Interview: Michael Güttler, Dirigent

Im Rahmen seines ersten Symphoniekonzertes am Hessischen Staatstheater Wiesbaden sprach unser Redakteur, Dirk Schauß, mit dem Dirigenten Michael Güttler über seine Erfahrungen, Überzeugungen und Pläne.

(c) Privatarchiv

DS: Lieber Michael, erstmals leitest Du in Wiesbaden ein Symphoniekonzert. Angefangen hat es hier 2015 mit einer Repertoire Vorstellung von Wagners „Fliegender Holländer“. Erinnerst Du Dich noch an diese Vorstellung?

MG: Ja, tatsächlich erinnere ich mich gut und vor allem an den Sänger des Holländers, den leider früh verstorbenen Gerd Grochowski. Chor und Orchester hatten sehr aufmerksam auf mich reagiert. Es funktionierte erstaunlich gut, es war eine Vorstellung ohne Pause und ohne vorherige Probe!

DS: Dann kam die für Dich sehr erfolgreiche Tristan-Produktion hier am Hessischen Staatstheater.

MG: Richtig. Es gab vorher immer mal eine Anfrage, was aber jedes Mal aus Termingründen leider nicht funktionierte. Den Tristan kenne ich gut und hatte ihn vorher bereits öfters dirigiert, allerdings nur als Repertoire Vorstellung. Von daher war die Freude über eine Neuproduktion groß. Es war schon auch ein besonderer Moment für das Orchester, in der langen Auszeit der Coronazeit nun endlich einmal wieder in großer Besetzung zu spielen. Und so hatte ich das Orchester in der ersten Probe zunächst einmal das Vorspiel durchspielen lassen. Ich unterbrach nicht. Das Orchester fand sich schnell wieder im Zusammenspiel zusammen und dann begann eine fruchtbare Arbeit mit einem erfreulichen Ergebnis. Die Vorstellungen haben sich kontinuierlich weiterentwickelt. Vor allem die beiden letzten Aufführungen, u.a. bei den Maifestspielen gerieten zu Höhepunkten. Auf all das blicke ich mit tiefer Dankbarkeit und angenehmen Empfindungen.

DS: Wo hast Du den Tristan noch dirigiert?

MG: In St. Petersburg, alternierend mit Valery Gergiev und in Paris. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, gerade die großen Stücke im musikalischen Gedächtnis präsent zu halten. Auch, wenn ich sie aktuell nicht dirigiere, so lese ich immer wieder in den Partituren. Und das ist eine große Hilfe, wenn es dann wieder eine Gelegenheit gibt. Davon werde ich auch bei meinem anstehenden Scala Debüt im Januar ’23 profitieren. Hier dirigiere ich nach längerer Zeit einmal wieder die „Salome“. Ich freue mich sehr über diese Gelegenheit, an diesem bedeutenden Haus zu dirigieren. Bei einem Dirigat geht es ja nicht allein um den technischen Ablauf, sondern um die Vermittlung einer künstlerischen Idee. Diese kann nach meiner Meinung nur auf der Basis einer kontinuierlichen Beschäftigung mit den jeweiligen Werken erwachsen.

DS: Gibt es in Zukunft Wagner mit Dir in Wiesbaden?

MG: Ich hoffe ja, und nicht nur Wagner, die entsprechenden Absprachen sind seit Monaten „gelaufen“, die Vertragsform lässt aus mir nicht bekannten Gründen bereits längere Zeit auf sich warten und ich kann deshalb auch keineswegs ausschließen, dass ich am Ende unterschriftsreife Vertragsangebote anderer Theater und Orchester geradezu annehmen muss, wenn Wiesbaden den Worten keine Taten folgen lässt.

DS: Würde Dich eine Position als Generalmusikdirektor reizen?

MG: Grundsätzlich ja. Aber dies hängt von vielen Faktoren ab. So auch von den Partnern, also der Theaterleitung und der echten Möglichkeit, gemeinsam zu arbeiten. Maßgeblich wären die Entscheidungskompetenzen, die ich als musikalischer Direktor als zwingend notwendig erachte. Strukturen und klare Verbindlichkeiten ergeben für mich eine Basis, auf der ich gut arbeiten kann. Handlungsautonomie ist hierzu eine wesentliche Voraussetzung.

DS: Das sind entscheidende Aspekte, die Du ansprichst. So paradox es klingt, die heutige Opernwelt ist in Schieflage geraten. Die Musik ist dabei völlig ins Hintertreffen geraten. Der Regisseur diktiert alles bis hin zur Besetzung, greift in die Partitur. Drei Beispiele: Christof Loy und Franz-Welser Moest änderten gegen den erklärten Willen Puccinis die Reihenfolge des „Tritticos“ in Salzburg. Im aktuellen Braunschweiger „Rheingold“ unterbrechen Schauspieler wiederkehrend den Werkverlauf, wie schon vor über 20 Jahren in Meiningen. Da unterbrach Regisseurin Christine Mielitz den Schlussgesang der Brünnhilde und ließ sie Prosatexte rezitieren. Streitfreudige Musiker, die sich dieser irren Willkür entgegensetzen, gibt es kaum. Die meisten GMDs entscheiden auch nicht über die Besetzungen.

MG: Niemand ist gezwungen, z.B. unautorisierte Eingriffe in den Notentext zu akzeptieren und ich habe das persönlich noch nie erlebt. Meistens sind die Kollegen einfach etwas spät dran, wenn sie erst in der Endprobenwoche anreisen und dann versuchen, mit mehrwöchiger Verspätung ihr Veto einzulegen. Eine ideale Produktionsplanung nach meinen Vorstellungen würde die musikalische Arbeit wesentlich früher beginnen lassen als aktuell allgemein üblich. Die musikalische Einstudierung speziell der Ensembleszenen müsste bei Beginn der szenischen Proben vollkommen sicher, gewissermaßen „plattenreif“ sein. Dies würde auch manchen Konflikt mit einem Regisseur verhindern, weil ich frühzeitig gegensteuern kann, wenn ich sehe, dass bestimmte szenische Abläufe hinderlich sind für eine gute musikalische Qualität. Ein bisschen „Krach“ ist oft ein gutes Zeichen und um die gemeinsame Sache zu streiten, kann auch ganz wunderbar sein, wenn es allen eben auch um die Sache geht. Nichts ist öder, unproduktiver und langweiliger als andauerndes gegenseitiges Versichern, alles sei ja so wunderbar und toll.

Oft habe ich erlebt, dass Regisseure wie Dilettanten agierten, sich keine Gedanken darüber machten, was ein musikalischer Ausdruck ist, wo der Kern einer ebensolchen Aussage zu finden ist. Die Diskrepanz zwischen musikalischer Professionalität und wenig vorhandenem inszenatorischen Handwerk, oder auch musikalischer Bildung ist oft erschütternd groß. In Wiesbaden durfte ich diesbezüglich allerdings bisher vorwiegend positive Erfahrungen machen.

(c) Privatarchiv Güttler

DS: Du hast ein breites Opernrepertoire. Welche Oper ist auf Deiner Wunschliste?

MG: Unbedingt Verdis „Otello“!

DS: Hast Du ein Motto, was Du über Deine Arbeit stellst? Ein künstlerisches Credo?

MG: Ich sehe mich als Überzeugungstäter, der authentisch bleiben möchte und auch so agiert.

DS: Lieber Michael, vielen Dank für dieses offene und spannende Gespräch. Für Deine Zukunft wünsche ich Dir alles Gute und weiterhin viel Erfolg!


Dirk Schauß, 23. November 2022