfe eines Choreographen hätte sich noch etwas mehr Schwung auf die Bühne gebracht und die sich sehr wiederholenden Tanzgesten aufgelockert. Die "leichte" Operette braucht halt viel Zuwendung, wenn sie ihren ganzen Zauber entfalten soll. Insgesamt funktioniert jedoch alles und das Publikum amusiert sich.

Musikalisch bietet der Abend einige Wackler auf, die zwischen Bühne und Graben, aber auch im Graben auftauchen. Mit Ulrich Kern am Pult werde ich persönlich nicht wirklich warm, denn sein Dirigat wirkt sehr "preußisch", eher auf flott gestriegelt, da fällt viel von Leo Falls Wiener Geschmeidigkeit unter den Tisch. Gerade die viele Walzer brauchen mehr "Atem", die Ritardandi werden nicht richtig gepflegt. Die Hauptfigur, die auch immer wieder mit ihrem Senf, die Handlung stoppt und erläutert, was eine gute Idee ist, ist mit der quirligen Anna Avdalyan passend besetzt, sie bringt den maliziösen Furor der unterschätzten Kammerzofe zu Sprühen. Shoushik Barsoumian als Helene bleibt da melancholisch verhaltener, auch würde man ihr manchmal etwas mehr Sopranvolumen wünschen. Timo Rößner in der Titelrolle des Klavierlehrers Augustin macht erst einmal eine gute Figur, bleibt aber doch , was sicher auch an der inaktive Rolle liegt, recht hölzern und steif, auch sein Tenor wirkt nicht unangestrengt und geschmeidig. Johannes Fritsche als Regent Bogumil bringt dagegen fast zuviel Volumen und spielerische Wucht auf die Bühne, aber auch ordentlich "Leben in die Bude". Akkordiert von Carsten Abel in der Doppelrolle als Ministerpräsident Gjuro/ Klosterpförtner Matthäus mit beträchtlicher "vis comica". Hans-Peter Struppe gibt einen sympathisch biederen Diener Jasomirgott. Ausgezeichnet Michael Berner als krudes Heiratsobjekt Nicola, den erso lebendig zeichnet, das er einem fast sympathisch wird, ihm gelingt auch am besten der kabarettistische Tonfall, den Falls Musik benötigt. Die anderen, kleineren Partien werden von Solisten aus dem spielfreudigen Chor gegeben. Insgesamt ein hübscher Theaterabend, der aber auch verstehen läßt, warum "Der liebe Augustin" ein Welterfolg geworden ist und unbedingt auf die Bühne gehört. Danke allein, das man sich in Görlitz auf das seit Jahrzehnten in Deutschland nicht gepielte Werk besonnen hat. Das Publikum war jedenfalls entzückt.

Martin Freitag, 12.10.2021