Premiere am 17.09.2016
Die Hexen sind allgegenwärtig
Die Entstehung von Verdis Oper „Macbeth“ (1847) fällt in die Zeit seiner sogenannten „Galeerenjahre“, sie ist aber bereits ein vollendetes Meisterwerk und seinen Spätwerken durchaus ebenbürtig. Verdi hat seinen „Macbeth“ 1865 für die Pariser Oper überarbeitet und u. a. eine Ballettmusik hinzugefügt. Diese Fassung wird in Oldenburg gespielt. Im Ergebnis ist eine musikalisch weitgehend gelungene Aufführung herausgekommen, die auch szenisch mit ungewöhnlichen Bildern überzeugt.
Gleich zum Vorspiel ist die in Nebelschwaden getauchte Bühne (Daniela Kerck) mit Leichen übersät. Macbeth und Banquo fallen sich als Überlebende der Schlacht erleichtert in die Arme. Regisseurin Nadja Loschky hat so in dieser Szene die enge Verbindung der beiden verdeutlicht.
Zur Charakterisierung von Macbeth und Lady Macbeth bezieht sie sich auf Sigmund Freud und seinen Text zum Thema der Kinderlosigkeit in Shakespeares „Macbeth“. Lady Macbeth ist in Loschkys Inszenierung schwanger, umgibt sich mit Puppen und strikt, wobei ihre Dienerinnen die Wollfäden schicksalhaft wie die Nornen halten. Allerdings verliert sie ihr Kind (in einer blutigen Szene) nach dem Mord an König Duncan. Überhaupt das Blut: Loschky spielt etwas plakativ mit dem Horror: Macbeth blutverschmiert, die Wand über Duncans Lagerstatt mit Blut besudelt.
Der Ansatz, Kinderlosigkeit als Ursache für den grausamen Ehrgeiz der Lady festzumachen, geht nicht auf. Sie ist schon während ihrer Schwangerschaft die personifizierte Bösartigkeit, während Macbeth zunächst zögerlich ist und durchaus Skrupel zeigt. Im letzten Akt wird Lady Macbeth von ihrem Mann erwürgt. Der singt danach die Arie „Pietà, rispetto, amore“ – eigentlich zu schön für einen Charakter wie Macbeth. Aber hier wirkt es so, als hätte sich Macbeth gerade von seinem Dämon befreit und sich auf sein „eigentliches“ Wesen besonnen.
Aber für das Dämonische sind die Hexen ohnehin zuständig. Warum man sie in so hässliche Unterkleider gestopft hat (Kostüme Claudio Pohle), bleibt allerdings ein Rätsel. Sie sind jedenfalls allgegenwärtig, ob als Hofdamen oder Flüchtlinge Sie sind es auch, die beim Bankett unter der gedeckten Tafel lauern und Macbeth die Geistererscheinung Banquos vorgaukeln. Anfangs hüten sie ein riesiges Ei, das Symbol der Fruchtbarkeit. Eine Miniaturausgabe wird am Ende an Malcolm überreicht, der die Königsdynastie fortsetzen wird. Es sind viele faszinierende Bilder und Gedanken, die Nadja Loschky in ihre Inszenierung eingebracht hat: Bei den Teilen der Ballettmusik, die hier gespielt wurden, wird die Schreckensherrschaft von Macbeth und seiner Lady verdeutlicht. Immer wenn sie mit einem riesigen Zepter auf den Boden stampfen, sinkt jemand tot zu Boden. Die Ermordung Banquos wird von einer mit Totenköpfen maskierten Beerdigungsgesellschaft angedeutet. Und die Schlafwandelszene der Lady wird hier zu einem Spiel mit Stoffpuppen.
Der neue GMD Hendrik Vestmann stand am Pult des Oldenburgischen Staatsorchesters. Er dirigierte diesen mittleren Verdi mit schnellen Tempi und betonte die Dramatik der Musik. Vielleicht ist dabei manches doch etwas zu knallig ausgefallen, bewegte er sich zu häufig im Fortissimo-Bereich. Aber seine effektvolle Wiedergabe war doch von pulsierendem Drive bestimmt und durchaus mitreißend. Wie er die großen Chor-Tableaus aufbaute und machtvoll steigerte, war eine Klasse für sich. Chor und Extrachor (Einstudierung Thomas Bönisch) zeigten sich dabei in bester Verfassung.
Bei den Solisten ist an erster Stelle Daniel Moon als Macbeth zu nennen, der mit markantem und kernigem Bariton die Zerrissenheit und die zunehmende Grausamkeit der Figur sehr plastisch verdeutlichte. Höhepunkt war die schön phrasierte Arie im letzten Akt, die er mit viel Belcanto gestaltete. Anfangs unterschieden sich die Stimmen von ihm und Ill-Hoon Choung, der den Banquo sang, fast zu wenig.
Choung ist kein basso profundo, aber ein sehr klug gestaltender Sänger, der vor allem mit schönen Legato in der Szene „Studia il passo, o mio figlio!“ begeisterte. Der Eindruck, den Raffaella Angeletti als Lady Macbeth hinterließ, war etwas zwiespältig. Ihr Sopran hat einen dramatischen Kern, eine satte Tiefe und Durchschlagskraft für die großen Ausbrüche. Aber zwischendurch waren immer wieder Passagen zu hören, in denen die Stimme verflachte. Als Persönlichkeit erfüllte sie die Partie aber sehr gut. Leider ist die Rolle des Macduff sehr klein – umso bedauerlicher, wenn sie von einem Tenor wie Emanuel Mendes gesungen wird. Seine Arie „Ah, la paterna mano“ ließ jedenfalls aufhorchen. Ein Tenor mit sicherer Höhe, einem schönen Timbre und einem aparten Flackern, wie man es auch etwa bei Joseph Calleja hört. Philipp Kapeller (in unvorteilhaftem Kostüm) als Malcolm, Melanie Lang als Kammerfrau und Henry Kiichli als Arzt erfüllten ihre Aufgaben zuverlässig.
Insgesamt eine Eröffnungspremiere, die viele Meriten hatte und Verdis „Macbeth“ endlich nach 22 Jahren wieder auf die Oldenburger Bühne brachte.
Wolfgang Denker, 19.09.2016
Fotos von Stephan Walzl