Linz: „Paganini“, Franz Lehár

Gern hab ich die Frauen geküsst…

Das am 30. Oktober 1925 im Wiener Johann-Strauß-Theater (später „Scala“) auf der Wieden uraufgeführte Werk markiert den Beginn der letzten Schaffensphase Lehárs, in der er mehr und mehr ins Ernsthafte strebte, weg von reinen Unterhaltungsstücken. Zwar war die Titelrolle in Wien mit Carl Clewing besetzt, doch war sie bereits auf Richard Tauber zugeschnitten, der sie bei der Berliner Premiere drei Monate später sang.

© Barbara Palffy

Einst ein großer Erfolg, sogar Gegenstand einer Verfilmung schon zu stummen Zeiten, geriet das Werk in den letzten Jahrzehnten ins Abseits. Also waren wir neugierig, was Lehár-Fest-Intendant Thomas Enzinger als Inszenierung anbieten würde: Er machte aus der Operette ein Episodenstück, wobei die szenischen Abschnitte durch gesprochene Erinnerungen des alten Paganini (ausdrucksstark und bewegend: Alfred Rauch) verbunden und motiviert werden; mitunter tritt er in Dialog mit seinem Kind-Ich (Elias Kobyakov); Dramaturgie: Christoph Blitt. Sechs Stimmen vom Band (sic!) Daniela DettHorst HeissChristian HigerKatharina HofmannGunda SchandererEnrico Treuse kommen aus Musical- und Schauspielensemble; sie geben dem alten Pagnanini Stichworte und stellen Fragen oder bemühen Legenden über den „Teufelsgeiger“, die daraufhin szenisch widerlegt oder auch bestätigt werden. In einer weiteren Sprechrolle als Impresario Bartucci: Markus Raab. Die Personenführung ist durchwegs handlungsdienlich und plausibel. Die Pause wird im 2. Akt, kurz nach „Gern… geküßt“ gesetzt.

© Barbara Palffy

Die (ohnedies in der Partitur nicht als solche abgegrenzte) Ouvertüre wird szenisch genutzt, unter anderem mit einem düsteren, wilden Ballett von 6 Paganinis (Franziska GaßmannKatharina GlasAdrian InfeldMiriam LechlechArmando RossiBeatriz Scabora; Choreografie: Evamaria Mayer), das sich um einen zerbrochenen Spiegel dreht, in dem sich der Geiger betrachtet, mit einem überraschenden Ende. Die große Drehbühne wird geschickt zu Szenenwechseln genutzt – grundsätzlich sieht man ein nach den napoleonischen Kriegen beschädigtes Land (Bernd Franke), aber mittels Lichts werden auch viele andere Szenenbilder plausibel gemacht. Die Kostüme von Götz Lanzelot Fischer bleiben mit einer Ausnahme in der Handlungsepoche, also dem Empire, und sind bei den höfischen Personen mit großer Pracht (Stoffe!) gestaltet. Beim Buffopaar wird dann schamlos und effektvoll übertrieben… und im dritten Akt haben wir es, auch ausstattungsseitig, mit einer Carmen-Parodie zu tun. Wäre schön, wenn man so eine saftig-blutvoll gestaltete Carmen wieder einmal „im Ernst“ sehen könnte…

Fürstin Maria Anna Elisa ist mit viel Ausstrahlung und wunderbar kontrollierter samtiger bis strahlender Stimme Carina Tybjerg Madsen. Ihr Gemahl, Fürst Felice Bacchiocchi, wird vom Chorsolisten Ulf Bunde trefflich stimmlich gestaltet und passend zwiespältig charakterisiert. In der Titelrolle: Matjaž Stopinšek – einerseits mit ordentlicher Schauspielleistung, andererseits stimmlich von intimer, feiner Differenzierung („Gern hab‘ ich die Frau’n geküßt“ – mit dieser Interpretation nimmt man allen denkbaren metoo-Einwänden den Wind aus den Segeln!) bis zum strahlenden und schmelzgestützten Fortissimo. Als entsprechend virtuoser Geiger brilliert BOL-Konzertmeister Jacob Meining aus dem Graben, aber auch kostümiert auf der Bühne.

© Barbara Palffy

Als Buffopaar sehen und hören wir mit Freude und Vergnügen den Marchese Pimpinelli Jonathan Hartzendorf und als Bella Giretti, Primadonna an der Oper zu Lucca, Tina Josephine Jaeger. Beide stecken sehr viel körperliches Engagement in ihre komischen Auftritte, von beide vorzüglichen Gesängen einmal abgesehen. Bella weist aber auch ein weiteres Kostüm als 1920er-Jahre Vamp (mit einer Prise Disco-Glitzer) auf. Nett anzusehen, aber warum?

In weiteren Rollen Jovana Rogulja (Corallina), als Schmuggler Domen FajfarGyrdir Viktorsson, und Laurin Siebert weiters Alina Martemianova und Markus SchulzStatisterie.

Marc Reibel leitet das mit etwa 50 Personen angetretene Bruckner-Orchester zu duftigem, präzisem, samtigen (aber nicht zu schmachtendem) Spiel an und hält präzise Balance und Rhythmus zwischen Graben und Bühne. Auch die Duette sowohl von Fürstin mit Paganini als auch von Bella mit Pimpinelli funktionieren brillant und bewegend. Der Chor (Einstudierung Elena Pierini) gefällt ebenso.

Nach gut 2½ Stunden musikalisch sehr guter bis perfekter Darbietung eines sehenswert ausgestatteten, szenisch nicht aufregenden Stückes, das durch die Bearbeitung nicht gewonnen, auch nicht groß gelitten hat: kräftiger, aber nicht wirklich begeisterter Applaus, wobei das Produktionsteam auch keine Missfallenskundgebungen anhören muß.

Petra und Helmut Huber, 22. Oktober 2024

Besonderer Dank an unseren Kooperationspartner MERKER-online (Wien)


Paganini
Operette in drei Akten von Paul Knepler und Bela Jenbach
Musik: Franz Lehár

Landestheater Linz

Premiere 12. Oktober 2024

Regie: Thomas Enzinger
Dirigat: Marc Reibel
Bruckner-Orchester Linz