Wolfsburg: „Rice“

Besuchte Vorstellung am 17.Mai 2015, Premiere: 16.Mai 2015

Preisgekrönt

Der Taiwanese Lin Hwai-min gründete bereits 1973 die Compagnie des Cloud Gate Dance Theatre in Taipeh, die er noch heute leitet und für die er stets neue Choreographien ausarbeitet. Er studierte Literatur und Journalismus in seiner Heimat und den USA, wo er seine Tanzausbildung in New York vervollkommnete. Lin Hwai-min gilt als einer der bedeutendsten Choreographen, der asiatische Tanzkunst mit westlichem Ausdruckstanz verbindet. So führt er die Tanz-Traditionen seiner Heimat, der Pekingoper sowie japanischer und koreanischer Hoftänze mit modernen westlichen Formen und einer Art des Tai-Chi zusammen.

Das drückte sich hier nicht nur im Bewegungskanon, sondern auch in der Begleitmusik aus: Volkslieder der Hakka-Kultur wechselten sich ab mit Perkussionsmusik und modernen Klangräumen; demgegenüber standen Bellinis „Casta Diva“ (gesungen von Maria Callas), Saint-Saens‘ „Le Rossignol et la Rose“ (Edita Gruberova) sowie das Solo aus Mahlers 3.Sinfonie (Jessye Norman).

Zum 40-jährigen Bestehen des Ensembles entstand 2013 Rice als Hommage an sein Heimatland, inspiriert von der Landschaft und der Geschichte des Ortes Chihshang im Osten Taiwans; hier wurde speziell der Vegetationszyklus eines Reisfeldes in den Vordergrund gerückt, wobei die vier Elemente (Erde, Luft, Wasser und Feuer) sowie Pollen, Sonne und Reiskorn als miteinander verbundene Einzelszenen im Programm erwähnt wurden. Die schlichte Bühne mit wunderbar passenden Projektionen auf der Rückwand bot den in schlichten, uni-farbenen Kleidern auftretenden 14 Tänzerinnen und 10 Tänzern den idealen Rahmen. Der Choreograph hatte Mut zur Langsamkeit; so konnte man die Entwicklung der einsam auftretenden Tänzerin, die mit sehr ruhigen Bewegungen zum Stampfen überging, und der nach und nach Dazukommenden intensiv verfolgen, auch wenn das einheitliche Stampfen nicht immer gelang. Männer mit langen, federnden Stöcken beeindruckten mit der Handhabung der Stangen, mit denen sie später zur „Erntezeit“ den Boden schlugen wie früher beim Getreidedreschen. Mit dicken Bambusstäben zeigten sie interessante Sprünge und Drehungen. Die Rotation war ein weiteres besonderes Merkmal der Choreographie.

Auffällig war ebenfalls, wie selten eine echte Berührung der Paare stattfand außer bei dem Liebesakt zu Saint-Saens. Man tanzte viel um einander herum und fand doch nicht wirklich zueinander. Ein tänzerischer Höhepunkt waren die drei Paare zu „Casta Diva“, wo die Bewegung zur Musik besonders stimmig war. Ein weiterer war das Abbrennen der Reisfelder nach der Ernte, wenn alles schwarz und verbrannt zurückbleibt. Aber daraus erhebt sich wieder eine Frau, mutig einen Stab emporreckend als Zeichen: Es beginnt wieder von vorn – ein tief bewegendes, einprägsames Schlussbild.

Das Publikum bedankte sich begeistert bei allen Akteuren, die in den vergangenen Jahren schon mehrmals bei den Movimentos aufgetreten sind.

Marion Eckels, 18.05.2015

Fotos: Kashvili Kristyna (1), Liu Chen-hsiang (2), To Gia (3)