Genf: „Fedora“, Umberto Giordano

Spannendes und geschmackvolles Operntheater

Arnaud Bernard, französischer Regisseur der neuen „Fedora“ von Umberto Giordano am Grand Théâtre de Genève in der Vorweihnachtszeit! Den Namen sollte man sich merken, wenn man einen aus dem Werk des Komponisten heraus konzipierten Inszenierungsstil wünscht, der gleichwohl einen Bezug zu den Themen unserer Tage hat, aber weit davon entfernt ist, im Sinne eines ständig wechselnden Zeitgeistes „modern“ sein zu wollen. Erst im Oktober hatte Bernard am Teatro Regio von Turin den „Manon“-Stoff in einer Trilogie von Auber, Massenet und Puccini mit einem an drei Abenden mitreißenden Musiktheaters der feinsten Art und voller Spannung inszeniert. Wie Bernard im Programmheft in einem höchst interessanten und ebenso aufschlussreichen wie nachvollziehbaren Interview mit dem Thema „La musique ou la dramaturgie d´opéra.“ schildert, ist für ihn die Musik immer das Entrée zum Werk, wenn er zu einer Neuinszenierung eingeladen wird. Bevor er noch das Libretto liest, hört er sich Musik und Gesang an, „…car c’est la musique qui parle d’abord.“ Sie drücke die Nuancen und die Emotionen aus, die der Text allein nicht vermitteln könne. Und Bernards Credo zu einer sinnvollen Inszenierung gipfelt in dem Statement: „La dramaturgie à l‘opéra est fondamentalement musicale.“ Man müsse eine Symbiose zwischen Szene und Musik erschaffen, und aus jeder Bewegung und jedem Moment der Ruhe wird die Musik zur wahrhaften Dramaturgie. Das klingt wie die perfekte Handlungsanweisung für gute Opernregie!

© Carole Parodi

Es ist die Leitlinie der Opernregie von Arnaud Bernard und ähnelt sehr der Herangehensweise des Generaldirektors und Regisseurs von seit 2010 mittlerweile acht Wagner-Opern an der Nationaloper Sofia, Prof. Plamen Kartaloff. Wäre das nicht auch die Lösung, das im deutschsprachigen Raum sich immer mehr von Musik und Text entfernende Regietheater wieder einzuhegen?! Könnte es somit diesen bisweilen sehr entfremdenden Inszenierungsstil nicht wieder an die Werke sowie ihre Aussagen und Ideen, welche die Komponisten sowohl inhaltlich wie musikalisch mit ihnen treffen wollten, heranführen?! Ganz abgesehen davon, dass sich dann wohl auch die Opern- und Festspielhäuser wieder füllen würden, was durchaus im Sinne von Theatermachern und auch der öffentlichen Hand, also der Steuerzahler, liegt. Denn was wäre ein Opernhaus ohne Zuschauer und -hörer?! Nichts! Und es würde früher oder später geschlossen.

Und so blieb sich Arnaud Bernard auch bei seiner „Fedora“-Inszenierung mit seinem Regie-Mitarbeiter Yamal Das Irmich in Genf treu. In opulenten, von Johannes Leiacker (auch die die geschmackvollen Kostüme),geschaffenen, von Fabrice Kebour beleuchteten und mit von Paul-Henry Rouget de Conigliano gestalteten PC-Videos vorwiegend in schweren Goldtönen prunkenden Bühnenbildern. Sie geben den für das ausgehende Zarenreich um 1880 typische innenarchitektonischen St. Petersburger Flair und das Ambiente des Foyers des berühmten Gstaad-Hotels in der Schweiz wieder. So entwickelt sich musikalisch wie szenisch eine „Fedora“ mit einer – normalerweise von dem Stück nicht unbedingt erwarteten -dramaturgischen Intensität und knisternder Spannung.

© Carole Parodi

Es beginnt gleich mit einer Aktualisierung des Stoffes, indem Bernard die ganze Geschichte in die Zeit nach dem Verfall der Sowjetunion um 1998, also etwa 100 Jahre später, ansiedelt. Daraus wurde schließlich ein spannender Polit-Krimi mit Elementen der Kompromittierung politisch Andersdenkender durch das in Macht oder noch teilweiser Macht befindliche Regime – hier die alten Eliten des KGB und die Geheimdienste, die sich langsam entwickelnden Oligarchen und die örtliche Mafia, die um die Reste des untergegangenen Reiches kämpfen. Nach Bernard befindet sich Russland zu jener Zeit am Rande des Chaos, wo Geld, Macht und sog. kompromats bestimmen, wer überlebt und wer untergeht. Mit dem kompromat ist jene Kompromittierung einflussreicher Persönlichkeiten gemeint, um mit dem Druck der Bekanntmachung von illegalen oder unsittlichen Verhaltensweisen dieser Personen politische, finanzielle oder persönliche Vorteile zu erzielen, um ihre persönliche Reputation zu zerstören und damit ihren Einfluss zu mindern oder gar zu beenden und, schließlich, um Kontrolle auf Politiker oder Rivalen durch Ausnutzen ihrer Furcht auszuüben, bloßgestellt zu werden, und sie damit von unerwünschten Entscheidungen bzw. Handlungen abzuhalten.

