Vorstellung am 22. 6. 2019
Von der Ekstase zur Askese
Passend zum diesjährigen Thema der Musikfestspiele gab es am im Nikolaisaal unter dem Titel Apollon Musagète einen ungewöhnlichen Tanztheaterabend in drei Akten, der den Bogen spannte von der Klassik bis zum Hip-Hop. Auch die beiden mitwirkenden Klangkörper auf dem hinteren Teil des Bühnenpodestes – die Kammerakademie Potsdam mit ihrem Konzertmeister Peter Rainer und das experimentelle Ensemble Sarband unter seinem Gründer und Leiter Vladimir Ivanoff – standen für diese Spanne. Das Programm bezog seinen besonderen Reiz vor allem aus der Choreografie von Kadir Amigo Memis. Der Gründer der bekannten Flying Steps Dance Company kombinierte Elemente des Break Dance mit Derwisch-Tänzen und dem neoklassischen Ballett. Der Auftritt von Ziya Azazi (Dervish in Progress) im 1. Akt, der mit „Ekstase“ überschrieben war, war dann auch ein Höhepunkt des Abends. Seine tranceartigen Drehungen und das Ablegen der vielfarbigen Röcke, die er wie mit Zauberhand sogar noch in der Luft kreisen ließ, hatten einen mitreißenden Sog und reflektierten den Titel dieses Aktes perfekt.
Von artistischer Bravour waren die Darbietungen der Tänzer Wilfried Ebongue Moungui (B.Boying) und Kofie Da Vibe (Krumping), während Charmene Pang (Contemporary) aus Hong Kong und die Griechin Kalli Tarasidou (Popping) mit exotischem Bewegungsduktus faszinierten.
Der mit „Klarheit“ betitelte Mittelteil war Strawinskys Ballettkomposition Apollon musagète von 1927/28 gewidmet, deren berühmte Choreografie von Balanchine noch heute der Maßstab für jede neue tänzerische Deutung bleibt. Das Ballett in zwei Bildern zeigt die Geburt des Apollo sowie Szenen mit ihm und den Musen. Memis mischte auch hier die Stile und sorgte mit den Break-Dance-Elementen wiederum für stupende Effekte. Hier hatte die Kammerakademie Potsdam ihren großen Auftritt, musizierte Strawinskys Werk mit gebotener Klarheit und Eleganz.
Die „Askese“ im 3. Akt verdeutlichten die Sopranistin Miriam Andersén und der Tenor/Countertenor RebalAlkhodari in strengen, lamentierenden Gesängen – einer Hymne an Mohammed aus dem 6. und einem Kreuzzugslied aus dem 12. Jahrhundert –, die von fremdländischen Instrumenten wie der Gotischen Fiedel und der Rahmentrommel begleitet wurden. Vier Kompositionen von Erik Satie, welche Ivanoff arrangiert hatte, brachten am Ende noch irritierende choreografische Momente ein mit zappelnden, zuckenden, stampfenden Tänzern, einer pathologisch zitternden Tänzerin und schließlich allen Solisten, die sich zu geißeln schienen. Besonders in diesem letzten Teil kam die Lichtgestaltung von Vladimir Grafov zu starker Wirkung.
Der russische Künstler zauberte mit Lasertechnik an den Wänden des Raumes und in der Luft über dem Geschehen vielfältige Ornamente – Linien, Punkte, Quadrate, Dreiecke –, welche Musik und Tanz atmosphärisch bebilderten. Zum Teil imaginierten die Strahlen gar Räume, in denen die Akteure wie eingeschlossen agierten. Nie drängte sich diese Gestaltung optisch in den Vordergrund, sondern unterstützte die Beiträge der Musiker, Sänger und Tänzer ungemein stimmungsvoll.
Die Musikfestspiele 2020 finden vom 12. bis 28. Juni unter dem Motto Flower Power statt und versprechen wiederum ein vielseitiges und ungewöhnliches Programm mit internationalen Spitzeninterpreten.
Bernd Hoppe, 23.6.2019
Bilder (c) Musikfestspiele Potsdam / Ziya Azoz