Detmold: „Luisa Miller“

Premiere: 05.04.2019

Schwarz-Weiß-Malerei

Lieber Opernfreund-Freund,

Verdis vergleichsweise selten gespielte Luisa Miller hatte gestern am Landestheater Detmold Premiere. Künstlerisch beachtlich und szenisch solide riss die Darbietung das Publikum am Ende zu wahren Begeisterungsstürmen hin.

Als sich der Vorhang nach der bespielten Ouvertüre hebt, glaubt man noch für einen Moment, man habe die falsche Vorstellung erwischt, zeigt man in Detmold derzeit doch das auf den gleichnamigen Comics und Filmen basierende Grusical The Addam’s Family. Ganz in schwarz-weiß sind die Kostüme von Lukas Noll gehalten, kalkweiß sind auch die Gesichter mit schwarzumränderten Augen, ebenso schwarz sind die Lippen der Protagonisten (beeindruckende Maske: Kerstin Steinke), die teilweise scheinbar aus Särgen steigen und somit erinnert das Setting auf den ersten Blick an die Geschichten rund um Morticia Addams und ihre Lieben. Doch Regisseur Christian von Götz zitiert vielmehr die Stummfilmwelt der 1920er Jahre, den morbiden Charme, das plakative Spiel der Akteure und setzt die Handlung, die immer wieder durch Zuziehen eines Brechtvorhangs mit aufgedrucktem Schiller-Zitat unterbrochen wird, vor an Linolschnitte erinnernden Prospekten in Szene, mit denen Lukas Noll eine ungeheure Tiefe erzeugt. Düster geht es da nicht nur farblich zu auf der Bühne, auch der Tod, auf den von Beginn an alles zuzulaufen scheint, ist allgegenwärtig, denn von Götz hat eine allegorische Figur in Form der sich ausdrucksvoll verbiegenden Tänzerin Caroline Lusken hinzugefügt, die gegen Ende des Abends allen Sterbenden das Gesicht leider allzu plakativ mit roter Farbe beschmiert, ansonsten aber durch sinnfällige Akzente setzt. Christian von Götz gelingt durch durchdachte Personenregie ein weitestgehend spannender Abend, doch leider gelingt es ihm nicht, den zu Längen neigenden Schluss zu beleben, weil er just dann die Szene in Statik ertränkt. Alles in allem ist aber die Lesart des aus Lübeck stammenden Regisseurs, der ansonsten als Spezialist für Musical und Operette gilt, so schlüssig wie unterhaltsam, zeichnet er doch beispielsweise den Fiesling Wurm nicht als reinen intriganten, sondern als Menschen, für den man sogar Mitgefühl entwickeln kann.

Luisa Miller, 1849 und damit zwei Jahre vor Verdis Rigoletto entstanden, ist wohl noch der Periode zuzurechnen, die Verdi selbst als seine Galeerenjahre bezeichnete. Sie ist die dritte Oper des Komponisten, die auf einem Werk von Friedrich Schiller fußt (18 Jahre später sollte noch Don Carlos folgen); sie findet in dessen Drama Kabale und Liebe, das eigentlich Louise Millerin heißen sollte, ihre Vorlage, der Geschichte um unstandesgemäße Liebe, Ehre, Eifersucht, Intrige und Tod. Die Bauerstochter Luisa hat sich in den Sohn des Grafen von Walter, Rodolfo, verliebt, ohne von dessen Identität zu ahnen. Von Walter, der erst nach der Ermordung seines Vetters zum Erben der Grafschaft wurde, will aber für seinen Sohn gesellschaftlichen Aufstieg durch eine Vermählung mit Federica von Ostheim erreichen. Er lässt Luisas Vater gefangen nehmen und benutzt ihn als Druckmittel, Luisa schreibt daraufhin auf Drängen des Sekretärs Wurm einen Brief, in dem sie offenbart, Rodolfo nicht zu lieben, sondern allein Wurm. Rodolfo wird der Brief zugespielt und er geht zu Luisa, gibt unbemerkt Gift in einen Becher und trinkt mit ihr gemeinsam. Die hinzukommenden Väter können nur noch den Tod ihrer Kinder beweinen.

In der Titelrolle glänzt am gestrigen Abend Megan Marie Hart, die wie beinahe alle Mitwirkenden zum Ensemble des Landestheaters gehört. Ihr imposanter Stimmumfang beeindruckt mich ebenso, wie ihre feine Höhe, ihre beinahe gutturale Tiefe und ihr expressiver Gesang samt eindrucksvoller Darstellung. Man nimmt der Amerikanerin die Zerrissenheit ihrer Figur vollkommen ab – da vergebe ich ihr gerne den Hang zum Tremolo im oberen Register. Ji-Woon Kim als Rodolfo lässt bezüglich klarer Stimmführung nichts vermissen, sein strahlender Tenor verfügt über außergewöhnlichen Glanz und bombensichere Höhe; doch singt der aus Südkorea stammende Künstler am gestrigen Abend in vor der Pause teilweise recht wenig seelenvoll, im Finalakt hingegen trumpft er auf ganzer Linie auf. Benjamin Lewis hatte mich schon in Martha begeistert und zeigt gestern, dass er auch große Oper kann. Sein imposanter Bariton verfügt über das nötige Gewicht und einen großen Farbenreichtum, um die Figur des Miller zu verkörpern, der zwischen Bangen um seine Ehre und der Liebe zu seiner Tochter hin und hergerissener Vater ist. Seungweon Lees profunder Bass verleiht dem Grafen von Walter eine standesgemäße Aura. Der Wurm von Gastsänger Alexander Vassiliev ist für mich die Überraschung des Abends. Ein wahrer Vollblutkünstler steht da auf den Brettern des Landestheaters, kostet die Facetten seiner Figur, die von Goetz ihm dankenswerterweise zugesteht, voll aus, füllt sie mit seinem wandlungsfähigen Bassbariton und höchster Gestaltungsgabe aus, so dass das Zusehen und -hören eine wahre Freude ist. Ganz entzückt bin ich auch von der Stimmschönheit von Annina Olivia Battaglia, die als Mitglied im Opernstudio Luisas Freundin Laura singen darf. Das macht Lust auf mehr.

Francesco Damiani hat den Chor betreut und ihn hörbar intensiv auf seine umfangreiche Aufgabe am gestrigen Abend vorbereitet – da stimmt jeder Einsatz. Gleiches gilt für das Symphonische Orchester des Landestheaters Detmold, das mit hörbarer Spielfreude unter der Leitung von Lutz Rademacher einen farbenreichen Verdi präsentiert. Zwar hätte ich mir beispielsweise in der Briefszene eine Spur mehr Verdische Wucht gewünscht – aber das ist Jammern auf höchstem Niveau und vielleicht ist das Spiel mit teilweise angezogener Handbremse auch einer gewissen Premierennervosität geschuldet.

Ich bin also zufrieden, genau wie das frenetisch applaudierende Premierenpublikum, und kann Sie, lieber Opernfreund-Freund bedenkenlos ans Landestheater schicken, um sich diesen recht raren Verdi anzuschauen.

Ihr Jochen Rüth 6.04.2019

Die Fotos stammen von A.T. Schäfer.