Köln: „Fantasio“, Jaques Offenbach

VIDEO

TRAILER der Opera Zuid

Triumph der Narrheit

Punktgenau am Abend nach seinem 200. Geburtstag ehrte nach der Kölner Oper mit ihrer opulenten Aufführung von Offenbachs Operette Die Herzogin von Gerolstein nun auch die Kölner Phiharmonie den in Köln geborenen Wahl-Pariser Jaques Offenbach mit der Aufführung seiner kaum bekannten und lange Zeit in der Versenkung verschwundenen komischen Oper Fantasio. Nach einem Libretto von Paul de Musset, das als Vorlage das gleichnamige Schauspiel von dessen Bruder Alfred Musset nutzte, komponierte Offenbach seine Opéra comíque unmittelbar vor seiner wohl bekanntesten Oper Hoffmanns Erzählungen zur Zeit des Deutsch-Französischen Krieges.
Vor allem der gegenüber dem Schauspiel umgedeutete pazifistische Schluss der Oper stieß nach der Niederlage Frankreichs in der aufgeheizten Stimmung in Paris auf scharfe Ablehnung, sodass die Uraufführung in Paris in der Opéra comique erst im Januar 1872 erfolgte. Diese Pariser Fassung wie auch die deutsche Bearbeitung für Wien im Februar 1872 blieben ohne großen Erfolg. Das Schicksal des Fantasio schien endgültig besiegelt, als die Originalpartitur bei einem Brand der Pariser Oper vernichtet wurde und die einzelnen Seiten der nun einzig verbliebenen handschriftlichen Partitur Offenbachs von den Erben seiner Tochter Jaqueline in alle Welt verramscht wurden. In einer wahren Sisyphusarbeit konnte der englische Offenbach-Enthusiast und Musikwissenschaftler Jean-Christophe Keck auch mit Hilfe eines Klavierauszuges und einer Abschrift der Wiener Partitur aber die ursprüngliche Fassung rekonstruieren, die dann erstmals im Dezember 2013 in London wieder zum Klingen gebracht wurde.
Die recht komplizierte Handlung spielt in München. Der König von Bayern will seine Tochter Elsbeth an den Prinzen von Mantua verschachern, um den drohenden Staatsbankrott abzuwehren. Fantasio, ewiger Student und hochverschuldet, hört vor dem Schlossfenster die klagende Elsbeth, der er gefühlvoll antwortet, sodass sich beide durch den Gesang ineinander verlieben. Als Narr verkleidet gelingt ihm der Zutritt zur Hofgesellschaft, wo der Prinz von Mantua zu einem zahlreiche komische Effekte provozierendem Possenspiel greift. Er tauscht mit seinem Adjudanten Marioni die Rollen, um die wahre Liebe Elsbeths zu testen. Als er sich schließlich als Brautwerber zu erkennen gibt, ist es zu spät. Fantasio hat Elsbeths Hochzeit hintertrieben, indem er als Narr ihr reinen Wein einschenkt und sie vor dem Unglück warnt, in das sie sich mit der Hochzeit begibt. Fantasio büßt für seine Freveltat mit dem Gefängnis, wird aber begnadigt und sogar vom König von Bayern zum Prinzen erhoben, da er den drohenden Krieg zwischen Bayern und Mantua verhindert. Seine Worte „Kämpft untereinander, das geht uns nichts an“ nehmen die berühmte, wohl fälschlich Brecht zugeschriebene Sentenz vorweg: „Stellt euch vor, es ist Krieg, und niemand geht hin.“ Die Narrheit siegt über Chauvinismus und Kriegslüsternheit, Fantasio triumphiert als König der Narren. Das war nicht nur zur Zeit Offenbachs, das ist auch heute noch eine wunderbare Utopie.
Chor der Opera Zuid (Jori Klomp) und die philharmonie zuidnederland unter Leitung von Enrico Delamboye brachten die außerordentlich facettenreiche Musik dieser wunderbaren Opernrarität, die sich mit ihrer großen romantischen Orchesterbesetzung weniger als opéra bouffe denn als opéra lyrique präsentiert, zum Leuchten und Funkeln. Delamboye geizte nicht mit körperlichem Einsatz, um die politische, vormärzliche Attacke gerade der Chorszenen – „Wir sprengen die Monarchie von Innen“ – mit Verve musikalisch ins Bild zu setzen, ihm gelangen aber mit seinem Orchester gerade auch in den drei romantischen, melancholischen Liebesduetten zwischen Elsbeth und Fantasio, die als Strukturelement die dreiaktige Oper bestimmen und bereits in vielem auf Offenbachs Erfolgsoper Hoffmanns Erzählungen vorausdeuten, bewegende und anrührende Klangbilder.
Die Solistinnen und Solisten dieses Abends trugen ihrerseits zu dem großen Erfolg der halbszenischen Aufführung (Regie: Benjamin Prins, Kostüm: Lola Kirchner) bei. An erster Stelle muss hier die junge russische Sopranistin Anna Emelianova genannt werden, die mit glockenklarer, funkelnder Stimme ein Feuerwerk brillanter Koloraturen in das weite Rund der Kölner Philharmonie schickte, aber gerade auch die melancholisch-lyrischen Passagen ihrer Partie mit großer Intensität und Klangschönheit gestaltete.
In der Titelpartie überzeugte Romie Estéves nicht nur schauspielerisch in ihrer Rolle als Hofnarr mit beinahe akrobatischen Verrenkungen, sondern auch stimmlich konnte die französische Mezzospranistin besonders in der Mittellage, aber auch mit ihrem in der Höhe leuchtenden Timbre punkten. Bei manchen Legato-Kantilenen in der Tiefe, vor allem aber in den Ensembleszenen kam sie bisweilen stimmlich allerdings an ihre Grenzen. Thomas Morris (Tenor) als Adjudant des Prinzen, Huub Claessens (Bass) als König von Bayern, Roger Smeets (Bariton) als Prinz von Mantua, Francis van Broekhuizen (Mezzosopran) sowie das aufmüpfige Studentenquartett mit Ivan Thirion, Jeroen de Vaal, Rick Zwart und Jaques de Faber komplettierten ein insgesamt stimmlich bestens aufeinander abgestimmtes Sängerensemble und begeisterten darüber hinaus mit engagiertem, komödiantischem Spiel und im Falle der Studenten mit hochsportlichen Turnleistungen (Radschlag, Rolle vorwärts etc.).
Das Publikum in der recht gut besuchten Philharmonie dankte allen Künstlerinnen und Künstlern mit lang anhaltendem Beifall und zahlreichen Bravos. Manch einer Besucherin und manch einem Besucher wird es vielleicht so gegangen sein wie dem Rezensenten. Würden doch die Politiker unserer Tage Offenbachs wunderbare Oper und die in ihr übermittelte Botschaft an alle Mächtigen zur Kenntnis nehmen, die da lautet: „Schließt Frieden!“, „Kämpft untereinander, das geht uns nichts an“, „Es lebe der König der Narren“

Norbert Pabelick, 23.06.2019

OPERNFREUND CD Tipp