Premiere: 18. September 2016
Wenn die großen NRW-Opernhäuser eine Oper von Richard Wagner auf den Spielplan setzen, feiern sie sich gerne selbst als „Bayreuth am Rhein“ oder „Bayreuth an der Ruhr“. Aufgrund der städtischen Sparmaßnahmen oder unsinniger Spielplanentscheidungen spielt Wagner aber für diese Häuser gar nicht mehr die zentrale Rolle. „Die Meistersinger von Nürnberg“ wurden in NRW zuletzt am 7. Juni 2012 als Abschieds-Aufführung vom Kölner Opernhaus am Offenbachplatz gespielt, waren also vier Jahre lang gar nicht zu sehen. Dass nun ausgerechnet das Landestheater Detmold eine Neuinszenierung herausbringt, ist gleichzeitig eine Auszeichnung für Detmold und ein Armutszeugnis für die anderen Häuser.
Der Detmolder Intendant Kay Metzger hat nach seiner Ring des Nibelungen (2006 bis 2009) auch noch „Tristan und Isolde“ sowie „Parsifal“ inszeniert, so dass es nur noch eine Frage der Zeit war, wann die „Meistersinger“ kommen würden. Metzger und Ausstatterin Petra Mollérus verorten das Stück in der deutschen Nachkriegsgeschichte der 50er Jahre, was sich am ehesten mit der Stuttgarter Neuenfels-Inszenierung von 1992 vergleichen lässt, wo das Stück entlang Trümmerdeutschland, Studentenkrawallen und Wiedervereinigung erzählt wurde.
Der erste Akt spielt in Detmold in einer Fabrikhalle, deren Besitzer Veit Pogner ist. Der Werkschor probt gerade und Stolzing, der als der grüngekleideter Wandervogel auftritt, als der Rudolf Schock gerne vermarktet wurde, wird von einem bayerischen Kobold mit Eva zusammengebracht. Sind die „Meistersinger“ sonst ganz im Diesseits eingeordnet, erfindet Metzger diesen Lederhosen-Kobold hinzu, der alle entscheidenden Momente der Geschichte vorantreibt.
Leider wundern sich die Figuren viel zu wenig über all die Dinge, die ihnen da zustoßen. Wenn Hans Sachs im dritten Akt während des Wahn-Monologs mit dem für ihn unsichtbaren Kobold zusammenstößt und dann folgert „Ein Kobold half wohl da“, ist dies ein magischer Gänsehautmoment.
Die Meistersinger erscheinen im ersten Akt wie Vorstandvorsitzende, die sich in ihrer Freizeit mit Kultur beschäftigen und nicht wie Handwerker. Jedoch wundert man sich dann im zweiten Akt, dass Pogner und Sachs zur Miete in zwei gegenüberliegenden Betonblöcken wohnen. Sachs greift hier auch, wie man das kennt, noch selbst zu Hammer und Leisten.
Wandervogel Stolzing lässt im ersten Akt die Meistersinger von der Natur träumen: Bei seinem „Fanget an“ wird der Bühnenraum grün ausgeleuchtet und ein Baum hängt vom Schnürboden herab. Leider wird dieser Ansatz nicht weiter verfolgt. Auch würde dieser Ansatz viel besser zu den Blumenkindern der 60er oder der Grünen-Bewegung der 70er und 80er Jahre passen.
Sehr ungewöhnlich inszeniert Metzger die „Festwiese“: Beckmesser steht alleine im Festzelt und memoriert sein Lied, während von draußen die Gesänge hereinschallen. Zu den „Mädel von Fürth“ versucht sich eine Verehrerin an Beckmesser heranzumachen und beim Aufmarsch der Meistersinger genehmigen die sich erst mal ein Bierchen, während sich Beckmesser unter dem Tisch versteckt. Erst zum „Wach auf“-Chor verschwindet das Zelt und gibt den Blick auf die „Festwiese“ frei, die den prächtig klingenden Chören (Einstudierung: Marbod Kaiser) mit Treppen und Galerien gute Auftrittsmöglichkeiten bietet.
Die Sängerbesetzung ist fast durchweg beachtlich. Als Gast vom Mainzer Staatstheater singt Derrick Ballard mit starkem Heldenbariton einen kernigen Sachs. Er ist durchweg textverständlich und hat bei keinem seiner Monologe und Ansprachen irgendwelche konditionellen Probleme. Dieser Sänger dürfte eine große Karriere als Wotan vor sich haben.
Als Gast von der Bayerischen Staatsoper hat Christoph Stephinger in Detmold bereits den Hagen und den Gurnemanz gesungen. Stephinger verfügt über eine warme balsamische Bassstimme, leidet an diesem Abend aber unter Lampenfieber: In seiner Ansprache wirkt einiges klug interpretiert, anderes fahrig. Ensemblemitglied Andreas Jören singt einen schneidig-intellektuellen und wohltönenden Beckmesser. Seine Dialoge und Wortgefechte mit Sachs gehören zu den Höhepunkten des Abends. Die Inszenierung karikiert ihn nicht, belässt ihn aber als spießig-nervigen Verwaltungsbeamten.
Mit schön gerundetem Bariton überzeugt Insu Hwang als Kothner, dessen Koloraturen er geschmeidig dahin gleiten lässt. Ansonsten ist die Meistersinger-Riege gut besetzt, wobei auffällt, dass der Ulrich Eisslinger mit Nobert Schmittberg besetzt ist, der in seinen Heldentenor-Zeiten den Siegfried in Weimar oder den Äneas in Dortmund sang.
Heiko Börner hat den Stolzing schon in Erfurt gesungen, scheint sich aber nach einem kräftig-stürmischen Einstieg zu schonen. Im 2. Akt klingt er eher wie ein Herodes-Charaktertenor, bevor er dann beim Preislied seine Stimme endlich frei strahlen lässt. Auch Stephen Chambers, der den Davids singt, besitzt das Potenzial sich bei guter Planung zum Heldentenor zu entwickeln. Seine Stimme klingt füllig und farbenreich, zudem hat er keinerlei Höhenprobleme.
Gritt Gnauck singt die Magdalena zuverlässig, wie man es von ihren Auftritten im Essener Aalto-Theater gewohnt ist, während Eva Bernard als Eva Pogner keinen lyrischen Glanz entfalten kann.
Der Detmolder GMD Lutz Rademacher weiß genau wie er Wagner zu dirigieren hat: Die Tempi wirken weder übereilt noch schleppend Da der Detmolder Orchestergraben weit unter die Bühne reicht, kann das Symphonische Orchester Detmold in großer Besetzung aufspielen, so dass der Orchesterklang sehr gut ausbalanciert ist. Rademacher formt einen leichten und frischen Gesamtklang, der auch den Sängern genügend Spielraum bietet und ihnen stets ermöglicht ohne Anstrengung zu singen. Hier merkt man bei jedem Takt: Rademacher kennt sein Haus und das Orchester, er weiß, wie er für diesen Saal den Klang gestalten muss.
Bis zum Mai 2017 gibt es vier weitere „Meistersinger“-Aufführungen in Detmold, vom 27. Januar bis 5. Februar gastiert diese sehens- und hörenswerte Produktion in Schweinfurt. Weitere Aufführungen folgen in Paderborn (26.3.) und Wolfsburg (13.5.).
Rudolf Hermes 21.9.16
Bilder (c) Landestheater