Linz: „Tristan und Isolde“

Aufführung am 30.9.2018, Premiere 15.9.2018

Eine 25 jährige Kultinszenierung auf dem Prüfstand

Die Wiederaufnahme der inzwischen schon zum Kult gewordenen Inszenierung des ostdeutschen Schriftstellers Heiner Müller für die Bayreuther Festspiele 1993 erfolgte im Vorjahr in Lyon. Im Stile Brechts hatte Heiner Müller (1929-95) seinerzeit eine der größten Liebesgeschichten der Opernliteratur radikal und konsequent entschlackt und gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Erich Wonder in völlig abstrakt angeordnete Räume platziert. Der eng begrenzte Raum Isoldes in einem abgesenkten Viereck des Bühnenbodens mochte wohl seine Anklänge im stilisierten japanischen Theater gehabt haben. Im zweiten Akt stellte er dann eine Reihe von Brustharnischen auf die Bühne, schließlich sind wir ja bereits in Markes gut bewaffnetem Land, und beließ den dritten Akt in tristem Grau, wobei sich die einzige Auftrittsmöglichkeit für die Sänger in der hinteren Bühnenmitte befand. Die Farben der jeweiligen Akte braun und gelb für den ersten, blau in allen Schattierungen für den zweiten und schließlich grau für den dritten Akt, dürften dem abstrakten Expressionismus von Mark Rothko (1903-70) und dem Formalismus von Piet Mondrian (1872-1944) verpflichtet gewesen sein.

Allerdings dämmert bei Isoldes Schwanengesang am Ende doch ein hoffnungsvolles Gold an den Wänden und ihrem Kostüm auf. Das, was man nicht unbedingt sehen muss, ließ Heiner Müller, gemäß dem Credo von Wieland Wagner, einfach weg. Und so gibt es in seiner Inszenierung auch keine Flöte für den Hirten, keinen Wachtturm für Brangäne und auch keine Matrosen auf der Bühne. Der 1943 geborene japanische Modedesigner Yohji Yamamoto entwarf, dem Wunsche Heiner Müllers folgend, bewusst einfache dunkle Kostüme, die eine Distanz zu der ohnehin überhitzten Gefühlsebene der Oper aufbauen sollten. Besonders symbolträchtig waren die durchsichtigen Halskrausen, die wohl die Gefangenschaft der Protagonisten einerseits in ihrem feudalen Gefüge, andererseits aber in ihrer eigenen Vorstellungwelt versinnbildlichen sollten. Erst nachdem beide den vermeintlichen Todes-, in Wirklichkeit aber Liebestrank genossen haben, gelingt es ihnen, aus ihrer gesellschaftlichen Verankerung ausbrechen und so verschwinden diese Halsringe dann auch im zweiten Akt. Für Lyon bzw Linz hat Stephan Suschke, seinerzeit in Bayreuth der Regieassistent von Heiner Müller und derzeitiger Schauspielchef des Landestheaters Linz, die Inszenierung rekonstruiert.

Die Realisierung der von Erich Wonder entworfenen Bühnenbilder sowie des von Manfred Voss vorgesehenen Lichtdesigns erfolgte durch Kaspar Glarner und Ulrich Niepel. Gesungen und agiert wurde in Linz auf der den engeren Verhältnissen von Bayreuth bzw. Lyon angepassten Bühne. Das Geschehen entrollt sich dabei während der drei Akte hinter einem durchsichtigen Gazevorhang. Heiko Börner (Tristan) hielt sich im ersten Akt zurück, drehte dann im zweiten Akt zu voll auf und sang im dritten Akt für mein Empfingen etwas zu verquollen. Für die Rolle der Isolde musste kurzfristig Ruth Staffa einspringen, die ihre erste Isolde 2011 am Staatstheater Mainz gesungen hatte. Ihr satter Sopran entfaltete nach kurzen Anlaufschwierigkeiten zu vollendeter Größe im zweiten Akt, wo sich die Liebenden bei Heiner Müller auch erstmals etwas näher kommen dürfen. Ihren finalen Abgesang aber zierten einige unschöne Klangfarben. Für die Rolle der Brangäne hatte die junge amerikanische Mezzosopranistin Katherine Lerner noch eine vielleicht etwas zu lyrische Stimme, welche sich erst im zweiten und im dritten Akt zu eindrucksvollem strahlenden Schönklang formen wollte. Solide wie gewohnt Dominik Nekel mit seinem profunden Bass in der Rolle des bemitleidenswerten Hahnreis König Marke.

Die eindrucksvollste Leistung dieses Abends aber bot zweifellos in gesanglicher wie in darstellerischer Hinsicht Bassbariton Martin Achrainer. Obwohl er gleich zu Beginn weit hinten auf der Bühne singen musste, wirkte sich dieses Manko nicht hörbar auf seine stupende Wortdeutlichkeit und hohe Gesangskultur aus. Matthäus Schmidlechner unterlegte den Intriganten Melot mit seinem erstklassigen Tenor. Philipp Kranjc verlieh dem Steuermann seine Stimme und Matthias Frey sang noch die kleinen Rollen des jungen Seemanns und des Hirten, wo bei er als Hirte im dritten Akt gleich dem blinden antiken Seher Teiresias mit verdunkelter Brille auf einem schäbigen Endzeitsofa sitzt. Der in dieser Inszenierung nicht sichtbare Herrenchor des Landestheaters Linz wurde von Csaba Grünfelder bestens einstudiert. Markus Poschner sorgte am Pult des Bruckner Orchesters für eine ausgewogene Balance zwischen Bühne und Graben und kostete die narkotische Wirkung, die Wagners Musik gerade in dieser Oper verströmt und alle in den Bann zieht, formvollendet aus. Das Publikum dieser Derniere schenkte allen Mitwirkenden großzügig Applaus, dem sich der Rezensent gerne anschloss.

Harald Lacina, 1.10.2018

Fotocredits (c) Reinhard Winkler