Genf: „Götterdämmerung“

am 2. Mai 2014

Mythos und Untergang…

Mit der „Götterdämmerung“ schloss sich Ende April/Anfang Mai die Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ am Genfer Grand Théâtre aus Anlass des 200. Geburtstags Richard Wagners 2013. Sie hatte mit dem „Rheingold“ im März des Vorjahres begonnen und war die erste und damit recht späte „Ring“-Inszenierung von Dieter Dorn, der noch zu Wolfgang Wagners Zeiten den „Fliegenden Holländer“ bei den Bayreuther Festspielen inszeniert hatte. Zusammen mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Jürgen Rose und dem Dramaturgen Hans-Joachim Ruckhäberle stellte er einen im wesentlichen der Werk-Tradition und -Aussage verpflichtete Produktion auf die große Genfer Bühne, die – keine Selbstverständlichkeit mehr in unseren Tagen.Auch in der „Götterdämmerung“ steht für das Regieteam der Mythos im „Ring“ im Zentrum ihres Regiekonzepts. Man sieht wieder die ständig sich neu gruppierenden kastenartigen dunklen Versatzstücke, einmal den Walkürenfelsen andeutend, ein anderes Mal den Untergrund der alten Welt bildend, auf den sich die helle und grellweiß abgesetzte Box der Gibichungenhalle aufgeschoben hat.

Die Gibichungen-Welt um Hagen und Gunther hat sich gewissermaßen wie ein Fremdkörper, der sie ja bis zum Ende bleiben wird, in dieses mythologische Umfeld hineingeschoben, welches am linken Bühnenrand weiterhin durch stilvoll dezent gestaltete Masken der alten Götter abgebildet wird. Damit war ein Kontrast geschaffen, der sich sinnhaft auch in dem purpurrot-gold der Kostüme Gunthers und Gutrunes von den viel schlichteren Brünnhildes mit einem himmelblauen Gewand und auch allen weiteren absetzte. Immer wieder wird den alten Göttern Referenz erteilt, mal von ein paar verhüllten Frauen mit Fackelschein, mal von Gunther als er sich von Hagen betrogen fühlt, oder auch von Alberich, der allerdings in seinem Zwiegespräch mit Hagen die Maske Wotans rachedurstig vom Sockel tritt. Das häufige Wedeln mit schwarzen Tüchern durch sichtbare Bühnenarbeiter im 2. Aufzug, um hinter der Gibichungenbox den wogenden Rhein zu simulieren, auf dem Siegfried auch noch mit einem Kahn ankommt, sowie in der Rheintöchter-Szene des 3. Aufzugs und im Finale wirkt allerdings doch etwas zu altbacken. Das erinnerte doch an eine sehr lange zurückliegende Gestaltungspraxis…

Die Nornen, die bisher stets mit einem großen Seilknäuel über die Bühne wuchteten, waren nun an der Vorderbühne angekommen und philsophierten mit nicht ganz ihrem Auftrag entsprechenden Stimmern über das Schicksal dieser Welt. Eva Vogel lag stimmlich für die Erste Norn zu hoch, und auch Diana Axentii als Zweite und Julienne Walker als Dritte Norn hatten für ihre Erzählungen kein allzu großes Volumen. Das war bei den Rheintöchtern viel besser, denn Polina Pasztircsák als Woglinde, Stephanie Lauricella als Wellgunde und Laura Nykänen, diese mit leichten Abstrichen, als Flosshilde, waren ein stimmlich und darstellerisch sehr gutes Ensemble. Michelle Breedt, sonst eine gute Fricka, liegt mit ihrer Stimmlage für die Waltraute zu hoch und konnte so keinen Kontrast zu der ebenfalls in der Sopranlage singenden Petra Lang als Brünnhilde bieten. Es fehlte Breedts Erzählung auch etwas der große Atem.

