Mannheim: „Fidelio“

9.12.2017 – Premiere

Nach der sauber, einfühlsam und mit besonders weicher Eindrücklichkeit einiger (harmonischer) Wandlungen gespielten Ouverture steigt aus der Bühne ein (öfter schon in anderen Inszenierungen gesehenen) rechteckig etwas querständiges großes Podium herauf, das von unten mit Neon beleuchtbar ist und von oben eine Art Dach erhält. Auf dieser „Gefängnis“ bezeichneten Schräge befindet sich allerhand Gerümpel, hauptsächlich Eimer, und im fahlen Licht wird der Gefangene Florestan, der Schauspieler Michael Rensburg, erkennbar, der sich in dieser Phase von oben bis unten, auch Haare und Gesicht, mit Dreck oder Gips eingeschmiert hat, und sich am ganzen Körper rauft. Er wirkt dabei wie der Insasse eines Irrenhauses. Dazu gesellen sich gleich zwei Gestalten wie aus der Commedia dell’arte entsprungen, die Marzelline mit plüschigem Reifröckchen, einem dicken weißbestrumpften Bein und wirren grauen Lockenhaaren, der Jaquino wie Harlekin mit Pluderhosen, dicken Bauchringen und Goldwams und -haaren, auf tapsen auf dem Hubpodium herum. (Bühne: Claudia Rohner).

Der noch hinzugekommene Rocco mutet mit einem Buckel und hinkendem Gang wie der Glöckner von Notre Dame an. Ganz anders die von der Bühne hinzuschreitende Leonore, die recht forsch in einem roten Hosen-Westen Anzug bei zurückgekämmten Haaren erscheint und von dem Gefangenen hier keine Notiz nimmt – Kostüme: Dagmar Fabisch.

Regisseur Roger Vontobel versteht es, diese Personen sinnfällig bis witzig auf der Schräge hin- und herzubewegen. Die spätere Chorszene verschenkt er allerdings.

Vor dem etwas nach hinten gefahrenen Podium hat sich vorne eine Art Guckkastenbühne eingestellt, aus der Pizarro in knallblauem Anzug heraustritt, die Chorleute aber während des gesamten Auftritts an den Seiten verbleiben. Nur die beiden Soli-Gefangenen dürfen sich auch vorne bemerkbar machen.

Die Reprise erscheint dann zum Aktschluß quasi aus dem Off. Im 2.Teil blutet der Gefangene aus vielen Wunden, ganz ein leidender Christus. Im schwarzen Regisseurshabitus tritt der Sänger Florestan an seine Seite, und seine Funktion ist es (außer gut zu singen), den Halbtoten zu halten und womöglich seine Schmerzen zu lindern. Wie ihm auch Leonore Brot und Wasser als letzte Gaben reicht. Der Minister erscheint wie ein schwarzer Eremit mit wallenden Haaren und einem schwarzen Federkranz hinter sich. In der Schlußszene soll der Gefangene von den Engeln besungen in den Tod begleitet werden. Sie tragen weiße Faltenflügel. Auch Pizarro werden welche verpaßt, er verschwindet wie Beckmesser in der Menge. Dem Sänger Florestan und den anderen Protagonisten auch, und der verstorbene Florestan wird zum choralen Gesang in die Höhe gezogen.

Wie schon in der Ouverture gibt das Orchester unter Alexander Soddy einen sehr prägnanten Part und läßt den Sängern immer die Chance, ihre ja schwierigen Partien gut durchzubringen. Ein wirklich gelungenes Zusammenspiel Graben – Bühne bis auf den Schlußchor, wo bei rasendem Tempo einige Chorphrasen etwas verschleppt erscheinen. Die komponierte Mystik und die Hoffnungs-Aufhellung im 1.Chor ist aber gut herausgearbeitet.

Die beiden Gefangenen singen gut instruiert, es sind dies Bertram Paul Kleiner (1.) und Junchul Ye(2.). Der Jaquino wird von Raphael Wittmer mit seinem ausdrucksvollen Tenore di grazia gestaltet. Ji Yoon kann als Marzelline angenehme gut pointierte Phrasen gestalten, am Ende aber eher ins Traurige gewendet. Sebastian Pilgrim gibt dem Rocco bassale Kraft und expressives Volumen, mit seiner schwankenden Figur zeichnet er ein echtes Porträt. Thomas Berau ist mit seinem autoritativ klangschönen Bariton der Fernando. Den Pizarro übernimmt wieder Thomas Jesatko und kann ihm ein schrilles und kantiges Profil angedeihen lassen bei urwüchsigem gut sitzendem Bariton. Der singende (wobei die Frage ist, ob er den mit Schauspieler Florestan nicht auch hätte übernehmen können) Florestan ist Will Hartman, der besonders in seiner Arie das ‚Himmlische Reich“ intensiv und nie nachlassend in der sehr hohen Tessitura gekonnt besingt. Sein edles Timbre ist ein Zugewinn. Im Duett kann er Leonore auch umarmen und küssen. Annette Seiltgen, die nicht nur gute Figur macht, sondern auch mit starkem Soprangesang aufwartet bei wenig Vibrato, könnte aber, bei ihrem angenehmen Timbre, auch noch etwas dramatischer klingen.

Bilder (c) Hans-Jörg Michel

Friedeon Rosén 11.12.2017

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