Luxemburg: „Il turco in Italia“

Gelungen: Heiteres aus Neapel

1529 und 1683 hatten die Türken noch Wien belagert und stellten eine Bedrohung des christlichen Abendlands dar. Je mehr sich aber ihr Reich in Europa verkleinerte, desto mehr fanden sie (und auch gleich damit die Bewohner ihrer arabischen Satellitenstaaten) in netter Verniedlichung Eingang in die europäische Literatur, darstellende Kunst und Musik. Die buffonesken Persönlichkeiten mit Pluderhosen und Fes passten als Bereicherung der auftretenden Personaltypen insbesondere gut zu der sich im 18. Jhdt. entwickelnden opera buffa, die abseits von den Gestalten der commedia dell’arte immer neue Figuren brauchte. So wimmelte es dann plötzlich auf der Opernbühne von Türken, Kalifen, und Serails oder arabischen Spielorten. Als komische Figuren zu Triangelmusik und Vorschlägen kehrten die Orientalen über das Mittelmeer nach Europa zurück, wirken heute aber wie Personen aus irgendeinem Nachbarland: Minarette, Moscheen und Muezzin-Rufe kommen gar nicht vor. In Rossinis „Paar“ (neben Il Turco noch die 1813 erschienene l’Italiana in Algeri) wird noch nicht einmal der exotischen Musik viel Raum gelassen. Dafür aber wird in Il Turco die Szene noch mit Zigeunern vom Balkan aufgemischt.

Manuel Nuñez Camelino (Albazar), Franck Leguérinel (Don Geronio), Giuseppina Bridelli (Zaida)

In der mit dem Libretto von Felice Romani 1814 an der Scala uraufgeführte Oper gibt es zunächst den alternden Ehemann Don Geronio und seine junge liebeslustige Frau Donna Fiorilla (Obwohl sie standesgemäß verheiratet sind, ähneln sie typischen buffa-Gestalten der ersten Intermezzo-Opern: der alte etwas trottelige Herr und die listige sowie etwas biestige Magd). Die Zigeunerin Zaide ist mit der Hilfe des treuen Albazar aus einem Serail entkommen; ihr Herr hatte sie wegen ihm angezeigter Untreue schon zum Tode verurteilt. Gerade dieser Herr aber landet nun in Neapel, dem Ort des Geschehens, möchte Leute und Land kennenlernen (una bella e la bella Italia) und trifft dort natürlich gleich auf Fiorilla. Der Funke springt sofort über. Ihr Gatte ist empört, weil seine Frau den Türken zum Kaffee einlädt. Ebenso vergrätzt ist Don Narciso, der „legitime“ Liebhaber der Fiorilla, die Selim gar kaufen will. Nun ist auch die Zigeunerin sauer, weil der Türke, in welchem sie ihren einstigen Herrn wiedererkennt und den sie noch immer liebt, nur Augen für Fiorilla hat.

Das ist an sich nichts anderes als eine Farce für eine Schmierenkomödie und hat mit einem Türken zwingend nur wenig zu tun. Dazu hat sich der Librettist aber noch eine weitere Person einfallen lassen, den Dichter Prosdocimo, der ein neues Stück schreiben soll, dem aber zu dem alten, ewig neuen Thema „Der alternde (reiche) Ehemann und seine untreue junge Ehefrau nicht mehr viel einfällt. So ist der Dichter ganz entzückt, als er die weiteren Handlungsbestimmende Personen und Elemente entdeckt: die Zigeunerin und ihre Gruppe von weissagenden Landsleutinnen, vor allem aber den Selim, dessen Ankunft ja sofort zu den erwünschten dramaturgischen „Verwicklungen“ führt. So erlebt man mit den Augen des Prosdocimo eine Geschichte in Neapel, und verfolgt, wie er daraus mit Begeisterung ein Theaterstück schreibt und den Handelnden geschickt ein wenig nachhilft. So kann der Zuschauer miterleben, wie dieses Stück mit der doppelten Dreiecksgeschichte aus „realen Vorkommnissen“ entsteht und sich auflöst und gleichzeitig inszeniert und gespielt wird. Alles passiert gleich dreimal.

Franck Leguérinel (Don Geronio); Chor (Zigeunerinnen)

Libretto-getreu lässt der Regisseur Lee Blakeley, ein ausgesprochener Spezialist fürs leichte Fach, die Handlung in Neapel spielen. Sein Ausstatter Adrian Linford lässt daran schon während der Ouvertüre keinen Zweifel, denn der Bühnenvorhang zeigt über die Dächer der Stadt hinweg den Golf von Neapel. Beim Heben des Vorhangs werden die Details sichtbar: die Eingangshalle eines Bahnhofs mit vielen Willkommensplakaten für Napoli; Sperrgittern, nummerierten Ausgängen in die Stadt und Ausgängen zum den Gleisen, durch welche der Dampf der Lokomotiven hereinzeiht. Und als Bühnenprospekt erscheint jetzt wieder das gleiche Bild wie zuvor auf dem Vorhang: der Golf mit Vesuv und viel blauem Meer. Ganz lokalgetreu ist die Anordnung indes nicht. Denn als Selim auf einer großen Segelyacht in den Hafen geschoben wird, merkt der Ortskenner, dass in Neapel zwischen Bahnhof und Hafen in noch eine Stadtautobahn verläuft… Aber halt! die Regie hat die Handlung der Oper zwar zeitlich nicht ganz genau festgelegt, aber sie spielt etwa in den 20er oder 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, was an Möbeln und einigen Kostümen festgemacht werden kann. Bei den Möbeln handelt e sich um Stühle und Tische der Bahnhofswirtschaft, die zwischendurch schnell eingerichtet wird, bei den Kostümen nicht nur um die der Protagonisten sondern auch um die von viel buntem Volk, mit dem der Regisseur zwangslos die Bahnhofsszenerie aufmischt. Was sich da nicht an ulkigem Personal herumtreibt und vom Regisseur in immer neuen Varianten bewegt wird!

