Gastspiel des Pfalztheaters Kaiserslautern am 8.4.2017 als Premiere im Theater/HEILBRONN
Experiment geglückt
Dieses 1956 in New York und dann 1961 in Berlin uraufgeführte Musical von Frederick Loewe und Alan Jay Lerner hatte mit 2717 Vorstellungen schon damals einen großen Erfolg. Und das ist bis heute so geblieben. Cusch Jungs Inszenierung und Choreographie knüpft an alte Zeiten an, eine Drehbühne zeigt die Wohnung des Sprachforschers Higgins und verschiedene Stadtkulissen in einem ungewöhnlichen Outfit, das jedoch der viktorianischen Zeit huldigt. Shaws Komödie „Pygmalion“ wird hier ironisch umgesetzt. Die weiträumige Bühne von Christoph Weyers und die aufwändigen Kostüme von Sven Bindseil unterstreichen das im Grunde genommen biedermeierliche, aber auch feudale Ambiente. am besten gelungen ist die Szene mit dem Pferderennen in Ascot, wo sich die adelige Gesellschaft in Loriot-Manier vergnügt: „Ja, wo laufen sie denn hin?!“ Als seltsamer Sprachforscher glänzt Cusch Jung in der schillernden Rolle von Professor Higgins, der im Londoner Covent Garden auf das einfache Blumenmädchen Eliza Doolittle trifft, die Julia Klotz mit ungewöhnlichem Temperament darstellt. Da nimmt man dann sogar neue Facetten dieser Figur wahr. Higgins kann glaubhaft machen, dass er sich von Elizas Dialekt angezogen fühlt. Sie findet sich bei ihm ein und verlangt Sprachunterricht, denn sie möchte nicht immer nur Straßenverkäuferin bleiben, sondern irgendwann einen eigenen Blumenladen besitzen. So wird sie plötzlich Gegenstand einer Wette zwischen Higgins und seinem Freund Oberst Hugh Pickering, den Alexis Wagner mit feuriger Emphase mimt.
Julia Klotz, Cusch Jung
Dem umsichtigen Dirigenten Rodrigo Tomillo gelingt es, das Orchester und den Chor des Pfalztheaters mit Emphase und Energie zu erfüllen. So werden die vielen Motive und Seitenthemen plötzlich sichtbar, das harmonische Gerüst erhält eine erstaunliche Durchsichtigkeit. Berühmte Melodien wie „Es grünt so grün„, „Ich hätt‘ getanzt heut‘ Nacht„, „In der Straße, mein Schatz, wo du lebst“ oder „Mit ’nem kleenen Stückchen Glück“ brillieren bei dieser Wiedergabe mit Klangfarbenreichtum. Der Professor möchte natürlich unter Beweis stellen, dass er Eliza in kürzester Zeit zu einer Dame der besseren Gesellschaft machen kann. Das Experiment gelingt schließlich, doch plötzlich verlässt Eliza Higgins, weil sie glaubt, dass sie nur ein „Versuchskaninchen“ für ihn war.
Sehr gut arbeitet der Regisseur Cusch Jung heraus, wie Eliza Doolittle und Professor Higgins sich wieder annähern. Higgins gewinnt nicht nur das Experiment, sondern auch Eliza zurück, denn er hat erkannt, dass er sie liebt. Immerhin war Frederick Loewe Schüler von Ferruccio Busoni, Eugene d’Albert und Nikolaus von Reznicek. Und das hört man zuweilen sogar in der Instrumentation. Die Umwandlung dieser Komödie in ein Musical ist Lerner durch Ausbau des dramaturgischen Gefüges und entsprechende Dialog-Zusätze bestens geglückt – und auch die originelle Inszenierung von Cusch Jung trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Die heitere und feinnervige Musik Loewes überträgt sich zudem auf die anderen Sänger – Elizas Vater Alfred P. Doolittle als Müllkutscher in der burschikosen Verkörperung von Thomas Kollhoff, Mrs. Higgins in der Darstellung von Geertje Nissen und Mrs. Peace in der Verkörperung von Adrienn Cunka. Daniel Böhm gefällt als schüchterner Eliza-Verehrer Freddy Eynsford-Hill. In den insgesamt überzeugenden Gesangsreigen fügen sich weiterhin Dominique Engler als Mrs. Eynsford-Hill, Peter Floch als Zoltan Karpathy, King, Harry, Daniel Ewald als Jamie, Miroslaw Maj als Wirt, Naomi Schäfer als Mrs. Hopkins, Ralph Jaarsma als Lord Boxington sowie Christina Mirl-Rehm als Lady Boxington nahtlos ein. Die feine Gesellschaft wird hier satirisch aufs Korn genommen und persifliert. Dies zeigt sich übrigens ebenfalls beim Auftritt des Königs, der den Buckingham Palace verlässt, um sich mit Eliza zu treffen. Und es wird vor allem auch deutlich beim skurrilen Auftritt von Salvatore Nicolosi als Prinz von Transsylvanien, der Elza Doolittle zum Tanz auffordert. Zu erwähnen sind noch Otto Breunig und Andreas Niegel (abwechselnd als Majordomus), Bernhard Schreurs, Jung-Baik Seok, Peter Hamon und Radoslaw Wielgus als die vier Obsthändler sowie Richard Henkel und Rolf Schramm abwechselnd als Mann in der Tonne.
Ausgezeichnetes leistet außerdem der von Johannes Köhler bestens einstudierte Chor. Er agiert mit elektrisierender Schwungkraft. Werktreue ist für den Regisseur Cusch Jung in jedem Fall wichtig, was man der Inszenierung deutlich anmerkt. Doch sie wirkt auch sehr frisch, zügig und modern. Für ihn spielt bei „My Fair Lady“ der Respekt eine große Rolle. Das wird minuziös herausgearbeitet. Da gewinnt diese Inszenierung starkes Profil. Die respektable Gesellschaft begegnet hier der armen Gesellschaft. Beide respektieren sich nicht gegenseitig und sehen sich nur als „Gesindel“ und „Kreaturen“. Und Professor Higgins kümmert sich überhaupt nicht um Respekt, den er nur von Eliza Doolittle einfordert, die sich ihm unterordnet. Eliza verliert mit ihrer Sprache ihre eigene Heimat. Doch zuletzt kann sie damit umgehen. Das hat das Publikum offensichtlich begriffen, denn es gab enthusiastische Ovationen.
Copyright: Theater Heilbronn/ Pfalztheater Karlsruhe
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