Oldenburg: „Das Rheingold“

Premiere am 04.02.2017

Szenen aus einem Bergdorf

Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ am Oldenburgischen Staatstheater – das klingt abenteuerlich. Und es ist auch erstmalig, dass sich das Theater in seiner langjährigen Geschichte an die gesamte Tetralogie wagt. Seit dieser Spielzeit ist Hendrik Vestmann neuer Generalmusikdirektor in Oldenburg. Er stellt sich der immensen Herausforderung eines kompletten „Rings“. Geplant ist eine Produktion pro Saison. Mit dem „Rheingold“ fiel nun der Startschuss des ehrgeizigen Projekts.

Schon während des geheimnisvollen Vorspiels in Es-Dur hebt sich der Vorhang. Man erblickt Alberich, der auf einem Plumpsklo thront und sich mit Pornos aufgeilt, um dann den Rheintöchtern an die Wäsche zu gehen. Diese Rheintöchter sind hier aber Waschfrauen im Dienste Wotans. Ihre Aufgaben sind vielfältig – auch das Waschen einer Leiche gehört dazu.

Regisseur Paul Esterhazy hat dem „Rheingold“ alles Mythologische ausgetrieben. Die Götterwelt wird durch die dunkle, bedrückende Atmosphäre eines abgeschiedenen Bergdorfes ersetzt. Wotan ist ein herrischer Bauer, Froh der Pfarrer, Loge ein vagabundierender Landstreicher, Donner der Schmied, Erda eine Dorfwahrsagerin, Fricka eine verhärmte Frau im Rollstuhl und Alberich der verachtete Nachbar. Wenn man sich mit diesem Konzept erst einmal angefreundet hat, geht es überraschend gut auf.

Halbdunkel ist die vorherrschende Lichtstimmung: „Das Rheingold“ als Nachtstück. Mathis Neidhardt arbeitet bei seiner Bühnenausstattung pausenlos mit der Drehbühne. Er hat immer neue Räume von klaustrophobischer Enge entworfen – vom Schlafzimmer der Eheleute Wotan und Fricka über die Wohndiele und die Waschküche bis hin zu Alberichs Reich im Keller. Und es sind überwiegend dunkle Kammern. Die haben in ihrer Gesamtheit fast den Charakter eines Labyrinths, nicht nur physisch, sondern auch als Nistplatz für seelische Abgründe.

Und davon gibt es genug, denn jede der Figuren ist in Esterhazys Inszenierung beschädigt an Körper oder Gemüt. Sie werden vom Regisseur prägnant gezeichnet. Und er blättert die Handlung in ruhigem Erzählfluss auf, wobei er ironische und drastische Momente mischt. Fafner und Fasolt sind bei ihm wirkliche Riesen, die auf Stelzen über die Bühne laufen, die Verwandlung Alberichs in eine Kröte wird augenzwinkernd serviert. Blutig geht es zu, wenn Alberich der Unterarm abgeschlagen wird. Das Ende weist auf die Fortsetzung mit der „Walküre“ hin: Wotan stößt das Schwert Notung in die Esche, das Siegmund später wieder herausziehen wird. Siegmund und Sieglinde sind hier schon als Babys zu sehen.

Dass ein kleineres Theater auch musikalisch Wagner-Opern stemmen kann, wenn es denn über ein gutes und um einige Gäste verstärktes Ensemble, ein motiviertes Orchester und einen Dirigenten mit Gestaltungswillen verfügt, wurde in Oldenburg eindrucksvoll bewiesen. Bei den Solisten ist an erster Stelle Johannes Schwärsky zu nennen, der den Alberich zur Hauptfigur der Oper beförderte. Seine unglaublich präsente und suggestive Darstellung in Verbindung mit kraft- und ausdrucksvollem Gesang fesselte durchgehend.

Die Szenen, in der er die Liebe und später den Ring verflucht, gehörten zu den Höhepunkten des Abends. Daniel Moon führte als Wotan einen schlanken und markanten Bariton ins Feld, der aber für die Partie doch vielleicht eine Spur zu schmal ist. Melanie Lang war als Fricka eine gute Besetzung, die gesanglich mit ihrem fülligen Mezzo ein gutes Gegengewicht zu Wotan darstellte. Der Loge wurde von Timothy Oliver mit geschliffenem Tenor präsentiert, hätte aber durchaus noch etwas verschlagener sein können. Ein fulminanter Auftritt gelang Ann-Beth Solvang als Erda mit pastoser, raumfüllender Stimme. Die Riesen Fafner und Fasolt fanden in Ill-Hoon Choung und besonders Randall Jakobsh bassgewaltige Interpreten. Gut waren das Spiel und der Zusammenklang der Rheintöchter Sooyeon Lee, Anna Avakian und Julia Faylenbogen. Tadellose Leistungen gab es von Philipp Kapeller als lyrischem Froh, Aarne Pelkonen als Donner, Sarah Tuttle als Freia und Timo Schabel als Mime.

Die Gretchenfrage bleibt aber, wie das Orchester die Aufgabe bewältigt. Im „Rheingold“ ist das schon mal gut gelungen. Hendrik Vestmann blieb in der (von Wagner autorisierten) Besetzung mit 65 Musikern dem Werk nichts schuldig. Der Klang konnte sich in feiner Differenzierung entfalten. Vestmanns Dirigat zeichnete sich durch ruhig strömenden Fluss aus. Die dramatischen Akzente setzte er äußerst wirkungsvoll, großartig die Verwandlungsmusik, zu der Wotan und Loge nach Nibelheim hinuntersteigen. Insgesamt zeigte sich das Orchester den Anforderungen bestens gewachsen. Ob das bei den nachfolgen Teilen der Tetralogie auch so gut gelingen wird, bleibt eine spannende Frage.

Wolfgang Denker, 06.02.2017

Fotos von Stephan Walzl