Graz: Wiener Staatsopernchor

Goldglänzende Chorbrillanz

Mit einem ungewohnten Akzent eröffnete der steirische Musikverein seine Saison 2022/23: Das Liederabendabonnement begann mit einem Chorprogramm!

Die Konzertvereinigung Wiener Staatsoperchor hatte aus Anlass ihres 95-jährigen Bestehens ein exquisites Programm zusammengestellt und das Publikum wurde sofort mit vollem Einsatz konfrontiert.

60 Chormitglieder hatten in breiter Front das Podium gefüllt und stimmten nach wenigen Klavierauftakten als erstes den Einzug der Gäste aus Richard Wagners Tannhäuser an. Das Publikum war sofort vom gleissenden H-Dur geradezu geblendet und vom strahlenden Stimmglanz – warm, ohne Schärfe, sonor ausgewogen zwischen Frauen- und Männerstimmen – merkbar überwältigt. Bereits in den ersten Takten war damit dem Publikum der hohe Rang und die Qualität dieses Chorensembles eindrucksvoll vorgestellt.

Auf der informativen (viersprachigen – deutsch, englisch, italienisch, japanisch!) Homepage liest man unter anderem:

„ Der Wiener Staatsopernchor besteht aus zweiundneunzig fest engagierten professionellen Sängern und bildet so neben Solisten, Orchester, Ballett und Bühnentechnik einen der Grundpfeiler der Wiener Staatsoper. Darüber hinaus wirken die Chormitglieder seit 1923 ununterbrochen bei den Salzburger Festspielen mit (seit 1927 als "Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor"). Dadurch steht der Chor an etwa 300 Abenden im Jahr in bis zu fünfundfünfzig verschiedenen Opern auf der Bühne. Dazu kommen noch CD- Einspielungen und Konzert-Termine.“

Das Jubiläumsprogramm war klug und überaus abwechslungsreich zusammengestellt und wurde vom Vorstandsmitglied Anna-Maria Birnbauer (Sopran 2) – jeweils aus dem Chor heraustretend und beherzt zum Mikrofon greifend – moderiert. Dawurden nicht nur die Namen der zahlreichen Solostimmen genannt, sondern man gewann auch ein sympathisches Bild vom persönlichen Engagement und der ansteckenden Musizierfreude.

Das Programm war so gewählt, dass eindrucksvoll gezeigt wurde, welche solistische Stimmqualität im Ensemble vereint ist. Jedes Mitglied muss ja eine abgeschlossene Gesangsausbildung aufweisen und so können auch alle Solostellen aus den eigenen Reihen überzeugend besetzt werden. Die Chorszenen waren höchst wirkungsvoll so „zusammengeschnitten“, dass immer ein überzeugendes Ganzes entstand, in dem alle Gruppen sich gleichberechtigt präsentieren konnten (z.B. in Carmen und La Traviata). Das kammermusikalische Musizieren erlebte man sehr schön in Brüderlein und Schwesterlein aus der Fledermaus. Zarte Frauenstimmen im Lohengrin kontrastierten mit kräftigen, aber nie derben Männerstimmen im Matrosenchor aus dem Fliegenden Holländer. In der derzeitigen weltpolitischen Situation berührten Fidelios Gefangenenchor und der Chor der Geflüchteten aus Macbeth besonders. Der Hexenchor aus Macbeth war stimmschön und dennoch scharf konturiert gesungen. Der Chor bewies eindrucksvoll seine stilistische Vielfalt und Geschlossenheit bei großer Textdeutlichkeit. Martin Schebesta sorgte als Dirigent für die präzise und unaufdringliche musikalische Koordination, effektvoll unterstützt am Flügel vom vielseitigen Wolfgang Fritzsche.

In der Mitte des Programms wurde unterbrochen und der Generalsekretär des Musikvereins Dr.Michael Nemeth auf das Podium gebeten. Ihm wurde – zur merklichen eigenen Überraschung und Freude! – die Ehrenmitgliedschaft der Konzertvereinigung überreicht. Nemeth pflegt seit Jahren den Kontakt mit der Wiener Staatsoper. Nach einem Fidelio-Gastspiel im Jahre 2015 war die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor zuletzt im Juni 2022 zu Gast in Graz. Auf dem folgenden nach dem Konzert aufgenommenen Foto sieht man sehr schön die freudig-entspannte Stimmung aller.

Das Grazer Gastpiel des Chors im letzten Juni war eine sehr erfolgreiche konzertante Aufführung von Verdis Nabucco mit Placido Domingo in der Titelrolle. Damals schrieb ich über den Chor der Wiener Staatsoper:

Er vereint ideal die gebotene Klangfülle mit Differenzierungskraft und Ausgewogenheit in selbstverständlicher Präzision. Nun nach dem „Solokonzert“ des Chores kann ich ergänzen:

Wir erlebten wahrhaft einen goldenen Chorklang – in keinen Stimmen und Lagen gab es je forcierte Schärfen oder Unebenheiten. Piani, lyrische Phrasen, Crescendi und Decrescendi hatten immer eine goldene und ausgeglichene Klangfarbe. Es war ganz wunderbar, einmal den Chor „pur“ zu erleben!

Natürlich gab es großen Beifall und zwei begeistert aufgenommene Zugaben:

Zuerst den Zigeunerchor aus Verdis Il Trovatore und dann aus La Traviata das berühmte Trinklied Libiamo mit exzellenten Sopran- und Tenorsolisten aus dem Chor. Es war ein besonderer Abend auf hohem Niveau und mit merkbarer, geradezu ansteckenden Musizierfreude. Der Wiener Staatsopernchor zählt in dieser Verfassung zweifellos weltweit zu den Spitzenchören. Alle Grazer Stimm- und Opernfreunde freuen sich schon auf ein nächstes Gastspiel!

27.9.2022, Hermann Becke

Aufführungsfotos: Musikverein Graz