Genau das sehen wir in einer stummen Szene gleich zu Beginn der Aufführung. Sie dauert etwas zu lange, wenn man bedenkt, dass man auf den Beginn einer Oper, also auch auf Musik wartet. Aber es wird in dieser Szene drastisch dargestellt, wie Vladimir, der Sohn des Polizeichefs von St. Petersburg und Verlobter der Fürstin Fedora Romazoff, ein recht nuttiges Schäferstündchen mit Wanda hat. Diese schildert Loris Ipanoff im 3. Akt ja als seine Ehefrau, allerdings mit ganz anderen Prädikaten als den hier ersichtlichen. Denn die Frau, die es mit Vladimir treibt, ist eine klassische Prostituierte, die sogar noch heimlich die Kamera zurechtrückt, um den zuvor Genannten das Bildmaterial zu liefern, welches diese für ihren kompromat von Vladimir brauchen. Loris, der zur Zeit der Ermordung von Zar Alexander II. 1881 als möglicher Anarchist gesehen wurde, kommt kurz herein und wird in großer Hektik der Verführung „seiner Frau“ gewahr. Vladimir gibt einen Schuss auf ihn ab, den Loris erwidert und ihn dabei schwer verletzt. Dann gibt es eine zweite Handlungsebene, mit der die an dem Mitschnitt Interessierten auftreten, unter anderen der Diplomat De Siriex. Er knallt als offenbar selbst Involvierter die Prostituierte gnadenlos ab, also Wanda (die aber laut Loris nach der Entdeckung der Affaire mit Vladimir flüchtete und später erkrankt und gestorben sein soll…).

© Carole Parodi

Das ist also etwas viel auf einmal gleich zu Beginn, und auch nicht jedem verständlich, macht die folgende Handlung aber viel spannender als das normalerweise in einer „Feodora“-Aufführung erlebbar ist. So wird sogar die Komtesse Olga Sukarev, wohl als KGB-Spionin, mit blonder Perücke in die Handlung geschickt, in der auch immer eine stumme KGB-Agentin zu sehen ist und Geheimdienst-Agenten am Ende pantomimisch-symbolisch mit einer Video-Kassette auftauchen. Vladimir wird übrigens nach Entnahme der Kugel von Chirurg Lorek in einem unbeobachteten Moment mit einem Kissen erstickt. Bernard hat auf diese Weise die Handlung stark aktualisiert, verliert aber zu keinem Zeitpunkt den Faden zum Werk und seinem Inhalt, ganz davon zu schweigen, dass es in irgendeiner Art und Weise einen regietheatralischen Effekt gegeben hätte!

Und in diesem szenischen Biotop fühlte sich die Zweitbesetzung, die an diesem Abend spielte, genauso wohl und sicher wie der Erstbesetzung mit Roberto Alagna als Loris und Aleksandra Kurzak als Fedora. Elena Guseva sang die Fedora mit einem wunderschönen leuchtenden Sopran, mit genau dem Timbre, welches für diese tragische Rolle wünschenswert erscheint. Sie brachte auch eine unglaublich intensive Emotion in die Rolle ein, besonders eindrucksvoll im Finale, als sie ihre Ausweglosigkeit erkennt und das Gift nimmt. Najmiddin Mavlyanov sang den Loris mit einem kraftvollen und stets höhensicheren Tenor mit sehr guter Resonanz, vielleicht etwas herb vom Timbre her, aber erstklassig, auch darstellerisch-emotional voll überzeugend. Die beiden machten den Abend zu einem Ereignis und bekamen überschäumenden Applaus vom Genfer Publikum.

Yuliia Zasimova war eine in dieser Inszenierung speziellen Rolle als Spionin wandlungsfähige Olga mit gutem Sopran. Simone del Savia gab einen starken De Siriex mit seinem geschmeidigem Bariton. Unter den kleineren Rollen ragten Mark Kurmnabayev als Polizeioffizier Grech und Sebastià Peris als Arzt Lorek hervor. Auch die Nebenrollen waren sehr gut besetzt, wie immer am Grand Théâtre de Genève. Der von Mark Biggins einstudiere Choeur du Grand Théâtre wurde recht bizarr und damit sehr wirkungsvoll in der Szenerie platziert und phantasievoll choreografiert, immer wieder auch mit pantomimischen Momenten, also einem Schuss Surrealität. Das passte sehr gut.

© Carole Parodi

Antonino Fogliani dirigierte das Orchestre de la Suisse Romande für mein Dafürhalten ein wenig zu zurückhaltend. Etwas mehr Intensität hätte hier und da zur starken szenischen Interpretation gepasst. Auf der anderen Seite kamen mit Foglianis Dirigat die vielen Zwischentöne und hochemotionalen Momente der „Fedora“ sehr gut zur Wirkung. Das Orchester strahlte große Versatilität und Ruhe aus. Es war ein eindrucksvoller und lange in Erinnerung bleibender Abend am Grand Théâtre!

Klaus Billand, 30. Dezember 2024


Fedora
Umberto Giordano

Grand Théâtre de Genève

Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 2024

Inszenierung: Arnaud Bernard
Musikalische Leitung: Antonino Fogliani
Orchestre de la Suisse Romande