Linz: „Le Prophète“

Ein musikalisches Juwel szenisch eher dürftig aufbereitet

Auf ein gemeinsames Libretto von Eugène Scribe und Émile Deschamps komponierte der deutschstämmige Komponist seine Grand opéra in fünf Akten, deren Uraufführung am 16. April 1849 in der Pariser Oper stattfand.

Erzählt wird die Entstehung und der Untergang des protestantischen Täuferreiches 1535 im westfälischen Münster. Der Gastwirt Jan van Leiden, Anführer dieser fundamentalistischen Bewegung, ließ sich im September 1534 zum „König Johannes I.“ krönen. Neben der Person des Propheten ist nur noch Jan Matthys (Mathisen) historisch nachweisbar, der unbewaffnet im April 1534 von Landsknechten zerhackt wurde. Die übrigen Personen der Oper hat Meyerbeer frei erfunden, ebenso das theatralisch effektvolle Ende der Oper mit dem Brand und Einsturz des Schlosses von Münster. Das Täuferreich endete vielmehr in der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1535 als kaiserliche Truppen Karls V. Münster einnahmen und die führenden Täufer am 22. Januar 1536 qualvoll hinrichten ließen… In der Behandlung des zentralen Themas dieser Oper, nämlich der Instrumentalisierung von Religion mit dem Ziel der Errichtung eines „Gottesstaates“ war Meyerbeer seiner Zeit weit voraus und geradezu visionär. Sein düsterer Ausblick sollte sich ja gerade in unserer spannungsgeladenen Zeit bewahrheiten… Die Aufführung in Linz verwendete die kritische Edition der Oper unter Einbeziehung aller gestrichenen Teile, wie sie auch der Aufführung an der Wiener Staatsoper 1998 zu Grunde gelegen war. Ein literarisches Detail am Rande: Heimito von Doderer benutze in seinem Roman „Die Merowinger oder Die totale Familie“ Meyerbeers Krönungsmarsch aus der Oper „Le prophète“ zur musikalischen Begleitung einer grotesken Wuttherapie des Psychiaters Dr. Horn durch Application von Paukenschlögeln. Eine dramatisierte Fassung dieses Romans kann man derzeit am Wiener Volkstheater in der Regie von Intendantin Anna Badera sehen.

Meyerbeer schuf mit seinen Opern totales Theater, indem er alle Aspekte des Musiktheaters, wie Komposition, Instrumentation, Text und Ausstattung der Darstellung eines übergeordneten Gesamtkonzeptes unterwarf, in „Le prophète“ eben der Instrumentalisierung von Religion und der Errichtung eines Terrorregimes. In Wien sang Plácido Domingo die herausfordernde Rolle des Jean de Leyde. In Linz wagte sich der aus Anderson / Indiana stammende US-amerikanische Tenor Jeffrey Hartman an diese gefürchtete Rolle, deren stimmlichen Herausforderungen er hörbar an vielen Stellen nicht gewachsen war. Resultat: er knödelte und stemmte, dafür aber war sein Rollenspiel umso überzeugender, womit er einiges an gesanglichen Schwächen ausgleichen konnte. Brigitte Geller gefiel als resolute Berthe. Katherine Lerner in der Rolle der Fidès, Mutter des Propheten, führte ihren Mezzosopran zu Höchstleistungen und bot ein ergreifendes Bild einer Mutter, die ihren Sohn verleugnen muss. Dominik Nekel als Zacharie mit gut geführten Bass, Matthäus Schmidlechner als Jonas mit tragfähigem Tenor und der in Seoul geborene Bariton Adam Kim als Mathisen wurden von der Regie sträflich vernachlässigt und konnten sich deshalb in stimmlicher Hinsicht auch nur bedingt behaupten.

