Graz: Abschiedsabend Elisabeth Kulman

Oper und Konzert verlieren eine ganz Große!

Man will es einfach nicht glauben, was man seit einiger Zeit weiß und auch auf der Homepage von Elisabeth Kulman nachlesen kann:

„Ich habe eine fantastische Karriere gehabt” Mit Ende des Jahres 2021 beende ich meine klassische Gesangskarriere. Über 30 Jahre stand ich – zunächst als Chorsängerin, bald als Solistin – auf den internationalen Bühnen und durfte Sie, geschätztes Publikum, und mich selbst durch mein Singen erfreuen. Ich gehe reich beschenkt und dankbar und möchte Sie ebenso zurücklassen …“

In den letzten fünf Jahren war das Projekt La femme c’est moi ein Herzensanliegen von Elisabeth Kulman. Das Projekt führte sie auf viele Konzertbühnen Österreichs und Deutschlands, aber auch nach Japan. Die Weltpremiere fand im Rahmen der Styriarte am 5.Juli 2016 statt.

Nun fand die allerletzte Aufführung wiederum in Graz statt – dort, wo alles begonnen hatte. Auch diesmal stand im Progammheft eine Schlagzeile des Opernfreunds, die auch auf Kulmans Homepage und ihren Ankündigungen Eingang gefunden hatte:

Eine geniale Collage, die man erlebt haben muß.

Und es ist auch nach 15 weltweiten Aufführungen nach wie vor so: Man muß den Abend einfach live erlebt haben. Kein Text, keine Fotos und keine Medienaufzeichnungen können das unmittelbare Aufführungserleben nur annähernd ersetzen! Nicht umsonst gibt es im Internet keine vollständige Aufzeichnung – nur kleine Ausschnitte, die alle in Kulman’scher Gründlichkeit auf ihrer Homepage hier zusammengefasst sind. Und auch die Fotos des heutigen Abends sind nur von bescheidener Schnappschussqualität, für die ich mich entschuldige – die Fotos können nur so etwas wie Stichwortbringer sein. Das Elementarereignis Elisabeth Kulman entzieht sich der medialen Fixierung – damit wird schmerzlich bewusst, dass Elisabeth Kulman als Live-Künstlerin nicht zu ersetzen ist. Ihre Ton-und Bildträger helfen bloß ihrem Publikum, das sie selbst auf Bühne oder Konzertpodium erlebt hat, die Erinnerung wach zu halten.

Das Programm hat sich seit der Uraufführung, die ich miterleben und beschreiben durfte, weiter entwickelt. Zum kongenialen Instrumentalteam ist seit einiger Zeit auch eine Viola als achtes Instrument dazu gekommen. Ohne dieses exzellente Instrumentalteam wäre das Projekt nicht möglich. Elisabeth Kulman stellte die Mitglieder dem Grazer Publikum einzeln vor und nannte sie die weltbeste Band. Daher sollen auch hier zu Beginn alle Namen angeführt sein: Elisabeth Kulman Gesang | Idee | Konzept | Arrangements, Aliosha Biz Violine, Clara Schwaiger Viola, Tscho Theissing Diverse Instrumente | Arrangements, Franz Bartolomey Violoncello, Herbert Mayr Kontrabass, Gerald Preinfalk Klarinette | Saxophon, Maria Reiter Akkordeon und Eduard Kutrowatz Klavier – Ein Abend zwischen Oper, Chanson, Kabarett, Pop und Jazz