Ankunft des Selim (hinten: Nahuel di Pierro); vorne rechts: Rebecca Nelsen (Donna Fiorilla)

Don Geronio ist nun der Bahnhofsvorstand, der seine liebe Mühe hat, Ruhe und Ordnung in dieses Volk zu bringen, das aber seine Autorität gar nicht so recht anerkennen will. Selim geht mit prächtigem Gewand an Land; Fiorilla lädt ihn im Bahnhofscafé zu einem Kaffee ein, worob sowohl Don Narciso (ähnlich wie ein Buchhalter gekleidet) und Geronio gleichermaßen verbittert sind. Gleich an welchem Ort das Spiel gerade abläuft, immer ist der Poet Prosdocimo mit seinem Notizbuch da, um die Szenen niederzuschreiben und den Handelnden noch einen kleinen Tipp oder Dreh zu geben. Sein weißes Dandykostüm hebt sich von der funktionalen Kostümierung der Mitspieler ab und kontrastiert auch zu dem vielen Personal und dem (Zigeuner)Chor. Zum Schluss wird die Bahnhofshalle in ein Feierlokal für einen Ball verwandelt. Fiorilla und Selim haben sich verkleidet und wollen zusammen fliehen. Da die anderen das spitz gekriegt haben bzw. von Prosdocimo darauf aufmerksam gemacht wurden, verkleiden sie sich ebenso, so dass Selim und Zaida sowie Narciso und Fiorilla zusammenkommen. Geronio ist düpiert. Das darf nicht sein, und nach einem letzten kleinen Schachzug des Dichters bekennt sich Fiorilla wieder zu ihrem Ehemann und zur Moral? Sicher wird Narciso wieder seine angestammte Rolle als Liebhaber bei ihr einnehmen…

hinten: Statisten, Franck Leguérinel (Don Geronio); vorne: Rebecca Nelsen (Dona Fiorilla), Nahuel di Pierro (Selim)

Das ist eine perfekte Buffa vom Leichtesten. Der Regisseur nimmt an der Geschichte kaum Veränderungen vor, lediglich die Figur des Prosdocimo ist deutlich aufgewertet. Das Stück und seine Inszenierung leben von der fantasievollen Regie in liebevollem Detail ohne billige Stereotypen oder gar Klamauk, den bunten ironisierenden Kostümen und dem raffinierten Bühnenbild, in welchem der Bahnhof, das Café, der Ballsaal und die Schiffslände mit der süditalienischen Kulisse raffiniert verschränkt werden. Dem ausgelassenen Schluss der Oper verpasste Tess Gibbs eine gekonnte Choreographie zwischen Operette und Musical. Ende gut, alles gut!

Giuseppe Grazioli hatte wie schon in Nantes die musikalische Leitung des Abends und stand am Pult des glänzend aufgelegten Orchestre Philharmonique du Luxembourg. Er schlug sehr flotte Tempi an, was den Solisten zum Teil zungenbrecherische Extraleistungen abverlangte. Die Sänger mussten gut aufpassen. Es gab anfänglich noch ein paar Unschärfen, dann aber saß er: der flotte, federnde und präzise musizierte Rossini mit seiner immer wieder anziehenden Dynamik und den schärfenden Accelerandi, die den Fluss der Handlung akzentuierten. Die vielfach exponierten Trompeten und Hörner spielten ohne Fehl und Tadel und rundeten die gute Orchesterleistung ab.

Chor beim Ball

Eine gute Leistung wurde durchweg auch auf der Bühne mit einem bis auf eine Position identischen Sängerensemble wie in Nantes erbracht. Franck Leguérinel mit beweglichem, durchsätzigem Bassbaritonbuffo und sehr engagiertem komödiantischem Spiel gab einen sehens- und hörenswerten Geronio. Seinen Gegenspieler Selim verkörperte Nahuel di Pierro mit markantem klarem Bass. Nigel Smith als Prosdocimo beeindruckte mit mächtigem Bassbariton-Volumen, wirkte aber leicht halsig in den höheren Passagen. Etwas ungelenk und unlustig im Spiel wirkte der Don Narciso des David Alegret, der für die Luxemburger Aufführungen neu zum Ensemble gestoßen war; dazu wirkte auch sein geradliniger Tenor ziemlich monochrom. Vom bronzenen Schmelz des zweiten Tenors, Manuel Nuñez Camelino, dem in der Rolle des Albazar nur eine Arie gegeben ist, hätte man gern mehr gehört. Rebecca Nelsen sang die Fiorilla mit ausdruckstarkem, nuanciertem und dabei bestens beweglichem Koloratursopran und unermüdlichem darstellerischem Einsatz. Giuseppina Bridelli begeisterte sowohl mit ihrem Auftreten als auch mit ihrem schlanken Mezzosopran von betörendenTimbre.

Viel Beifall am Schluss der sehr gelungenen Vorstellung, bei der man nicht nach tieferem Sinn suchte, sondern sich einfach einen schönen Abend machen konnte.

Manfred Langer, 09.11.2014
Fotos: Jef Rabillon

Auf die Musik ausgerichtet