Die Bassrolle des Comte d‘Oberthal war für Bassbariton Martin Achrainer vielleicht eine Spur zu tief angelegt, aber er hielt sich wacker und konnte sich dank seiner Routine neben seinen darstellerischen Qualitäten in dieser unsympathischen Rolle auch stimmlich behaupten. In kleineren Rollen wirkten noch Markus Schulz als ein Bauer, Csaba Grünfelder als ein Soldat, Marius Mocan als ein Bürger, Jonathan Whiteley und Markus Raab als erster und zweiter Wiedertäufer sowie Danuta Moskalik und Yoon Mi Kim-Ernst als zwei Bäuerinnen mit. Der Chor, Extrachor sowie der Kinder- und Jugendchor des Landestheaters Linz wurden von Elena Pierini, Martin Zeller und Ursula Wincor bestens einstudiert. Das Bruckner Orchester brachte unter dem sensiblen Dirigat von Markus Poschner Meyerbeers stilistisch changierende Partitur in klanglicher Virtuosität zu ungeheurem Funkeln. Schade nur, dass während der Balletteinlage Les Patineurs und zwischen den einzelnen Bildern der Oper Bibelzitate und Aussprüche von Luther, von Meister Heinrich Gresbeck, dessen Name fälschlich mit „Grasbeck“ angeführt wird, sowie ein zeitgenössischer Text über die Vielweiberei der Wiedertäufer auf den eisernen Vorhang projiziert wurden, der szenisch dadurch umgesetzt wurde, dass das Lager plötzlich mit schwangeren und stillenden Müttern bevölkert war.

Comte d’Ottenthal beliefert diese noch incognito mit abgefüllter Muttermilch und trägt eine Jacke mit der Aufschrift „Au bon lait“ bevor er enttarnt und danach ermordet wird. Die Inszenierung des 1970 in Bremerhaven geborenen Alexander von Pfeil, mit vollem Namen Alexander Christian Ernst Walter Friedrich Carl Graf von Pfeil und Klein-Ellguth, eines Schülers von Götz Friedrich, versucht in einer Zeitreise jene historischen Ereignisse in die Gegenwart zu holen. Als äußere Merkmale dienen ihn dazu die Bücherverbrennung während der NS-Zeit und, äußerst aktuell aber völlig unnötig, der Einsatz von Mobiltelefonen. Das Einheitsbühnenbild von Piero Vinciguerra erschöpft sich in der düsteren Architektur einer halbrunden mehrstöckigen Halle aus dem Zeitalter der industriellen Revolution. In dieser verlassenen Wüste versammelt sich eine verlassene Gesellschaft auf der Suche nach Erlösung. Ihre Heilserwartung in der Gestalt des prophetischen „Erlösers“ Jean de Leyde löst eine Spirale der Gewalt aus, die in der alttestamentarischen Entscheidung Jeans zwischen seiner Mutter Fidès und seiner Freundin, der Waisen Berthe, gipfelt. Die historische Mutter von Jean de Leyde hieß jedoch Alit Bockel und starb bereits 1521.

Der Fanatismus der Täufer, fälschlicherweise als „Wiedertäufer“ etikettiert, kommt durch Waffen schwingende Schergen nur marginal zum Ausdruck, sie schleppten sich in den Allerweltskostümen von Katharina Gault ziemlich stereotyp und völlig uninspiriert über die Bühne und auch das handelnde Volk, eine weitere Stereotype der Grand Opéra, fungierte in dieser Inszenierung eher wie Statisten. Weshalb am Ende der Oper der Niedergang der Wiedertäuferbewegung durch Menschen in grünen Strahlenschutzanzügen beschleunigt wird, bleibt uns der Regisseur schuldig. Die von der Decke der Bühne baumelnden Körper spielen auf das historische Ende nach der Eroberung von Münster an, wo die Leichen der zu Tode gefolterten Anführer Jan van Leiden, Bernd Krechting und Bernd Knipperdolling in eisernen Körben am Turm der Lambertikirche zur Schau gestellt wurden. Am Ende der Oper spendete das Publikum wohlwollenden Applaus, von denen die beiden Damen am stärksten profitierten. Die nicht immer einwandfreien Leistungen des Sängers der Titelrolle, Jeffrey Hartman, wurden vom Publikum großzügig bedankt. Trotz der szenischen Tristesse würde ich den Besuch dieser Produktion unbedingt empfehlen, hat man sie doch hierzulande seit jener denkwürdigen Inszenierung an der Wiener Staatsoper nicht mehr erleben können. Also auf nach Linz. Bis März 2020 kann man sich der schwelgerischen Musik von Meyerbeers „Prophète“ noch genussvoll hingeben.

Harald Lacina, 13.10.2019

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