Schon der Beginn ist großartig in Szene gesetzt. Die Instrumentalisten betreten das Podium und beginnen mit einem improvisiert wirkenden Prélude, das nahtlos in das Vorspiel der Dalila-Arie mündet. Hoch über dem Konzertpodium öffnet sich die Türe (dort treten normalerweise im Stefaniensaal der Chor oder die Schlagzeuger und Blechbläser eines großen Orchesters auf) und Elisabeth Kulman erscheint – ganz in der strahlenden Pose der Operndiva. Sie schreitet während der Arie langsamen Schritts herunter – geradezu als käme sie direkt aus dem „Opernhimmel“ zu ihrem Publikum – und singt wahrhaft unvergleichlich die Dalila-Arie Mon coeur s’ouvre à ta voix . Der Kurier schrieb darüber bei der Premiere: so gut wie zurzeit garantiert keine andere! Das stimmt auch fünf Jahre später genau so – ja, für mich ist der noble warme Mezzoklang noch runder und dunkler geworden. Das Publikum spendet begeisterten Beifall – und Elisabeth Kulman sagt trocken das ist alles gelogen und geht bruchlos in Cole Porters I hate men über. Das alles hatte man schon erlebt – ebenso wie die nächsten Stücke. Aber es lag von Beginn an eine melancholische Abschiedsstimmung über den Programm. Der zentrale Punkt des ersten Teils waren zweifellos die a-capella und pianissimo mit fast gebrochener Stimme vorgetragene Paminen-Arie (Kulmans erster Opern-Soloauftritt vor ziemlich genau 20 Jahren an der Wiener Volksoper!) und nahtlos übergehend der zweite Teil von Schuberts Der Tod und das Mädchen, in dem Kulman zuletzt mit dem Rücken zum Publikum die Einladung des Todes zu sanftem Schaf in seinen Armen ungemein intensiv gestaltete. Unmittelbar anschließend folgte die große Szene der Marschallin au dem Rosenkavalier. Auch das war zutiefst berührend – wohl ebenso für Kulman, ihre Instrumentalisten, aber auch für das merkbar den Atem anhaltende Publikum!

Bei der Premiere im Jahre 2016 schien mir der zweite Teil primär drastisch-spektakulären Szenen gewidmet und ich schrieb damals: die Grenze zum Klamauk war nahe! Diesen Eindruck hatte ich diesmal gar nicht – diese drastischen karikaturhaften Szenen waren deutlich gekürzt, dafür ein überaus packender Schubertscher Erlkönig eingefügt.

Auch die Collage Eboli/Salome mit Cole Porters Miss Otis schien mir diesmal wesentlich ausgewogener – im Mittelpunkt stand klar die eiskalt agierende Miss Otis, deren Butler in höflichen Worten erklärt, warum sie nicht zum verabredeten Mittagessen erscheinen könne: sie war von ihrem Liebhaber sitzen gelassen worden und hatte ihn kurzerhand umgebracht. Unmittelbar, bevor sie vom Mob aufgeknüpft wird, bringt sie noch eine standesgemäß höfliche Entschuldigung vor, weshalb sie die bevorstehende Verabredung versäumen würde – Miss Otis regrets!

Nach dem Piaf-Schlager Non, je ne regrette rien gab es tosenden Beifall und eine wohl einmalige Zugabe: Kulman als ein Gemisch von Verdis Falstaff und Lady Quickly Tutto nel mondo è burla. L’uom è nato burlone. Dieses Verdi-Medley war genial und endete mit einer Reverenza des gesamten Ensembles an das Publikum. Jene unter unserer Leserschaft, die Facebook nutzen, können auf dem FB-Acount des Generalsekretärs Dr. Michael Nemeth einen kleinen Video-Eindruck bekommen.

Der Publikumsjubel wollte nicht enden!

Heute und morgen singt Elisabeth Kulman mit den Bamberger Symphonikern Mahlers Rückert-Lieder. Dann kommen bis zum Ende dieses Jahres noch sieben Konzerte – alle genau auf Kulmans Homepage vermerkt. Und nach dem letzten Konzerttermin folgt auf ihrer Homepage jener Satz, mit dem ich meinen Bericht begonnen hatte

Mit Ende des Jahres 2021 beende ich meine klassische Gesangskarriere

Ich bin sicher, dass Kulman ihre Entscheidung umsetzen wird. So sehr wir alle diesen Entschluss unendlich bedauern, eines ist sicher: Wir sind Elisabeth Kulman unendlich dankbar, was wir durch sie in den letzten beiden Jahrzehnten künstlerisch erleben konnten und wir wünschen ihr einen erfüllten weiteren Lebensweg!

Herman Becke, 17.10.21