Züricher Woke-Wahnsinn: „Wo wird das enden?“

Seit über 50 Jahren besuche ich klassische Konzerte, ich kann mich kaum erinnern, je dermaßen ergriffen worden zu sein wie gestern Abend in der Tonhalle Zürich. Nichtsdestotrotz muss ich mir eine persönliche Anmerkung von der Seele schreiben:

Als Programm vorgesehen gewesen war zunächst ein reiner Prokofiew-Abend, mit dem dritten Klavierkonzert und nach der Pause der beeindruckenden Kantante (und Filmmusik) „Alexander Newski“ ein grosses Werk Prokofiews mit gemischtem Chor. Im Verlauf der Chorproben muss sich herausgestellt haben, dass sich einige Chorsänger der Zürcher Singakademie mit dem Werk Prokofiews unwohl gefühlt hatten und deshalb das russische Heldenepos nicht singen wollten.

(c) Der Opernfreund / P. Klier

Damit war die Aufführung geplatzt. Für mich nicht nachvollziehbar. Erstens kann Prokofiew nichts dafür, dass seine Musik von Diktatoren und dem Usurpator Putin missbraucht wird, zweitens war Alexander Newski ein erfolgreicher Kämpfer gegen den Expansionskurs des Deutschen Ordens gegen Osten im Mittelalter, also ein Vorbild und Vorkämpfer gegen Landaneignung durch Fremde. Dieses ständige „Unwohlsein“ gewisser Menschen ist ein Modetrend geworden, auf den aufzuspringen diese Menschen nichts kostet und zu einer Cancel Culture führt. Ein gefährlicher Weg. Denn wo ist die Grenze? Wagners Walkürenritt und Liszts „Les Preludes“ wurden von Goebbels‘ Propagandaministerium bis zum Überdruss ausgeschlachtet, auch dafür können diese Komponisten nichts. Soll man die nun im trendigen Woke-Fieber auch verbieten? Die St.Galler Festspiele waren schon in vorauseilendem Gehorsam auf diesen Zug durch die Absetzung von Tschaikovskys „Die Jungfrau von Orleans“ aufgesprungen. Wo wird das noch enden? Zumal diese Zeichensetzungen nur leere Symbole bleiben und nichts bewirken. Helfen würde tatkräftige Unterstützung der Ukraine in ihrem Freiheitskampf und nicht narzisstisches Woke-Getue.

Kaspar Sannemann, 13. Januar 2023


Redaktions-PS:

Wir möchten in diesem Zusammenhang nur einmal darauf hinweisen, dass das größte NRW Opernhaus in der Landeshauptstadt Düsseldorf, gerade mit großem Erfolg und bedenken- und protestlos Tschaikowkys „Jungfrau von Orléans“ zur Premiere brachte. Wir berichteten ausgiebig darüber.

Wollen zusätzlich noch ergänzen und nicht unerwähnt lassen, daß gerade der Intendant der Düsseldorfer Oper in solchen Dingen sehr sensibel und empathisch ist – hatte er doch vor Jahren eine Tannhäuser-Aufführung sofort nach der Premiere gecancelt, weil sich einige Zuschauer nach drastischen Bildern unwohl gefühlt hatten.