Linz: „Death in Venice“

6.7.2018 (Premiere am 19.5.2018)

Ein engagiertes szenisches Konzept

Als Koproduktion mit der Opéra Nice Côte d’Azur und dem Theater Bonn stellte das Landestheater Linz, die 1973 uraufgeführte letzte Oper des englischen Komponisten, basierend auf Thomas Manns Novelle aus dem Jahr 1913, in einer Inszenierung von Intendant Hermann Schneider , die dieser bereits 2016 für Nizza entwickelt hatte, auf die Bühne.

Zwischen seiner ersten Oper, „Peter Grimes“, und seiner letzten, „Death in Venice“, liegen 28 Jahre, in denen sich Brittens musikalischer Stil radikal änderte, indem er atonale Elemente, fernöstliche Harmonien und Gamelan-Klänge einbaute, aber im Wesentlichen dennoch der Tonalität verpflichtet blieb. Hans Schöpflin musste Brittens bisweilen ermüdende Accompagnato-Rezitative mit wenigen ariosen Einsprengseln, die er für den alternden Dichter Gustav von Aschenbach komponiert hatte, mit seinem gut geführten Tenor vortragen. Dieser etwas monoton wirkende, kontemplative Stil dient dazu, die Vereinsamung eines alternden, homosexuellen Schöngeistes zu versinnbildlichen, der sich seiner großen Lebenslüge bewusst ist.

Angesichts der dionysisch-sinnlichen Jugend, wie sie sich für ihn im polnischen Knaben Tadzio manifestiert, sehnt er auf selbstquälerische Weise seinen eigenen Tod herbei. Freilich ist die seelische Zerrissenheit Aschenbachs in der Musik Brittens nur ansatzweise vorgegeben. Kopflastig vollzieht sich seine seelische Aufspaltung in dionysische Zügellosigkeit und apollinische Zucht im gesungenen Text, der über lange Strecken eher philosophisch-esotär dahinplätschert. Darin liegt – meiner Meinung nach – auch die Schwäche des Werks, mag sich auch die musikalische Sprache Brittens in diesem seinem letzten Werk der Sprache Thomas Manns in ihrer vollkommenen Klarheit aufs Engste angenähert haben. Regisseur Hermann Schneider konzipierte das Stück als ein minutiöses Sterben des Dichters Aschenbach in der Maske von Thomas Mann. Als Ort der Handlung wählte Bühnenbildner Bernd Franke die Bibliothek des Dichters von Aschenbach mit einer Nachbildung jenes Schreibtisches, den Thomas Mann einst verwendet hatte.

Die zunächst kleine Bibliothek des Dichters wird aber im Verlauf des Abends aufgebrochen, Licht tritt herein und ein Spalt im Fußboden mag wohl einen Kanal in Venedig symbolisieren. In Aschenbachs Kopf ziehen die Erlebnisse in Venedig langsam vorüber und gemäß den von Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) entwickelten fünf Phasen des Sterbens durchläuft der gepeinigte Dichter all diese Stadien, beginnend mit der Isolierung des Dichters, seines Zornes darüber, nicht Teil des geselligen Treibens um ihn herum sein zu können, des Verhandelns, indem er sich vom Friseur „verjüngen“ lässt, und schließlich, als er die Ausweglosigkeit auch dieser Situation erkennt, seine tiefe Depression und sein Leid, das schließlich in die Zustimmung seines unausweichlichen Unterganges mündet. Die Kostüme von Irina Bartels sind der mondänen Eleganz des fin de siècle des frühen 20. Jahrhunderts verpflichtet.

Britten und seine Librettistin Myfanwy Piper (1911-97) sahen für ihre Oper 17 verschiedene Schauplätze vor, auf die in dieser Inszenierung aber großzügig verzichtet wurde. Dadurch gingen aber insbesondere die Traumsequenzen des Dichters, in denen das apollinische mit dem dionysischen Prinzip ringen, völlig unter. Diesem Manko halfen aber die Video-Projektionen von Paolo Correia, die Ansichten von Venedig zeigen, einigermaßen ab. Brittens Musik wirkt in seiner letzten Oper für den Zuhörer oft kammermusikalisch und manche Rezitative erklingen gar nur mit Klavierbegleitung. Im Unterschied zu früheren Opern gelangt in Brittens letztem Werk aber gleich eine ganze Batterie an Schlagwerk, die fünf Schlagzeuger und ein Pauker bedienen müssen, zum Einsatz: Vibraphon, Xylophon, Marimbaphon, Aeolophon, kleine und große Peitsche und Trommel, Crotales, Gong, Triangel, Glockenspiel, Becken, Tamtam, Tom-Tom, Tamburin, Glockenspiel und Glockenbaum, Windmaschine, Holzblock, O-Daiko und Pauken.