Petra Lang hingegen, die mit dieser „Götterdämmerung“-Brünnhilde zum ersten Mal alle drei Partien in einem „Ring“ verkörperte, bestach durch ihre stets auf feinster gesanglicher Linie liegende Tongebung und eine sehr emphatische darstellerische Leistung mit stets passender Mimik und sehr guter Diktion. Lang, die in Genf auch schon die Ortrud und Kundry sang, zeigte mit ihrer bemerkenswerten Technik auch großartige Höhensicherheit, das hohe C im Vorspiel war perfekt und länger gehalten als von so mancher Hochdramatischen. John Daszak, der den „Götterdämmerung“-Siegfried zu ersten Mal in São Paulo 2012 gesungen hatte, hatte die Rolle stets im Griff und sang ohne Anstand alle Noten, wenn man einmal von den beiden tückischen hohen Cs absieht. Sein durchaus heldisch timbrierter Tenor wird stabil geführt und ist auch sehr wortdeutlich. In der Höhe wird die Stimme jedoch recht schlank, es fehlt ihr an Wärme uns bisweilen auch an Resonanz. Ein wenig mehr Phrasierung und Variabilität im stimmlichen Ausdruck wären wünschenswert. Dafür spielte Daszak den Siegfried mit großem darstellerischem Engagement.

Eine Überraschung war der noch sehr junge Jeremy Milner als Hagen. Sein heller Bass ist klangvoll und kräftig, bei guter Höhe und bester Diktion. Er gab den Nibelungensohn als finsteren Beobachter der Situation, der aus der Deckung operiert. Sicher hat der Sänger, was Persönlichkeit und Ausdruck angeht, noch viel Entwicklungspotenzial. Von ihm wird man weiter hören. Edith Haller war mit ihrem klaren, gut geführten und bisweilen leicht ins Dramatische gehenden Sopran eine Luxusbesetzung der Gutrune. Johannes Martin Kränzle sang den Gunther mit einem geschmeidigen, klangvollen Bariton und konnte der Rolle eine gewisse Tragik vermitteln. Allein John Lundgren hatte als Alberich keinen guten Tag. Seine Stimme klang angestrengt und brüchig in der Höhe, als habe er einen kleinen Infekt. Der von der Genfer Chordirektorin Ching-Wien Lu hervorragend einstudierte Chor entfaltete in der Gibichungenbox enorme und dennoch transparente Stimmkraft, wurde aber auch im weiteren Bühnenraum sehr gut choreografiert.

Ingo Metzmacher dirigierte das Orchestre de la Suisse Romande mit viel Liebe zum Detail und einer vorwiegend auf lyrische Zwischentöne setzenden Lienenführung. Jegliche Bombastik ist ihm offenbar fremd. Er kam damit auch den SängerInnen entgegen, die ja vor einem nach hinten – bis auf einige gelegentlich eingefahrene Stellwände – weithin offenen Bühnenraum singen müssen. Immer wieder waren die Einzelinstrumente mit einer detaillierten Ausformung ihrer Parts hervor zu hören, so beispielsweise die Entwicklung des Brünnhilde-Motivs in den Klarinetten nach Hagens Wacht zum Walkürenfelsen. Dabei hielt Metzmacher die Tempi sehr flüssig – der 1. Aufzug dauerte nur eine Stunde und 50 Minuten. Auch der Trauermarsch und das Finale klangen analytisch transparent ohne jedes Pathos. Dieses kam eher von der Bühne mit einem doch sehr guten Einfall des Regieteams. Zu den großen Linien des Walhall-Motivs und den letzten Takten des 3. Aufzugs versank die alte Welt mit der Gibichungenhalle im Untergrund. Vom Schnürboden taumelten daraufhin die alten Götter langsam aber sicher in Manier der valenzianischen Fura dels Baus in den Abgrund. Wie weiland bei Wieland Wagner sieht man zum Motiv der Mutterliebe Sieglindes auf eine leere weite Bühne – das Spiel kann von Neuem beginnen…

Klaus Billand, 20.5.2014

Fotos: GTG/ Carole Parodi