Coburg: „Un Ballo in Maschera“

Besuchte Aufführung: 19.11. 2013 (Bayreuth, Stadthalle) Premiere in Coburg: 26.10.2013

Gut und ehrlich

Mehr als ein Musikwissenschaftler hat auf die Nähe des „Melodramma“ „Un ballo in maschera“ zu Wagners gleichzeitig komponierter „Handlung“ namens „Tristan und Isolde“ hingewiesen. Hier wie dort trifft sich ein Liebespaar im nächtlichen Dunkel des zweiten Akts, hier wie dort stört ein Dritter das Rendezvous, aber damit hat es sich auch schon mit den Ähnlichkeiten. Wer sich die geradlinige, allem Ornament abholde Inszenierung anschaute, die das Landestheater Coburg mit einer glänzenden Solisten-, Chor- und Orchesterbesetzung unter der erstklassigen, schlanke, aggressive und höchst sensible Klänge organisierenden Leitung Roland Kluttigs- in die Bayreuther Stadthalle schickte, wird kaum an das Werk des Antipoden des Genies der Oper gedacht haben.

Verdis Genie der Zuspitzung dramatischer Ereignisse, der Entwicklung von dramatisch motivierten Kantilenen, Ensembles und Tableaus – dieses Genie erfuhr mit der Aufführung eine schöne Bestätigung. Man hat erst vor 14 Tagen mit der Hofer „Aida“ gesehen, dass eine Oper Giuseppe Verdis keinen Ausstattungsprunk, auch keinen Aktionismus benötigt, um ihren affektiven Kern zu enthüllen. Wenn Großtalente wie Milen Bozhkov (in einer der schönsten verdischen Tenorrollen) und Celeste Siciliano (als wahrhaft „himmlisch“ intonierendes Sopranglück) in den Hauptrollen zu erleben sind, erledigt sich die Frage nach der gesellschaftspolitischen Relevanz einer ins Heute gedrehten azzione teatrale.

Volker Vogel hat die Geschichte des latent todesverfallenen Königs (dessen Mutter eine Schwester der Wilhelmine von Bayreuth war), der sich mehr für das Vergnügen als die Wohlfahrt von Staat und Volk interessiert, mit scheinbar leichter Hand als gelind psychologisches Stück im kostümlich vielfältigen Raum arrangiert. Im Interessenkonflikt zwischen ihm und der Adelsclique, die sich todeswütig gegen ihn verschworen hat, gewinnt der Tenor durch eine unerhörte Präsenz, der seine erste Stellung nicht durch allzu viele Lagrimoso-Töne belastet – bewegend aber ist sein Tenorschmelz dort, wo es darum geht, seine Playboygefühle in den tiefernst emphatischen Höhepunkt des „Liebesduetts“ und des endlosen Abschieds (im wahrhaft „himmlisch“ intonierten Des-Dur-Addio) zu verwandeln.

Der Dritte – sozusagen eine Mischung aus König Marke und Kurwenal – heißt Renato, also Michael Bachtadze. Vokal etwas harscher, wenn auch nicht hässlicher angelegt als der Tenor, begeistert der ins Helle aufgelichtete Bariton durch Emphase, Durchschlagskraft, gestalterische Intelligenz. Intelligent ist übrigens schon die Kostümgestaltung Norbert Bellens, der auch für die Bühne verantwortlich ist: trägt Renato uniformes, dem späten 18. Jahrhundert verhaftetes Schwarz, so tritt das Schicksal auf und zwischen den käfigförmigen Kuben ganz in modernem Weiß auf (daran erinnernd, dass Weiss, wie in Japan, eine Trauerfarbe und eine Farbe der Reinheit sein kann). Verdis „Maskenball“ ist auch aufgrund seiner Kontraste zwischen schicksalsschwerem Melodramma und offenbacheskem Coupletton – den der clowneske, an Offenbachs „Contes-Hoffmann“-Muse erinnernde Oskar der Sofia Kallo glänzend trifft – unvergleichlich geworden.

Hier agiert die Seherin Ulrica als Fatum, das noch im zweiten Teil, todverkündend, über die Bühne geistert. Leila Pfister (ein Ensemblemitglied des Staatstheaters Nürnberg) schenkt ihren dunklen, rotsamtenen Alt einer Rolle, die sie bis in die höheren Mezzo-Regionen bruchlos gestaltet.

„Die Welt wird reicher durch unsere Liebestaten“, heißt es bei Rudolf Steiner; man liest es im Programmheft. Die Welt wird auch reicher durch derart gute wie ehrliche Opernaufführungen.

Frank Piontek, 20.11. 2013 Fotos: Andrea Kremper