Takeshi Moriuchi, der kommende Saison an die Frankfurter Oper wechselt, führte das Bruckner Orchester behutsam durch die äußerst diffizil ausgestaltete Partitur Brittens und lässt Aschenbachs Tod unter der sanften Begleitung des Glockenspiels leise verklingen. Ivan Alboresis kreierte für Tadzio und seine Freunde eine lebendige Choreographie, die weit davon entfernt ist, pubertierende Knaben mit ihren ausgelassenen Spielen am Stand vorzuführen. Dem spanischen Tänzer Jonatan Salgado Romero war die stumme Rolle des Tadzio anvertraut. Er tanzt natürlich besonders ausdrucksstark und liefert spannende Momente durch sein stummes Mienenspiel mit Aschenbach. Aber ein Knabe ist der seit nunmehr bereits zehn Jahren in Linz engagierte Tänzer gewiss nicht mehr… Ebenso wenig wie Edward Nunes als sein bester Freund Jaschiu und die übrigen Freunde Filip Löbl, Urko Fernandez Marzana und Lorenzo Ruta. Csaba Grünfelder hatte den Chor des Landestheaters bestens auf seine mannigfachen Aufgaben vorbereitet.

Hans Schöpflin hat die Rolle des Gustav von Aschenbach, mit der Britten Gustav Mahler ein musikalisches Denkmal setzen wollte, 2008 bereits in Barcelona interpretiert und 2016 in Nizza. Er singt über weite Strecken äußerst textverständlich und liefert darstellerisch wie stimmlich eine ergreifende Charakterstudie dieses weltfremden Schöngeistes. Als Stimme des Apollo war der britische Countertenor James Laing ebenso bei der Premiere dieser Produktion in Nizza dabei. Als dramaturgisches Gegengewicht zu dem szenebeherrschenden, aber eher besinnlich agierenden Dichter, hatte Bariton Martin Achrainer gleich acht Rollen zu interpretieren, die in schauspielerischer Hinsicht seine ungeheure Wandelfähigkeit unter Beweis stellten.

Offenbar gelang ihm das an diesem Abend so hinreißend, dass die Souffleuse ihre erforderliche helfende Tätigkeit ganz vergaß… Zunächst tritt der als „Reisender“ auf, später als ältlicher Geck und alter Gondoliere, dann wieder als Hotelmanager und als umtriebiger Fremdenführer in Venedig, als schwatzhafter Coiffeur des Hauses, als Führer der Straßensänger und schließlich noch aus dem Off als Stimme des Dionysos. Alle diese Rollen verlangen nach einer unterschiedlichen Gestaltung, wobei es für einen Bariton natürlich eine besondere Kraftanstrengung darstellt, in der Rolle des ältlichen Geck auch im Falsett zu singen… Die übrigen Kleinstpartien wurden von Vaida Raginskytè als deutsche Mutter und Bettlerin, Domen Fajfar als Glasbläser und Straßensänger, Jochen Bohnen als deutscher Vater, Ulf Bunde als englischer Angestellter im Reisebüro, Joschko Donchev als Schiffssteward und Restaurantkellner, Theresa Grabner als Zeitungs- und Erdbeerverkäuferin sowie als Straßensängerin, Boris Daskalov als russischer Vater, Tomaz Kovacic als polnischer Vater, Priester in San Marco und Gondoliere, Ran Seo-Katanic als dänische Frau, Kateryna Lyashenko als russische Mutter, Gabriele Salzbacher als englische Frau, Kathleen Louisa Brandhofer als französisches Mädchen, Margaret Jung Kim als Spitzenverkäuferin, Isabelle Wernicke-Brincoveanu als französische Mutter, Joanna Müller als russisches Kindermädchen, Mathias Frey als Hotelportier, Ville Lignell als Bootsmann am Lido und Hotelkellner, Jin Hun Lee als Gondoliere, Bonifacio Galván als Amerikaner und Gondoliere, Jonathan Whiteley als weiterer Amerikaner.

Die stummen Rollen wurden von Anna Hinterreiter-Lyubavina als die polnische Mutter von Tadzio samt ihren beiden Töchtern, Paula Kernreiter und Paula Rosenauer, sowie der Erzieherin, Tatiana Pichler, allesamt Mitglieder der Statisterie des Landestheaters Linz, bekleidet. Die Derniere wurde vom Publikum mit stürmischem Applaus bedacht. Intendant und Regisseur Hermann Schneider ergriff die Gelegenheit, drei verdiente Chormitglieder anlässlich ihres Ruhestandes gebührend zu bedanken und dem Dirigenten Takeshi Moriuchi alles Gute für seine weitere berufliche Laufbahn an der Oper Frankfurt zu wünschen.

Harald Lacina, 7.6.2018
Fotocredits: Sakher Almonen